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Das Medikament in der Haftung: Ein Produkt wie jedes andere?

HAMBURG (ilm). Meldungen aus den USA über Sammelklagen geschädigter Verbraucher und Zahlungen horrender Schadensersatzleistungen durch die beklagten Pharma-Unternehmen beschäftigen die deutsche Öffentlichkeit immer wieder. In Hamburg trafen sich Anfang September juristische und medizinische Experten, um sich vor dem Hintergrund der Lipobay-Affäre mit Aspekten der Arzneimittelsicherheit und rechtlichen Fragen der Produkthaftung in den USA und in Deutschland zu beschäftigen.

Die rechtliche Seite

In Deutschland regelt die Produkthaftung pharmazeutischer Unternehmen das Arzneimittelgesetz. Es sieht eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung zu Gunsten der Verbraucher vor. "Die Voraussetzung für Schadensersatzleistungen sind klar geregelt: Die schädliche Wirkung muss trotz bestimmungsgemäßem Gebrauch auftreten oder die Fach- beziehungsweise Gebrauchsinformation durch den Hersteller muss fehlerhaft sein", erklärte Dr. Uwe Fröhlich von der international tätigen Anwaltskanzlei Lovells.

Nach neuesten Gesetzesnovellierungen sehen die Haftungsbestimmungen außerdem einen Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes vor.

Im Gegensatz zum deutschen ist das amerikanische Rechtssystem klägerfreundlicher. Auf der Basis so genannter "minimum contacts" begründen amerikanische Gerichte ihre internationale Zuständigkeit bereits bei "anhaltenden und systematischen" Geschäftsaktivitäten eines ausländischen Unternehmens auf amerikanischem Boden.

Prinzipiell bedeutet das, dass auch deutsche Unternehmen, die ihre Produkte in den USA vermarkten, dort in vollem Umfang für die Sicherheit ihrer Erzeugnisse haften. Das Gespenst der Sammelklage verliert aber, wie Rechtsanwältin Ina Brock von der Kanzlei Lovells ausführte, angesichts der Tatsache, dass viele dieser Klagen abgewiesen werden, ein wenig von seinem Schrecken.

Überdies sind Sammelklagen für die Produkthaftung bei Medikamenten oft gar nicht geeignet. Dies liegt in erster Linie daran, dass die Wirkung medizinischer Produkte nicht unabhängig vom Verhalten und der Konstitution des Patienten betrachtet werden kann. Eine individuelle Einzelfallbetrachtung bei auftretenden Nebenwirkungen ist daher unumgänglich.

Im Gegensatz zum amerikanischen gibt es im deutschen Recht das Mittel der Sammelklage nicht. Jeder Schadensfall, auch bei Schädigungen im Zusammenhang mit Arzneimittelgebrauch, wird einzeln betrachtet und verhandelt. Allerdings gibt es Klägeranwälte, die sich darauf spezialisiert haben, bei Massenschäden mehrere Klageparteien gemeinschaftlich in einzelnen Prozessen zu vertreten.

Die medizinische Seite

Grundsätzlich stellt sich nach Ansicht der Experten die Frage, inwieweit ein Medikament überhaupt "Sicherheit" versprechen kann. Gesetzliche Rahmenbedingung für die Vermarktung von Arzneimitteln bildet das Zulassungsverfahren auf der Basis des Arzneimittelgesetzes, wie Prof. Dr. Henning Blume, Oberursel, erläuterte: In vorklinischen und klinischen Studien muss der Hersteller nicht nur den Wirkungsnachweis eines Medikaments erbringen, sondern auch seine Unbedenklichkeit glaubhaft machen.

"Unbedenklichkeit", wie der Arzneimittelexperte und Risikoforscher Prof. Dr. med. Klaus Heilmann, München, betonte, "ist nicht gleichzusetzen mit absoluter Sicherheit." Heilmann plädierte für eine Relativierung der Begriffe "Arzneimittelsicherheit" und "Arzneimittelrisiko".

Überdies zeigen sich viele Arzneimittelwirkungen – und dazu gehören vor allem die unerwünschten Nebenwirkungen – erst, nachdem ein Medikament Jahre auf dem Markt ist und von Tausenden, wenn nicht Millionen Patienten angewendet wird. Nicht nur die individuelle Konstitution des einzelnen Patienten spielt hierbei eine Rolle, sondern auch Verschreibungs- und Anwendungsfehler ziehen unerwünschte Wirkungen nach sich.

Nicht alle Eventualitäten aber können, wie Blume betonte, im Rahmen des Zulassungsverfahrens getestet werden. "Die Zulassung eines Arzneimittels beruht letztlich auf der Prüfung eines Modells. Größere Testgruppen von vielleicht hunderttausend Patienten und mehr würden die Zulassung neuer Arzneimittel verschleppen und auf der anderen Seite möglicherweise größere Schäden durch unterbliebene Behandlung verursachen."

Die Experten waren sich darüber einig, dass Risiken bei Arzneimitteln nie völlig auszuschließen sind. Wichtig für größtmögliche Sicherheit sind daher nicht nur eine ausreichende Produkt-Kontrolle, sondern vor allem die Kommunikation mit dem Verbraucher. Hier ist auch der Apotheker gefordert, der neben dem Arzt einen wichtigen Beitrag zum sachgerechten Einsatz und verantwortungsvollen Gebrauch von Arzneimitteln leisten kann.

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