DAZ aktuell

Liberalisierung in Ketten (Gastkommentar)

Als mitten im August ein Zusammenbruch der Energiesysteme Teile der USA und Kanadas lahm legte, offenbarte sich ein Domino-Effekt, der nach Meinung vieler Fachleute seinen Ursprung im seinerzeitigen staatlichen Eingriff der Clinton-Regierung hatte. Die damalige Liberalisierung der Stromversorgung brachte zwar die vom Staat erhofften niedrigen Strompreise, führte aber kontinuierlich in ein marodes System. Die Deregulierung wurde mit einem gleichzeitigen Verbot von Preiserhöhungen verbunden. Bei einer zu geringen Rendite war niemand gewillt, das Geld für notwendige Investitionen bereitzustellen.

Jetzt trat das Chaos in U-Bahnen, Aufzügen und Krankenhäusern ein. Viele Menschen mussten auf der Straße übernachten, da an eine Heimfahrt nicht zu denken war. Kriminelle Elemente nutzten die Dunkelheit zu Einbrüchen und Plünderungen, die Sicherheit der Bürger geriet in Gefahr. Den Geschäften und Betrieben entstanden große Verluste, die Folgen für eine ohnehin kränkelnde Wirtschaft werden erst in Zukunft offenkundig werden.

Zur gleichen Zeit forderte in Deutschland die Herzog-Kommission über die Konsensgespräche hinausgehend mehr Wettbewerb im Gesundheitssystem durch Liberalisierung. Die bisherigen Regulierungen, z. B. im Apothekenbereich, seien veraltet, vor allem sollten Apothekenketten durch die Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbots möglich sein.

Gleichzeitig – so die Empfehlung der Fachleute Roman Herzogs – muss es den Krankenkassen künftig ermöglicht werden, für bestimmte Arzneistoffe direkt mit den Herstellern Preise und Mengen zu verhandeln. Darüber hinaus sollten die Kassen eine gewisse Preiskontrolle für neu entwickelte Medikamente ausüben können.

Wie so häufig trennen sich die Geister, so auch diesmal am Arbeitsentwurf auf Basis der Konsensverhandlungen im Arzneimittel- und Apothekenbereich. Für die einen (ABDA) werden tragende Säulen der Arzneimittelversorgung zerstört, für die anderen (u. a. Herzog) müsste es noch mehr Liberalisierung geben. Der Konsens von Frau Schmidt und Herrn Seehofer bewegt sich aber nur scheinbar in der Mitte.

Der gefundene Kompromiss, nämlich "ein Apotheker und drei mögliche Filialen", ist zugegebenermaßen ein raffinierter Einstieg in die Veränderung der Apothekenlandschaft. Herr Seehofer kann vor die Apotheker hintreten und sagen, er habe sein Versprechen vom Apothekertag gehalten und den Fremdbesitz nicht explizit in den Gesetzestext aufnehmen lassen.

Frau Schmidt kann für sich reklamieren, sie habe das bisher gesetzlich festgelegte Berufsbild des "Apothekers in seiner Apotheke" kippen können. Niemand kann belegen, ob schon heute der im Stillen gehegte Gedanke dabei war, dass es vom angestellten Filialleiter zum angestellten Apothekenleiter zu einem späteren Zeitpunkt nur noch ein kleiner Gesetzesschritt ist.

Es gibt genügend warnende Stimmen, die verfassungsrechtliche Konsequenzen vorhersagen, dass mit dieser Änderung der Fremdbesitz indirekt eingeführt wird. Aus jeweils drei Filialen werden dann nur wenige Ketten.

Wie der Bundesverband klinik- und heimversorgenden Apotheker (BVKA) in der Vergangenheit des öfteren betont hat, droht den privaten Apotheken mit der Liberalisierung eine übermächtige Gefahr von den Krankenhausapotheken. Die Krankenhäuser als künftige Zentren der integrierten Versorgung sprechen vor allem von Qualität und Kostendämpfung.

Die angestellten Kollegen aus den Krankenhausapotheken lassen keine Gelegenheit aus, ihre nach eigenem Bekunden überlegene pharmazeutische Kompetenz zu betonen, damit sie die Versorgung der ambulanten Patienten im und am Krankenhaus sowie für die Zeit danach vollständig übernehmen können.

Aber sind Qualität und Kostendämpfung die wirklichen Gründe? Geht es den Protagonisten nicht auch um eine bessere Auslastung der einst mit öffentlichen Geldern geförderten Strukturen?

Obwohl jeder weiß, dass mit einem breiten Einstieg der Krankenhäuser in ambulante Leistungen von gleichen Wettbewerbsbedingungen keine Rede mehr sein kann, sieht man gelassen möglichen Klagen entgegen. Wer will denn prüfen, welche mit Landesmitteln geförderten Baumaßnahmen und Anschaffungen nur dem stationären Bereich dienen? Dieses gilt insbesondere auch für die Krankenhausapotheken.

Allerdings ist es eine irrige Annahme zu glauben, dass immer größere Einheiten stets leistungsfähiger arbeiten. Ein möglicher Ausfall lässt sich gar nicht oder nur schwer kompensieren. Die Leistungsbereitschaft der Mitarbeiter steigt bekanntlich nicht mit der Größe des Betriebes, schon gar nicht in einem mehr und mehr planwirtschaftlich orientierten Gesundheitssystem.

Die Apotheken und im besonderen Maße die Versorgungsapotheken haben sich in der Vergangenheit als flexible und wirtschaftliche Betriebe oft genug beweisen können. Hier läge auch in Zukunft die große Chance, sich flexibel, unabhängig, mit Eigeninitiative und investitionsbereit den Herausforderungen zu stellen.

Wir wollen nicht hoffen, dass die Politik eines Tages in der Arzneimittelversorgung nur erstarrte Strukturen, am Boden daniederliegend und in Ketten gefesselt, hinterlässt. Dann geht für den Verbraucher bzw. Patienten nicht nur "für ein paar Stunden das Licht aus".

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