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6. Novartis-Forum: Der Patient der Zukunft, ein neuer Player, aber mit mehr Pfli

BERLIN (hb). Die Patienten werden durch die Neuregelungen der Gesundheitsreform zunehmend in die Pflicht genommen, was nach Einschätzung der Beteiligten am "Gesundheitsmarkt" durchaus positiv zu bewerten ist. Der Boden für mehr Eigenverantwortung scheint allerdings noch lange nicht bereitet. An dem Interesse mitzumachen mangelt es offenbar nicht, wohl aber an der hierzu notwendigen Transparenz und Information, so der Grundtenor des 6. Novartis-Forums am 24. Oktober in Berlin, das dem "neuen" Patienten gewidmet war.

Der Versicherte beziehungsweise der Patient sei mit seinem Wunsch nach Erhalt oder Wiederherstellung seiner Gesundheit derzeit mit einem überregulierten, wenig transparenten Gesundheitssystem konfrontiert, so brachte es der Präsident von Novartis Deutschland Silvio Gabriel auf den Punkt. Für eine "gestützte Autonomie" – sein Modell der Zukunft – brauche er zunächst vor allem mehr Informationen. Erstaunlich, dass der Apotheker in diesem Punkt als Ansprechpartner offenbar nicht besonders hoch im Kurs steht. Gabriel berichtete von einer Befragung in acht europäischen Ländern aus dem Jahr 2003, nach der 62% der Interviewten Informationen zu neuen Therapien am ehesten beim Allgemeinarzt abfragen würden, gefolgt von Fachärzten (22%), Zeitungen (20%), Fernsehen/Radio (17%), dem Internet (10%), und sogar Freunde und Familie rangieren mit 9% noch vor dem Apotheker (7%).

Leistungen als Investition in Humankapital

In eine ähnliche Richtung geht die Einschätzung von Prof. Dr. Ernst Wolfshohl, Gesundheitsbeauftragter der Graue Panther Bewegung Berlin. Das Gesundheitssystem sei ausschließlich damit beschäftigt, Krankheiten zu beseitigen und zu managen, wobei nicht gewirtschaftet, sondern nur verteilt werde. Dabei richte das Umverteilungsprinzip der GKV erheblichen volkswirtschaftlichen Schaden an, denn Gesundheitsrisiken würden schlichtweg ignoriert. Abhilfe könne nur ein Gesamtkonzept schaffen, das jegliche Leistungen der Krankenkassen als Investition in "Humankapital" ansehe und das von Arzt und Patient gemeinsam gesteuert werde.

Ohne Transparenz keine Partnerschaft

Auch der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse, Hamburg, Prof. Dr. Norbert Klusen, wünscht sich mehr Partnerschaft zwischen Arzt und Patient. Das Hausarztprinzip führt für ihn in vielen Fällen zu unnötiger Bevormundung. Seine Krankenkasse biete bereits jetzt ein hohes Maß an Service an, etwa über Info-Broschüren und eine Hotline, um zu mehr Eigenverantwortung der Versicherten beizutragen. Harsche Kritik übte Klusen in diesem Zusammenhang an der Ärzteschaft. Immer wieder wehre sich diese mit Händen und Füßen dagegen, dass die Kassen das medizinische Leistungsangebot durch Empfehlungen an die Patienten transparenter zu machen versuchten. In denselben Kontext wie die Transparenz gehört nach Klusen auch mehr Vertragsfreiheit für die Kassen. Er hat zumindest keine Berührungsängste, mit privaten Krankenversicherungen Kooperationen einzugehen.

Politiker-Träume und die Realität

Der stellvertretende gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Horst Schmidbauer entführte die Zuhörer auf einen – leicht euphemistisch anmutenden – virtuellen Spaziergang in sein Gesundheitssystem der Zukunft. Für den Bundesvorsitzenden des Berufsverbandes der Allgemeinärzte Prof. Dr. Klaus-Dieter Kossow, Köln, waren seine Ausführungen nur ein Ausdruck dessen, dass, wie Kossow es formulierte, die Ärzte die Patienten in der Praxis eben anders erlebten als die Politiker schlechthin. Die harte Realität beleuchtete er gewohnt kritisch. Als einen Kardinalfehler des Gesundheitssystems führte er dessen fehlende Evaluierung nach vorgegebenen Maßsystemen an, eine wichtige Voraussetzung für eine rationale Weiterentwicklung. So dürfe es auch nicht verwundern, dass die Ärzte sich in einem ständig im Umbruch befindlichen System unter dem Damokles-Schwert der Wirtschaftlichkeitsprüfung so "gerne" an Leitlinien für die Versorgung klammerten.

Die Patienten müssen einfach mehr zahlen

Ungleich kämpferischer als Schmidbauer gab sich sein Counterpart aus dem politischen Lager, der jüngste direkt gewählte Bundestagsabgeordnete MdB-CDU Jens Spahn. Von den Patienten fordert er mit Nachdruck mehr Eigeninitiative und Selbstorganisation und ist deswegen ein vehementer Verfechter der Kostenerstattung. Außerdem gelte es, den Versicherten endlich klarzumachen, dass sie in Zukunft mehr zu bezahlen hätten. Von den Krankenkassen wünscht sich Spahn deutlich mehr Wettbewerb. An die Apotheker gerichtet sagt er für die Ausgestaltung des Versandhandels einen "großen Kampf" voraus, wobei im Detail möglicherweise noch diverse EG-rechtliche Hürden zu nehmen seien.

Neuorientierung der Apotheken – hin zum Patienten oder von ihm weg

In dem ab 2004 völlig veränderten Umfeld mit Versandhandel, Mehrbesitz mit der Aussicht auf Kettenbildung und Fremdbesitz,

  • iner Arzneimittelpreisverordnung mit einem Fixaufschlag im rezeptpflichtigen und freier Preisbildung im OTC-Sektor werden sich auch die Apotheken in der Tat völlig neu orientieren müssen, und zwar mit mittelbaren Auswirkungen auf die Patienten, so der Hamburger Apotheker Holger Gnekow. Er prognostiziert zwei schwerpunktmäßige Ausrichtungen, zum einen die preisorientierte "Discount-Apotheke" quasi ohne Service als Ketten-, Franchise- oder Versandapotheke und zum anderen die beratungsorientierte Apotheke. Letztere könnte aus seiner Sicht auf folgenden Säulen ruhen:
  • hoch qualifizierte – und daher finanzintensive – Mitarbeiter,
  • eine individuelle Kundenbetreuung u. a. mit Hilfe von Patientenkarten,
  • Patientenseminare zu bestimmten Krankheitsschwerpunkten,
  • Gesundheitschecks, mit dem größtmöglichen Benefit für die Patienten.

Patienten nicht länger nur Objekt des Systems

Wie seine Vorredner, darunter im übrigen Dr. Ute Altmann, die in Berlin eine kardiologische Praxis betreibt, und der Ethiker Prof. Dr. Reiner Anselm von der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen, reklamierte Gnekow ebenfalls eine erweiterte Verantwortung des Patienten. Dieser müsse dazu verpflichtet werden, sich über Gesundheitsthemen aktiv zu informieren, besser auf die eigene Gesundheit zu achten, Vorsorgeuntersuchungen in Anspruch zu nehmen, den Anweisungen des Arztes Folge zu leisten und last not least wirtschaftlich mit den Leistungen wie Arztbesuchen und Arzneimitteln umzugehen. Nur so kann es nach Einschätzung von Anselm letztendlich zu einer Abkehr von dem derzeitigen Objekt-Paradigma kommen, hin zu einem bewussten Sich-Anvertrauen des Patienten an fremde Kompetenz.

Für die nahe Zukunft erwartet der Ärzte-Funktionär Kossow jedoch noch keinen radikalen Umschwung im System. Eine Generation werde es sicher dauern, so zeige es die Erfahrung, bis sich ein neues Konzept eingependelt habe. Gabriel appellierte an alle Beteiligten, diese Entwicklung nicht einfach nur abzuwarten, sondern hieran möglichst frühzeitig und möglichst aktiv zu partizipieren.

Zitate

Nicht warten bis der Wind sich dreht, sondern von Anfang an die Segel richtig setzen. S. Gabriel

Ich habe keine Angst vor der Zukunft, es wird nur manches anders werden. H. Gnekow

Die Leistungserbringer können nur vernünftig arbeiten, wenn sie dies gegen ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen tun. E.O. Wolfshohl

Das größte Problem ist, dass der Patient den Arzt überhaupt nicht versteht. N. Klusen

Am Ende steuern Sie menschliches Verhalten immer nur über eins, nämlich "Kohle". J. Spahn

Selbst ein noch so gut informierter Patient ist kein geeigneter Kontrolleur für ärztliches Verhalten. K.-D. Kossow

Wenn man Wettbewerb will, muss man Klassenmedizin akzeptieren. K.-D. Kossow

Dem Patienten ist nichts zu teuer, aber natürlich nur, solange er es nicht selbst bezahlen muss. U. Altmann

Das ganze Gesundheitswesen tendiert von seiner Struktur eher dazu, den Menschen als Objekt aufzufassen. R. Anselm

Jeder Politiker, der behauptet, die Kosten im Gesundheitswesen könnten gesenkt werden, der lügt. J. Spahn

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