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BPI zu Orphan Drugs: Politik vergisst die Waisenkinder unter den Arzneimitteln

BERLIN (ks). Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) sorgt sich um die Zukunft der so genannten Orphan Drugs in Deutschland. Für hiesige Hersteller wird die Erforschung und Entwicklung dieser sehr speziellen Arzneimittel für seltene Krankheiten mit der anstehenden Gesundheitsreform erheblich unattraktiver werden. Grund: Auch für sie gilt künftig ein 16-prozentiger Preisabschlag zugunsten der Krankenkassen.

Von den heute bekannten rund 30 000 Erkrankungen sind etwa 5000 selten oder sehr selten. Nicht alle dieser seltenen Erkrankungen sind behandelbar – ein gewisser Teil kann jedoch medikamentös therapiert werden. Dazu muss sich jedoch zunächst ein Unternehmen finden, das ein entsprechendes Medikament mit einem solch geringen Absatzmarkt entwickelt.

Die Arzneimittelforschung und -entwicklung ist bekanntlich teuer. Und so bedarf es gewisser Anreize, um die Herstellung von Orphan Drugs attraktiv zu machen. Vor allem kleine und mittlere bzw. Biotech-Unternehmen haben sich dieser Aufgabe angenommen. Für große Pharmaunternehmen, die sich lieber um Blockbuster kümmern, sind Orphan Drugs meist uninteressant.

Europäisches Anerkennungsverfahren

Für Anreize sorgt in der Europäischen Union (EU) seit April 2000 eine Verordnung über Arzneimittel für seltene Leiden (Regulation on Orphan Medicinal Products) – in den USA existiert ein entsprechendes Gesetz bereits seit 1983. Nach dieser EU-Verordnung kann ein bei der europäischen Zulassungsbehörde EMEA angesiedelter Ausschuss ein Orphan Drug als solches ausweisen. Dies kann in jeder Entwicklungsstufe vor der Zulassung geschehen.

Voraussetzung für diese Anerkennung ist, dass das Arzneimittel für eine sehr schwere Krankheit bestimmt ist, an der weniger als fünf von 10 000 Personen in der EU leiden. Zudem darf es für dieses Leiden keine andere zufriedenstellende Therapiemethode in der EU geben. Sollte eine Methode bestehen, muss nachgewiesen werden, dass das Arzneimittel den betroffenen Patienten einen erheblichen Nutzen bringt. Bislang wurden rund 140 Anerkennungen durch die europäische Behörde ausgesprochen.

Anreize für die Herstellung von Orphan Drugs

Die Anreize für die Unternehmen bestehen darin, dass ihnen ein zehnjähriges Alleinvertriebsrecht eingeräumt wird und EU-Zuschüsse oder Befreiungen für das ansonsten sehr teure Zulassungsverfahren gewährt werden. Darüber hinaus werden die Arzneimittel im zentralisierten Zulassungsverfahren oder gegenseitigen Anerkennungsverfahren zugelassen, d. h. die Medikamente sind anschließend in der gesamten EU verfügbar. Auch unterstützt die EMEA die Unternehmen bei der Erstellung des Zulassungsantrages.

Widerspruch zur europäischen Intention

Wenn ab dem kommenden Jahr der 16-prozentige Herstellerrabatt auch für Orphan Drugs gilt, so fürchtet der Geschäftsführer der Orphan Europe GmbH Eberhard Kroll schwere Belastungen für sein Unternehmen und damit auch für die Patienten.

Die Umsatzerlöse sind aufgrund der geringen Patientenzahlen stark begrenzt. Auch die Herstellungskosten für die wenigen Packungen sind naturgemäß hoch. Es sei keine leere Drohung, wenn er prognostiziere, dass manch ein Medikament aus dem Handel genommen werden müsse, weil sich die Herstellung nicht mehr lohne, erklärte Kroll anlässlich eines BPI-Pressegesprächs am 29. September in Berlin.

Er und die stellvertretende BPI-Geschäftsführerin Barbara Sickmüller sind sich einig: Mit dem Herstellerrabatt wird die wirtschaftliche Förderung der EU für Orphan Drugs ad absurdum geführt. Treffen sollte die Regelung vor allem Analog-Arzneimittel ohne besonderen Zusatznutzen.

Orphan Drugs sind jedoch eine Arzneimittelgruppe, in der gerade keine Me-toos existieren: Durch das zehnjährige Alleinvertriebsrecht hat ein weiterentwickeltes Arzneimittel nur dann Marktchancen wenn es tatsächlich einen signifikanten Nutzen aufweisen kann. Auch eine Ablösung des Rabatts durch Festbeträge kommt für Orphan Drugs nicht in Betracht, da eine Gruppenbildung hier gar nicht möglich ist.

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