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Stellenwert der Arzneitherapie: über den Nutzen des Arzneimittels

KÖLN (ck). Zukünftig soll eine Nutzenbewertung von Arzneimitteln durch ein an die Selbstverwaltung angegliedertes Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen erfolgen. Wie aber wird der Nutzen eines Arzneimittels bemessen? Und welchen Beitrag kann der Apotheker zu einer Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimitteltherapie leisten? Im Rahmen des Apothekertages wurden diese Fragen in einem gemeinsamen Symposium der Bundesapothekerkammer (BAK) und der Fachgruppe Apotheker in Wissenschaft, Industrie und Verwaltung (WIV) diskutiert.

Im Entwurf des Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetzes war die Errichtung eines Deutschen Zentrums für Qualität in der Medizin vorgesehen, dessen Aufgabe unter anderem die Durchführung von Nutzen-Kosten-Bewertungen von Arzneimitteln sein sollte.

Gemäß den Eckpunkten der Konsensverhandlungen sowie der ersten Formulierungshilfe für einen Gesetzesentwurf heißt die neu zu gründende Einrichtung nun Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Statt einer Nutzen-Kosten-Bewertung ist nun nur noch eine Nutzenbewertung von Arzneimitteln vorgesehen, wie Prof. Dr. Oliver Schöffski von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg ausführte, der Begriff Kosten sei herausgefallen.

Quantifizierung des Nutzens, der Qualität und der Wirtschaftlichkeit

Dieses Institut soll die anstehenden Fragen zum Nutzen, zur Qualität und zur Wirtschaftlichkeit von Arzneimitteln beantworten. Im Gesetzentwurf ist allerdings nicht klar definiert, was eigentlich unter Nutzen eines Arzneimittels verstanden wird. Der ökonomische Nutzen ist zumindest nicht explizit ausgenommen.

Es bleibt vor allem die Frage offen, wie der Nutzen eines Arzneimittels überhaupt gemessen werden soll: Die Kosten zu bemessen ist relativ einfach, für den medizinischen Nutzen dagegen gibt es keine Maßeinheit.

Als Ausweg aus dem Dilemma stehen eine Reihe von Möglichkeiten zur Verfügung: So können naheliegende, gut quantifizierbare natürliche Einheiten genutzt werden, wie z. B. die Verlängerung der schmerzfreien Gehstrecke, die Remissionsrate eines Tumors oder die Reduzierung des Cholesterinspiegels.

Wenn eine direkte Beobachtung und Messung nicht möglich ist, können Veränderungen bei einem künstlichen Score – z. B. dem PASI bei Psoriasis oder dem Minimal Mental State-Test bei der Alzheimer-Demenz-herangezogen werden.

Bei einer akuten Erkrankung ist auch die Anzahl "erfolgreich behandelter Fälle" bestimmbar. Oder soll der Nutzen in gewonnenen Lebensjahren oder in einer Erhöhung der Lebensqualität ausgedrückt werden? Der absolute Nutzenzuwachs für die Bevölkerung muss quantifiziert und über alle Indikationen vergleichbar gemacht werden, betonte Schöffski.

Ein Vergleich mit einem Referenzarzneimittel kann hierbei nur ein erster Schritt sein. Die typischen Endpunkte klinischer Studien sind nicht ausreichend, es ist ein generisches Nutzenmaß zu verwenden. Die Lebensqualitätsmessung und die Berücksichtigung der Sicht des Patienten gewinnt damit zunehmend an Bedeutung.

Der Gesetzgeber hat sich bei der Bewertung von Arzneimitteln prinzipiell auf Nutzenaspekte beschränkt, eine separate Kostenbewertung ist nicht vorgesehen. Damit, so Schöffski, wurde von beiden möglichen Größen die methodisch schwierigere gewählt. Es bleibe daher abzuwarten, wie das neu zu gründende Institut die Vorschriften konkret umsetzen wird.

"Jede Kette ist so stark wie ihr schwächstes Glied ..."

Und in der Kette der Arzneitherapie ist zweifelsohne der Patient das schwächste Glied, wie Dr. Hiltrud von der Gathen aus der Ickerner Markt-Apotheke aus Castrop-Rauxel mit dem Hinweis auf die Schlüsselrolle des Apothekers hervor hob.

Die Auswahl wirksamer Arzneimittel auf der Basis Evidenz-basierter Leitlinien ist eine wichtige Grundlage für die Effektivität der Arzneitherapie. Effizient wird die Therapie aber erst dadurch, dass der Patient die richtig ausgesuchten, wirksamen Arzneimittel auch richtig anwendet.

Pharmazeutische Betreuung und Hausapothekenmodell

Genau in diese Richtung zielt die von vielen Apothekerinnen und Apothekern bereits heute praktizierte Pharmazeutische Betreuung. Sie ist ein wichtiger Baustein des von der Apothekerschaft angebotenen Hausapothekenmodells. Hier werden arzneimittelbezogene Probleme erkannt und gelöst.

Dazu gehören unnötige Doppelverordnungen unterschiedlicher Ärzte, arzneimittelinduzierte Erkrankungen, Abbau von unnötigen Verunsicherungen und Ängsten bei der Arzneimittelanwendung und vieles mehr. Mit Hilfe einer pharmazeutischen Begleitung des Patienten werden sowohl der Nutzen der ausgewählten Arzneitherapie optimiert als auch die finanziellen Ressourcen des Systems geschont.

Darüber hinaus wird der Patient zu einer krankheitsvermeidenden, gesundheiterhaltenden Lebensweise motiviert. Es gilt im Auge zu behalten, dass im Vergleich zu Krankenhausaufenthalten und Krankschreibungen die Arzneitherapie immer die preiswerteste Therapie ist. Es solle mit dem Arzneimittel gespart werden und nicht am Arzneimittel, so von der Gathen.

Transparenz im unübersichtlichen Arzneimittelmarkt

Dass eine erteilte Zulassung eines Arzneimittels, nach der die Kriterien Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit erfüllt sein müssen, nichts über seinen Nutzen aussagt, stellte Prof. Dr. Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik der Universität Bremen dar.

Die Zulassung stelle als "Ja/Nein-Entscheidung" nur eine Voraussetzung dar: Sie ist nicht gleichzusetzen mit dem Nachweis des therapeutischen Nutzens. Das geplante Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen muss Kriterien für eine Nutzenbewertung und die entsprechenden Studien vorlegen, die diese Nutzenbewertung nach den Klassen A, B und C planbar und transparent machen.

Durch ein positives Ergebnis werden Ergebnisse im Bereich des therapeutischen Fortschritts in den Klassen A und B herausgehoben, Scheininnovationen aus der Klasse C werden aber nicht länger als gleichwertig neben solchen wirklichen Innovationen stehen können. Und das Institut wird Empfehlungen geben, die auf diesen Bewertungen aufbauen und in der Verordnung berücksichtig werden sollen.

Vernünftige Anwendungsstudien sind erforderlich

Zur Nutzenbewertung sind Endpunktstudien für medizinisch relevante Kriterien erforderlich. Als Vergleich dienen Referenzsubstanzen mit der aktuell am besten bestätigten Evidenz. Dabei geht es nicht um Äquivalenz, die neuen Mittel müssen einen deutlichen Zusatznutzen aufweisen.

Studien zum Nutzen stellen auch und vor allem den Nutzen für die behandlungsbedürftigen Patientinnen in der Vordergrund – sie sollten Studien nach der Methodik gut geplanter Anwendungsbeobachtungen sein, in denen dem Arzt "über die Schulter" geschaut und nicht aufgrund des Studienplans interveniert wird, forderte Glaeske.

Dabei werden Daten und neue Erkenntnisse über die Akzeptanz und Verträglichkeit des Mittels ebenso erhoben wie über seine Handhabbarkeit und Compliance. Präferenzen der Patienten und ihre Lebensqualität sind ebenfalls Teil der Untersuchung. Eine solche Nutzenbewertung wird zu mehr Transparenz im unübersichtlichen Arzneimittelmarkt führen.

Im Mittelpunkt steht nicht mehr nur die absolute Wirksamkeit eines einzelnen Arzneimittels als Anforderung im Zulassungsprozess, wie Glaeske hervorhob, sondern die relative Zuordnung zum gesamten Angebot in der Behandlung, auch zu nicht-medikamentösen Interventionen.

Rollenverteilung von Arzt und Apotheker

Dr. Jürgen Bausch, Ehrenvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, legte die ärztliche Sicht zu diesem Thema dar. Sie bleibe so lange gespalten, solange nur der ambulante Sektor wirtschaftlich in Regress genommen wird, wenn zu viel und zu teuer verordnet wurde, während die Krankenhausärzte aus dem Vollen schöpfen können, weil ihre Krankenhausapotheken mit Neuheiten kostenlos und preiswert beliefert werden.

Bausch betonte, dass die endgültige Positionierung des Apothekers in diesem Prozess erst noch gefunden werden müsse. Er hob zwar lobend hervor, dass in der pharmazeutischen Fachpresse oftmals umfangreicher, aktueller und oft auch kritischer über das Marktgeschehen und über einzelne Arzneimittel berichtet wird als beispielsweise im Deutschen Ärzteblatt oder der Ärzte Zeitung, aber "die unterschiedliche Rollenverteilung von Arzt und Apotheker und die bevorstehende Entpersonalisierung der Arzneimittelvertriebswege sind nicht dazu angetan zu erwarten, dass sich der Apotheker ungefragt in die Arzneimittelverordnung des Arztes einmischen wird!

Die Sicht des Krankenhausapothekers

Eine "Schlepperfunktion" durch Entlassungsempfehlung von teuren Neuheiten nach stationärer Behandlung aus der Klinik heraus in den ambulanten Bereich bestritt Dr. Hans-Peter Lipp, Chefapotheker der Universitätsapotheke Tübingen.

Er beeilte sich, aus der Sicht eines Krankenhausapothekers festzustellen, dass an diesen Einrichtungen nicht einfach "locker-flockig" Arzneimittel abgegeben werden. Lipp zeigte die wichtige Stellung auf, die Krankenhäuser und Krankenhausapotheker im Spannungsfeld der aktuell bestehenden Möglichkeiten der Pharmakotherapie und den ökonomischen Grenzen einnehmen.

In vielen Fällen erfolgt die Ersteinstellung auf ein Arzneimittel in den Räumen des Krankenhauses. Da es immer noch Budgets gibt, die hinsichtlich des Finanzierungssystems eine strenge Trennung zwischen Krankenhäusern und dem niedergelassenen Bereich vorsehen, sei jedoch nicht selten zu beobachten, dass eine Arzneimitteltherapie, die im Krankenhaus teilweise sehr kostengünstig eingeleitet werden kann, vom niedergelassenen Bereich nicht weitergeführt wird, da sie möglicherweise hier als zu starke Budgetbelastung aufgefasst wird.

Mitspracherecht für die Industrie gefordert

Dr. Timm Volmer von der GlaxoSmithKline GmbH & Co. KG aus München legte die Sichtweise der pharmazeutischen Industrie dar. Er betonte, dass es gewährleistet sein muss, dass alle Beteiligten am Entscheidungsprozess einer Nutzenbewertung teilnehmen. Auch die Hersteller und die Patienten haben ein Recht darauf, angehört zu werden.

Ein strukturierter Dialog wie z. B. bei Zulassungsverfahren der amerikanischen Food and Drug Administration FDA, der europäischen (EMEA) oder der deutschen Zulassungsbehörde (BfArM) sollte möglich sein. Volmer legte besondern Wert darauf, dass die Rechte auf Transparenz, Objektivität und rechtliche Überprüfbarkeit erfüllt werden: Die Methoden sollten wissenschaftlich anerkannt sein und Entscheidungsgründe nachvollziehbar kommuniziert werden.

Bewertung des Nutzens darf nicht zu Erstattungseinschränkungen führen

Eine gründliche, Evidenz-basierte Beurteilung des Nutzens ist nur möglich, wenn ausreichende Daten während des täglichen Einsatzes neuer Arzneimittel unter realistischen Bedingungen gesammelt werden konnten.

Die Bewertung von Arzneimitteln erfordert Professionalität und Kompetenz in den jeweiligen Fachgebieten, sie muss im Endeffekt durch eine medizinisch-wissenschaftliche Einrichtung durchgeführt werden, die staatsfern und unabhängig von den Herstellern, aber auch von den finanziellen Interessen der Krankenkassen sei, hob Volmer hervor.

Als Organisationsform ist, wie im GMG geplant, eine Stiftung denkbar. Ein Erstattungsausschluss durch das Gremium des "Gemeinsamen Bundesausschusses" ist nach Meinung von Volmer abzulehnen. Dieser sei sehr mächtig und nicht vollständig demokratisch legitimiert. Dagegen helfen Nutzenbewertungen adäquate Informationen zum richtigen, zweckmäßigen und wirtschaftlichen Einsatz von Diagnose- und Therapieverfahren zu gewinnen.

Die letztendliche Entscheidung über eine Erstattung im Rahmen der GKV sollte deshalb nicht wie im GMG durch den Bundesausschuss, in dem die betroffene Krankenkasse die Hälfte der Stimmen innehat, sondern durch den Gesetzgeber erfolgen.

Zukünftig soll eine Nutzenbewertung von Arzneimitteln durch ein an die Selbstverwaltung angegliedertes Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen erfolgen. Wie aber wird der Nutzen eines Arzneimittels bemessen? Und welchen Beitrag kann der Apotheker zu einer Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimitteltherapie leisten? Im Rahmen des Apothekertages wurden diese Fragen in einem gemeinsamen Symposium der Bundesapothekerkammer (BAK) und der Fachgruppe Apotheker in Wissenschaft, Industrie und Verwaltung (WIV) diskutiert.

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