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Außenansicht: Phytopharmaka – nicht erstattungsfähig, aber fähig

Wenn rezeptfreie Arzneimittel künftig bis auf wenige Ausnahmen nicht mehr von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstattet werden, dann wirkt sich dies vor allem bei den Phytopharmaka aus und trifft naturheilkundlich orientierte Ärzte und ihre Patienten am stärksten. Als Ende der siebziger Jahre die besonderen Therapierichtungen (Phytopharmaka, Homöopathika u. ä.) in den Leistungskatalog der Krankenkassen aufgenommen wurden, konnte sich die Naturmedizin im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung entfalten und sich als Komplementär- und Alternativ-Therapie zur Schulmedizin etablieren. Eine Untersuchung des Instituts für Demoskopie Allensbach aus dem Jahr 2002 zum Thema Natur-Arzneimittel zeigt dann auch, wie sehr diese von den Menschen in Deutschland gewünscht werden: 73 Prozent der Bevölkerung setzen auf Natur-Präparate.

Wir müssen sparen, wo wir können, sagen die Gesundheitsrefomer. Richtig, aber am besten dort, wo es auch lohnt! Im Jahr 2002 lagen die Kosten für Natur-Arzneimittel bei etwa 658 Millionen Euro, das ist ein Bruchteil der Krankenkassen-Ausgaben für verschreibungspflichtige Arzneimittel (24,8 Milliarden Euro). Dieser Zahlenvergleich bietet nun wirklich keinen Anlass dazu, von den erzielten Kosteneinsparungen bei der Streichung der Phytopharmaka aus der Erstattungsfähigkeit viel Aufhebens zu machen (abgesehen davon, dass man der neuen Regelung nicht nur keine Einsparungen, sondern sogar einen Kostenanstieg voraussagt). Wohl aber lohnt es sich, darüber nachzudenken, ob diese bescheidene Einsparung (wenn sie denn eine ist) eine erneute Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit und eine weitere Verarmung der Therapievielfalt wert ist. In der zitierten Allensbach-Studie kommt mit 73 Prozent der Befragten sehr deutlich zum Ausdruck, dass der Arzt entscheiden soll, ob und welches Medikament auf Kosten der Krankenkassen verschrieben wird. Und für 33 Prozent der Befragten ist die Erhaltung der Therapiefreiheit sogar so wichtig, dass sie zu den drei wichtigsten unter insgesamt zehn vorgelegten politischen Anliegen der Deutschen zählt.

Was wird jetzt passieren? Es besteht die Gefahr, dass Natur-Arzneimittel wieder aus der Wahrnehmung vieler Ärzte verschwinden. Und die immerhin 25 000 deutschen Ärzte mit der Zusatzbezeichnung "Arzt für Naturheilverfahren" werden sich von ihren Patienten die aus Sicht von Laien verständliche Frage stellen lassen müssen, ob "nicht erstattungsfähig" gleichbedeutend ist mit "nicht wirksam". Mangelnde Wirksamkeit ist ja den Phytopharmaka von ihren Kritikern oft genug mit dem Hinweis auf fehlende Studien vorgeworfen worden (was aber vor allem mit den immensen Kosten für solche Studien und der fehlenden Patentierbarkeit der Pflanzenextrakte bzw. der Naturstoff-Gemische zusammenhängt).

Was wird noch passieren? Auf dem Selbstmedikationsmarkt herrscht schon jetzt ein starker Verdrängungswettbewerb, der für den Verbraucher das Angebot von pflanzlichen Arzneimitteln außerordentlich unübersichtlich macht. Es ist abzusehen, dass zahlreiche bewährte, oft nur in geringen Mengen produzierte Präparate den kommenden Preiskampf nicht überleben und vom Markt verschwinden werden. Andere Wirkstoffe könnten aus der Arzneimittel- in die Lebensmittel-Szene abwandern, um dort mit deutlich niedriger Wirkstoffdosis und reduzierter Qualität vermarktet zu werden. Als einzige Hoffnung bleibt, dass die hochwertigen und bewährten Mittel der seriösen Anbieter weiter dort zu finden sind, wo sie auch hingehören: in den Apotheken.

Aber kann der Normalbürger sich diese dann auch leisten? Ja, denn es wird in Zukunft immer weniger stimmen, dass das Rezept des Arztes dem Patienten überhaupt noch Geld spart. Ohne Rezept sind Arzneimittel vielfach billiger. Wirklich? Der Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) macht hierzu eine einfache Rechnung auf. Danach übersteigt der Kaufpreis eines adäquaten rezeptfreien OTC-Präparats die im Rahmen der ärztlichen Verordnung zu leistende Rezeptgebühr (mindestens 5 Euro) oft gar nicht oder nur wenig. Bewährte Markenpräparate im Bereich der Schmerz-, Erkältungs- oder Magenmittel liegen mit ihrem Preis häufig unterhalb dieser Mindestzuzahlung, so dass der Patient auch im Falle einer Verordnung das Arzneimittel de facto selbst bezahlt. Unter Berücksichtigung der so genannten Praxis-Eintrittsgebühr von 10 Euro und der Rezeptgebühr von 5 Euro ergibt sich somit eine finanzielle Einsparung durch das Rezept gegenüber dem Selbstkauf für den Patienten erst dann, wenn das Präparat mehr als 15 Euro kostet. Der Durchschnittspreis von Selbstmedikationspräparaten liegt jedoch bei weniger als 7 Euro.

Somit ist eigentlich klar, wohin der Weg des Verbrauchers führen sollte, nicht in den Supermarkt und (zunächst) nicht zum Arzt, sondern in die Apotheke, wo man zudem noch einem Arzneimittel-Experten gegenübersteht, der fachlich beraten kann (dies aber auch tun sollte). Das wird den Apotheker freuen, den Arzt eher weniger. Aber kann sich überhaupt jemand über diese Situation freuen? Wohl kaum, denn ein Gesundheitssystem, das immer nachhaltiger in das für den medizinischen Erfolg so wichtige Arzt-Patient-Verhältnis störend eingreift und Apotheker zu reinen Kaufleuten degradiert, die mit Arzneimittel-Schnäppchen-Preisen um die Verbraucher kämpfen, kann sicher nicht der Sache gerecht werden und schon gar nicht fortschrittlich sein.

Klaus Heilmann

Prof. Dr. med. Klaus Heilmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Risikoforschung, Krisenmanagement und Technikkommunikation. In der DAZ-Rubrik "Außenansicht" befasst sich Heilmann mit Themen der Pharmazie und Medizin aus Sicht eines Nicht-Pharmazeuten vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen.

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