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Ökonomischer Sachverstand oder pure Ideologie? (Kommentar)

Die existenzbedrohende Krise der deutschen Apothekerschaft betrifft aus der Perspektive der "großen" Politik nur einen kleinen Teil der "Ausgabenseite" des Gesundheitswesens. Die großen Sorgen über die radikalen Maßnahmen auf dieser Seite dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auf der "Einnahmenseite" neue Übel drohen. Auch wenn die nicht direkt die Apotheken treffen, würden diese wieder leiden, wenn das Gesamtsystem weiteren Schaden nimmt.

Unter den Vorschlägen für Maßnahmen auf der Einnahmenseite ist immer wieder von einer breiteren Bemessungsgrundlage für die Einnahmen der GKV die Rede. Dafür sollten nicht nur Arbeitseinkünfte, sondern auch Kapital- und Mieteinnahmen in die Beitragsberechnung eingehen. Damit würde das überholte System einer Quasi-Sondersteuer auf Arbeitseinkommen auf weitere Wirtschaftsbereiche ausgedehnt.

Nachdem der Arbeitsmarkt am Boden liegt, sollen der Kapital- und der Wohnungsmarkt auch noch ruiniert werden. Durch eine feste prozentuale Kopplung einer solchen Kostengröße wird eine Kostendegression vereitelt. Das Wachstum erlahmt. Stattdessen gibt es neuen Boden für unproduktive Arbitragegeschäfte. Denn Privatversicherte und Ausländer würden am Kapital- und Wohnungsmarkt höhere Renditen erzielen als GKV-Versicherte. Doch so manche ökonomischen Experten im Regierungslager verschließen ihre Augen vor solchen Binsenweisheiten und bleiben fest auf dem politischen Kurs.

Dazu passt auch der Vorschlag, Beamte und Gutverdienende zwangsweise in die GKV zu führen. Die war doch einst als Schutzinstrument für Bevölkerungsschichten gedacht, die einer kollektiven Vorsorge bedürfen. Stattdessen wird sie immer mehr zum Zwangsinstrument für angeblich mündige Bürger, die durchaus ihre Belange selbst organisieren können.

Alle diese Maßnahmen würden letztlich mehr Zwang auf die Bürger ausüben – von wegen Liberalisierung und Wettbewerb. Offenbar nutzt die Regierung diese positiv belegten ökonomischen Trends gerne als willkommene Argumente, wenn es gegen Apotheker und Ärzte geht und freiberufliche Strukturen ins Visier geraten. Wenn es dagegen darum geht, "Besserverdienende" zur Kasse zu bitten, ist die Solidarität plötzlich wieder wichtiger als Ökonomie und Wettbewerb.

Eine Reform, die ihren Namen verdient hätte, würde feste Beitragssätze für alle Versicherten einführen – ohne Gesundheitsprüfung und Risikozuschläge, um die Grenze zur PKV zu wahren. Wer den Beitrag nicht leisten könnte, sollte aus Steuermitteln unterstützt werden. Dies gäbe ohne Verzerrungen auf Ar-beits-, Kapital- oder Immobilienmärkten und ohne neue Kontrollinstanzen echte Solidarität aller Zahlungskräftigen – einschließlich der Unternehmen und Körperschaften. Auch privat Versicherte würden dann ihren Solidarbeitrag leisten, ohne dass die Friedensgrenze zwischen GKV und PKV angetastet würde.

Dieser Teil der Beiträge stünde unter der Etatverantwortung des Bundestages, wie es sich in einer Demokratie gehört, und würde nicht über schwer kontrollierbare parafiskalische Haushalte umgeleitet. Die Sozialpolitik wäre dann endlich komplett in den Händen von Regierung und Parlament und würde nicht mehr in zentralen Teilen an die Krankenkassen delegiert.

Die leidige Debatte über falsche Anreize durch hohe Lohnnebenkosten wäre mit einem Federstrich endgültig vom Tisch. Zusatzversicherungen für besondere Leistungen wären systemkonform zu integrieren. Auch die Leistungserbringer könnten auf gute Zeiten hoffen, weil ein solches zukunftssicheres System genug Geld für innovative Leistungen bereitstellen würde.

Alle wären zufrieden, wahrscheinlich sogar die Krankenkassen. Denn die dürften wieder Versicherungen sein und könnten sich um ihre Mitglieder kümmern anstatt sie über ihre Einkünfte befragen zu müssen. So einfach wäre das alles, wenn ökonomische Argumente nicht als Deckmäntelchen für pure Ideologie herhalten müssten.

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