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In einer Vielzahl von Briefen haben Bundestagsabgeordnete der SPD in der letzten Zeit gegenüber erbosten Apothekern darauf hingewiesen, sie verstünden die ganze Aufregung nicht: die Apotheken würden doch durch das Beitragssatzsicherungsgesetz nur mit insgesamt 350 Mio. Euro belastet, also mit durchschnittlich 16 255 Euro pro Apotheke – das Resultat aus der Erhöhung des bisherigen Kassenrabattes auf bis zu 10%. Das sei tragbar.

Die Abgeordneten, die ja in der Regel keine besonderen Erfahrungen auf dem schwierigen Feld der Gesundheitspolitik haben, stützen sich dabei offensichtlich auf ein "Informationspapier des Bundesministeriums für Gesundheit und Soziale Sicherung". Es wurde den Abgeordneten im November 2002 rechtzeitig vor den entscheidenden Abstimmungen zur Verfügung gestellt. Mit diesem Papier aus dem Haus der Gesundheitsministerin – für das sie die politische Verantwortung trägt – sollten die Abgeordneten argumentativ munitioniert werden, um der Kritik von Seiten der Apotheker und der Öffentlichkeit entgegen treten zu können.

In dem Papier heißt es, die Behauptung der ABDA, durch die Rabatte verlören die Apotheken die Hälfte ihres Einkommens, sei absolut unzutreffend: "Einkommensverluste in dieser Größenordnung sind weit jenseits der Realität", die Belastungen seien vielmehr "verkraftbar". Behauptungen der ABDA, dass die Apotheken zusätzlich auch noch die Belastungen aus der Einführung des Großhandelsrabattes tragen müssten (600 Mio. Euro insgesamt, also bei 21 500 Apotheken knapp 28 000 Euro), seien "rein spekulativ". Gestützt auf diese Informationen behaupten die SPD-Abgeordneten in ihren Briefen in unterschiedlichen Formulierungen, es sei nie die Absicht des Gesetzgebers gewesen, mit dem Großhandelsabschlag die Apotheken zu treffen.

Inzwischen ist jedoch ein internes Papier aus Ulla Schmidts Gesundheitsministerium bekannt geworden, das schon im Oktober 2002 erstellt worden ist. Es steht, vorsichtig ausgedrückt, in einem merkwürdigen Kontrast zu dem oben erwähnten Informationspapier aus gleichem Hause, mit dem die Abgeordneten auf Kurs gebracht werden sollten.

Unter dem Titel "Inhalte des Beitragssatzsicherungsgesetzes (GKV)" werden (auf sechs Seiten und einer Übersicht über die Aufteilung der Gesamteinsparungen) komplett die Einzelmaßnahmen des Beitragssatzsicherungsgesetzes aufgeführt und begründet. Und es werden die erwarteten "Finanziellen Wirkungen / Belastungen" beleuchtet.

Die "Kappung" der Apothekenzuschläge für hochpreisige Arzneimittel beinhalte ein Einsparvolumen von "ca. 0,35 Mrd. Euro": "Bei ca. 21 000 Apotheken wird jede Apotheke mit ca. 16 700 Euro belastet". Diese Angabe ist noch praktisch identisch mit der Aussage in dem Informationspapier für die Abgeordneten. Das trifft auch noch für die Aussage zu, mit der Einführung des Großhandelsrabattes zugunsten der GKV ergebe sich ein Einsparvolumen von "ca. 0,60 Mrd. Euro".

Dann aber kommt's: "Geht man davon aus, dass die Großhändler 0,60 Mrd. Euro an Rabattzahlungen, die bislang an die Apotheken gehen, nun an die GKV geben, wird bei ca. 21000 Apotheken jede Apotheke mit ca. 28800 Euro belastet". Wenn man zu der Belastung der Apotheken aus der Erhöhung des bisherigen Apothekenrabattes "die Belastung durch Wegfall von Bar-Rabatten des Großhandels hinzu [addiert], beträgt die Belastung je Apotheke ca. 45 300 Euro".

Sieh an! Aus dem eklatanten Widerspruch zwischen dieser Aussage und den Aussagen des Informationspapiers für die Abgeordneten (und die Öffentlichkeit) ergeben sich eine Reihe brisanter Fragen – vielleicht sogar für den Staatsanwalt oder das Verfassungsgericht?

  • Das Gesundheitsministerium hatte offensichtlich eine genaue Vorstellung davon, was bei den Apotheken als Gesamtbelastung ankommt. Warum wurde in dem Informationspapier für die Abgeordneten so getan, als würden die Apotheken nur durch die Erhöhung ihres eigenen Rabattes belastet, obwohl das Ministerium ausweislich seines internen Papiers selbst damit rechnete, dass die wirkliche Belastung etwa dreimal so hoch sein werde? Wurde da kühl kalkuliert gegenüber den Abgeordneten mit gezinkten Karten gespielt?

  • Wurde den Abgeordneten durch Fehlinformationen Sand in die Augen gestreut, damit sie Zweifel an der Zumutbarkeit der Belastungen und an der Rechtfertigung des Gesetzentwurfes in den entscheidenden Abstimmungen zurückstellten? Auch der Chefberater der Gesundheitsministerin, der Gesundheitsökonom Lauterbach, hat sich an den Täuschungsmanövern beteiligt.

    In der Anhörung vor dem Gesundheitsausschuss erklärte er am 12. 11. 2002 auf eine besorgte Frage der SPD-Abgeordneten Margrit Spielmann, es sei "schlicht und ergreifend unmöglich, dass der Großhandel die Streichung von Natural- und Barrabatten an die Apotheker weitergeben kann."

  • Es gibt den Verdacht, dass die Ablehnung des Beitragssatzsicherungsgesetzes im Bundesrat mit der Kanzlermehrheit im Bundestag nicht hätte überstimmt werden dürfen, weil das Gesetz eigentlich der Zustimmung des Bundesrates bedurft hätte.

    Normenkontrollverfahren, bislang eingeleitet durch die CDU/FDP-Koalition in Baden-Württemberg, sollen klären, ob das BSSichG vor diesem Hintergrund verfassungskonform zustande gekommen und in Kraft gesetzt worden ist. Muss jetzt der Staatsanwalt oder das Verfassungsgericht zusätzlich prüfen, ob zur Beschaffung der Mehrheit im Bundestag arglistige Täuschung oder gar politischer Betrug im Spiel war?

  • Ist auch die Öffentlichkeit (bewusst?) in die Irre geführt worden? In einer Pressemitteilung des BMGS vom 19. 12. 2003 wird unter der Überschrift "Apotheker rechnen sich arm" die Ministerin persönlich mit der Aussage zitiert: "Die Apotheker behaupten, von den im Beitragssatzsicherungsgesetz vorgesehenen Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen überproportional betroffen zu sein. Das trifft nicht zu". Die Apotheker hätten seit 1998 aus den Ausgabensteigerungen im Arzneimittelbereich "üppigen Gewinn gezogen.

    Jetzt sollen rund 1,4 Mrd. Euro an die gesetzliche Krankenversicherung zurückgegeben werden. Rund 350 Mio. davon entfallen auf die Apotheken". Kein Wort davon, dass nach interner Einschätzung aus dem eigenen Haus die Belastung der Apotheken nicht bei 350 Mio. Euro, sondern bei 950 Mio. liegt (was sich mit Hinweisen der Apotheker weitgehend deckt).

    Auch Verschweigen kann Desinformation sein. Merkt die Ministerin nicht, dass sie sich des Vorwurfs der Rosstäuscherei aussetzt? Oder wusste im Gesundheitsministerium die eine Hand nicht von der anderen? War auch die Ministerin nicht informiert? Das wäre schon schlimm. Aber es wäre noch die freundlichste Variante.

  • Eine Gruppe von rund 50 SPD-Abgeordneten hat dem Beitragssatzsicherungsgesetz nur unter dem Vorbehalt zugestimmt, dass im Laufe des Jahres 2003 eine Überprüfung der geplanten und tatsächlich von den Apotheken erbrachten Sparbeiträge erfolgt. Sind auch diese Abgeordneten mit Fehlinformationen eingeseift worden – und von wem?

    Diesen Abgeordneten hat man offensichtlich eingeblasen, der Großhandel könne "seinen Einsparbeitrag [von 600 Mio. Euro] ohne weiteres aufbringen". Er habe 2001 einen "Erlös" von fast 2,5 Milliarden erzielt, aber nur 1,1 Milliarden an die Apotheken als Rabatt weitergereicht. Mit dem "Erlös" können die Abgeordneten der Höhe nach nur den Rohertrag meinen, aus dem der Großhandel neben den bisher gewährten Rabatten aber auch sämtliche Kosten finanzieren muss.

    Sie verwechseln den Rohertrag offensichtlich mit dem Gewinn. Dieser betrug in der gesamten Branche rund 220 Mio. Euro, also ein Bruchteil der geforderten 600 Mio. Euro.

    Neutral für die Apotheken könnte der Großhandelsabschlag nur sein, wenn der Großhandel den Apotheken zusätzlich zu den bisherigen Einkaufsvorteilen weitere 600 Mio. Euro zukommen ließe, die diese dann an die GKV weiterreichen würden. Bei einer Umsatzrendite von 220 Mio. Euro (ca. 1,1% des Umsatzes) ist dies schlechterdings unmöglich. Mit einem Überschuss von 220 Mio. Euro können nicht 600 Mio. Euro an die Apotheken weitergegeben werden, ohne den Weg in die Insolvenz anzutreten.

    Heute wissen wir, dass diese Zusammenhänge im Ministerium bekannt waren. Sie wurden verschwiegen. Warum lässt die Ministerin solchen Spuk zu? Welche Konsequenzen wird haben, dass die Öffentlichkeit und viele Abgeordnete schlicht für dumm verkauft wurden?

    Klaus G. Brauer

  • Nur Irreführung oder schon Betrug?

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