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Außenansicht: Erstattungsausschluss rezeptfreier Arzneimittel – die Zwei-

Wie bekannt und heftig diskutiert, sollen (apothekenpflichtige) nicht-verschreibungspflichtige Arzneimittel von 2004 an generell nicht mehr von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt werden. Um es gleich zu sagen: Jede derartige regulatorische Maßnahme stellt einen weiteren Eingriff in die ärztliche Behandlungsfreiheit dar und ist mit dem Risiko verbunden, dass der Schaden am Ende den Nutzen übersteigt.

Arzneimittel haben ihren Preis, sicher. Aber sind vor allem sie es, die an der Kostenexplosion im Gesundheitswesen Schuld sind? Hier die Fakten: Im Jahr 2002 lagen die Leistungsausgaben der GKV bei 134,14 Mrd. Euro, die Arzneimittel hatten hieran mit 22,5 Mrd. Euro einen Anteil von 16,8 % – das sind die Kosten.

Gleichzeitig ist unbestreitbar, dass schätzungsweise 80 Prozent der Erfolge unseres Gesundheitswesens in Form von Krankheitsheilung, Lebensrettung oder Beschwerdenlinderung direkt oder indirekt mit Hilfe von Arzneimitteln erzielt werden - das ist der Nutzen.

Unser Arzneimittelgesetz unterscheidet zwischen verschreibungspflichtigen und nicht-rezeptpflichtigen Arzneimitteln. Der Gesetzgeber geht unter anderem davon aus, dass bestimmte Stoffe "... die Gesundheit des Menschen auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch gefährden können, wenn sie ohne ärztliche Überwachung angewandt werden ...", und auch davon, dass solche Stoffe "... häufig in erheblichem Umfang nicht bestimmungsgemäß gebraucht werden ..."

Mit der Rezeptpflicht soll sichergestellt werden, dass der Patient bei dem verschreibenden Arzt oder dem das Mittel abgebenden Apotheker in Überwachung bleibt.

Im Gegensatz zu den rezeptpflichtigen Mitteln werden in der Regel solche Arzneimittel als nicht-verschreibungspflichtig eingestuft, mit denen eine lange therapeutische Erfahrung besteht und die sich als gut verträglich, nebenwirkungsarm und gut handhabbar erwiesen haben. Die im Arzneimittelgesetz vorgenommene Differenzierung stellt also eine Maßnahme der Arzneimittelsicherheit dar und nichts anderes.

Wenn nun nicht-verschreibungspflichtige Medikamente (von noch festzulegenden Ausnahmen abgesehen) künftig nicht mehr von der GKV erstattet werden, so wird diese jahrzehntelang bewährte Sicherheitsmaßnahme für andere Zwecke missbraucht.

Ärzte werden nun nämlich – schon allein zur Vermeidung des bürokratischen Mehraufwands – zu den verschreibungspflichtigen Mitteln übergehen, denn mit einem (erstattungsfähigen) Rezept in der Tasche will der Patient schließlich die Praxis verlassen. Das Rezept ist ja auch in den meisten Fällen für den Patienten das sichtbarste Zeichen, dass für seine gesundheitlichen Probleme etwas geschieht.

Dieses voraussagbare neue Verschreibungsverhalten bedeutet natürlich auch, dass vielfach übertherapiert und ein mit dieser Übertherapie verbundenes erhöhtes Arzneimittelrisiko in Kauf genommen wird.

Die Arzneimittelsicherheit wird aber noch auf eine ganz andere Weise gefährdet. Die Verordnung von Medikamenten ist die wichtigste Behandlungsmaßnahme eines Arztes überhaupt. Das Verschreibungsverhalten hängt von der Ausbildung, vom Wissensstand, vom Alter und damit entscheidend von der Erfahrung des Arztes ab (heute auch stark vom Einfluss der Industrie und von ökonomischen Überlegungen), und wird von den Ansichten der Schulmedizin, den Meinungen in den Medien und den Wünschen der Patienten selbst beeinflusst.

Neue Bestimmungen wie Positiv- und Negativ-Listen oder Aut-idem-Regelungen sowie hier die Ausgliederung sämtlicher rezeptfreier Arzneimittel beeinflussen die Verordnungssicherheit des Arztes zusätzlich, und zwar in negativer Weise: Der Arzt verliert die Erfahrungen, die er bisher mit den von ihm bevorzugten Medikamenten gewonnen hat. Erfahrung mit einem Arzneimittel gewinnt man durch jahrelangen Umgang mit ihm, sie kann nicht durch Nachschlagen in Listen gewonnen werden.

Schließlich wird der Patient selbst verunsichert. Durch die Umstellung von dem "leichteren" rezeptfreien auf das "stärkere" verschreibungspflichtige Medikament kann er einmal zu der Vermutung gelangen, seine gesundheitliche Situation habe sich verschlechtert, sonst würde der Arzt ja nicht zu dem "stärkeren" Mittel greifen.

Oder er geht davon aus, dass die Kasse nur noch das zahlt, was auch etwas taugt, und mutmaßt, dass der Arzt bisher an ihm gespart habe. Und es wird ihm nicht einleuchten, dass er das "untaugliche Zeug" in Zukunft auch noch selbst bezahlen soll. Und damit werden die rezeptfreien Arzneimittel insgesamt diskriminiert, die Zwei-Klassen-Medizin hat die Medikamente erreicht.

Nun geschieht ja heute nichts mehr ohne Blick auf die Kosten, verständlich. Und so erhofft man sich auch von dieser Regelung des GKV-Modernisierungsgesetzes erhebliche Einsparungen. Die Kritiker der Maßnahme widersprechen und sagen sogar einen Kostenanstieg voraus, mit der Behauptung, dass die erstattungsfähigen Mittel, zu denen die Ärzte übergehen werden, nun einmal wesentlich teurer sind.

Aber stimmt diese Behauptung auch? Offenbar ja, denn die Hamburg-Münchner Ersatzkasse hat jetzt eine Auswertung aller auf ihre Kosten ausgestellten Rezepte des vierten Quartals 2002 vornehmen lassen, und dabei festgestellt, dass ein rezeptfreies Arzneimittel die Kasse im Schnitt 11,75 Euro, ein rezeptpflichtiges dagegen 30,- Euro. kostet.

Hätte man zu dieser Erkenntnis nicht auch in Berlin kommen können?

Klaus Heilmann

Prof. Dr. med. Klaus Heilmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Risikoforschung, Krisenmanagement und Technikkommunikation. In der DAZ-Rubrik "Außenansicht" befasst sich Heilmann mit Themen der Pharmazie und Medizin aus Sicht eines Nicht-Pharmazeuten vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen.

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