Die Seite 3

Catch as catch can – Ring frei für Gesetzesbrecher und Hasardeure. Dieser Eindruck drängt sich mir auf, wenn man die etwa eine DIN A 4 Seite große Anzeige in der BILD, Ausgabe Frankfurt/Main vom 21. November, sieht. "Preissturz bei Arzneimitteln" lautet die Überschrift, unter der bekannte Markenarzneimittel zu Schleuderpreisen angeboten werden. Einige Kostproben: 10er Thomapyrin für 1,49 statt 2,80 Euro, 10er Aspirin plus C für 2,69 statt 4,70 Euro, 24er Neo-angin N für 2,69 statt für 4,84 Euro und einige mehr.

Verramscht werden diese Arzneimittel zu Schnäppchenpreisen von der Apotheke im Hessen-Center und der Brocks'schen Apotheke, beide in Frankfurt/Main – Insider wissen Bescheid. Wohlwissend, dass diese Aktion illegal ist und das Gesetz bricht, meinen die Inhaberin Andrea Brocks und ihr Mann, der Betriebswirt und Ex-Gehe-Manager Jürgen Ossenberg, man dürfe die lieben Kunden nicht auf den 1. Januar 2004 warten lassen. Ein kleiner Bericht in der BILD-Ausgabe vom darauf folgenden Tag unter der Überschrift "Apotheke im Hessen-Center macht's vor" zitiert die Apothekerin mit dem Satz "Apotheke muss nicht teuer sein". Der BILD-Reporter schwärmt von einem neuen Apotheken-Zeitalter und den absoluten Dumping-Preisen, die es in der Center-Apotheke gibt. Ist die Geiz-ist-geil-Welle auf die Apotheken übergesprungen?

Die hessische Landesapothekerkammer hat natürlich umgehend rechtliche Schritte eingeleitet. Aber die Gesetzesmühlen mahlen langsam und der 1. Januar 2004 ist in wenigen Tagen da. Die rechtlichen Schritte werden kaum ihre Wirkung zeigen – die Schließung der Apotheke als Strafe ist bei diesem Delikt nicht vorgesehen. Ganz abgesehen davon, dass die ABDA die Gesetzesübertretung mit der Freischaltung von aponet für die Hauszustellung vorgemacht hat. Eine Geldstrafe wird ebenfalls wenig ausrichten, denn eine Apotheke, die eine Anzeige in BILD zahlen kann, hat dies schon einkalkuliert. Für mich ist das Schlimmste an dieser Aktion der Imageschaden, den (OTC-)Arzneimittel dadurch erlitten haben. Arzneimittel werden wie Brötchen und Leberwurst im Sonderangebot angepriesen – hatte die Grünen-Abgeordnete Biggi Bender doch recht, dass Apotheken nichts anderes sind als Bäcker und Metzger?

Es bricht ein neues Apotheken-Zeitalter an – schade, dass es in diese Richtung zu gehen scheint. Bisher hatte ich meinen Apothekerberuf eher als ethischen Beruf verstanden, der sich dafür einsetzt, dass Kranken verantwortungsvoll mit Arzneimitteln geholfen wird. Wenn dieser Beruf jetzt zum Inhalt hat, möglichst günstige Ramschaktionen zu planen und Arzneimittel zu verschleudern, dann plädiere ich für eine Zweiteilung des Ausbildungsweges und Berufsbildes: die Wiedereinführung des Drogisten mit betriebswirtschaftlicher Grundlage, der seine Kenntnisse an einer Fachhochschule erwirbt, dessen Hauptaufgabe später darin besteht, OTC-Arzneimittel in einem Ketten-Drugstore so billig wie möglich zu vertreiben, und der Preisdumping bis zum Exitus versucht. Die Läden dieser Richtung heißen dann nicht mehr Apotheke, sondern Gesundheits-Shops oder Drogerien.

Und die ethische Richtung: die Ausbildung zum Apotheker an der Universität, der in seiner Apotheke nur verschreibungspflichtige Arzneimittel abgibt, qualifizierte Beratungs- und Dienstleistungen anbietet und Hand-in-Hand mit Ärzten und Krankenhäusern arbeitet (klinische Pharmazie) und die Bevölkerung pharmazeutisch versorgt – bis hin ans Krankenbett.

Lassen wir Visionen außen vor: ich plädiere dafür, dass OTC-Arzneimittel in Deutschland zu angemessenen Preisen verkauft werden. Die heutigen Preise sind nicht billig, sondern preiswert. Sie erlauben dem Kranken, sich mit OTCs zu versorgen und bieten aus gesundheitlicher Sicht einen gewissen Schutz vor Missbrauch. Man könnte auch fragen, ob derjenige, der Schmerzmittel und Nasentropfen zu billig verschleudert, dem Missbrauch Vorschub leistet. Wenn die parlamentarische Staatssekretärin derzeit für eine steuerliche Verteuerung von so genannten Alko-Pops (süßschmeckende alkoholische Getränke, die gern von Jugendlichen konsumiert werden) plädiert, um die Gefahr des Alkoholmissbrauchs einzudämmen, sollte sie sich auch gegen zu billige Arzneimittel einsetzen.

Adventszeit – das ist auch die Zeit der inneren Einkehr und Besinnung. Bei vielen Kolleginnen und Kollegen scheint das Nachdenken einzusetzen, wenn das Stichwort Kooperationen fällt. Die Euphorie, sich für teures Geld an Kooperationen zu binden, scheint abzuflauen. Der von den Kooperationen erwartete Zulauf hat sich, wie man hört, nicht erfüllt.

Vivesco ist nicht ganz so lebendig wie der Name verspricht und die hellgrüne "Linda" verdrehte nicht so vielen den Kopf wie geplant. Trouble bereitet das Kooperationskonzept "meine Apotheke" der Sanacorp – hier scheint die rechte Hand nicht zu wissen, was die linke tut, sprich: das apothekereigene Unternehmen erregt den Zorn der Berufsvertretung. Auch der Name "meine Apotheke" scheint auf wackeligen Füßen zu stehen – man hört, dass er bereits vergeben ist und von anderen Unternehmen besetzt ist. Muss Sanacorp zum Rückzug blasen? Werden auch die anderen Kooperationsunternehmen kleinere Brötchen backen müssen? Es spricht viel dafür, dass die Kooperationen auf simple Einkaufsgemeinschaften schrumpfen...

Peter Ditzel

Ein neues Apotheken-Zeitalter?

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