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Phytopharmaka: Auch bei Kopfschmerz und Migräne gibt es pflanzliche Alternative

Zur Selbstmedikation von Kopfschmerzen leichten bis mittelschweren Ausmaßes stehen neben den chemisch definierten Wirkstoffen Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Ibuprofen auch einige Phytopharmaka zur Verfügung. Hier ist in erster Linie das Pfefferminzöl zu nennen, das die Kliniker auch zur Anwendung bei Schulkindern empfehlen. Zur Prophylaxe von Migräneanfällen sind Extrakte der Pestwurz und des Mutterkrauts geeignet. Zur Anwendung von coffeinhaltigen Präparaten liegen keine klinischen Studien vor Ų hier herrscht nach wie vor die Empirie. Ein gewichtiger Vorteil der Phytopharmaka gegenüber den synthetischen Präparaten besteht nach gegenwärtigem Kenntnisstand darin, dass sie kein Kopfschmerz-induzierendes Potenzial aufweisen.

Das ätherische Öl der Pfefferminzblätter (Mentha u piperita) besteht aus (–)-Menthol, Menthon, Menthylacetat, Menthofuran sowie kleinen Anteilen weiterer Mono- und Sesquiterpene, die teilweise glykosidisch gebunden sind. Es wirkt u. a. spasmolytisch sowie schmerzlindernd bei experimentell erzeugtem Ischämie- und Hitzeschmerz; diese Wirkungen beruhen wahrscheinlich überwiegend auf einem Calciumantagonismus, d. h. auf einem verringerten Ca++-Ausstrom aus den Muskel- bzw. peripheren Nervenzellen.

Ätherisches Pfefferminzöl ist in einigen traditionellen Kombinationspräparaten mit weitreichendem Therapiespektrum einschließlich Kopfschmerzen enthalten. Bei der letzteren Indikation sind die Präparate stets äußerlich anzuwenden: Wenige Tropfen werden auf Stirn und Schläfen eingerieben.

Speziell mit der Indikation "bei nervenschmerzähnlichen Beschwerden, z. B. bei leichten und mittelschweren Kopfschmerzen vom Spannungstyp" ist eine 10%ige Lösung ätherischen Pfefferminzöls in 96%igem Ethanol auf dem Markt (Euminz®). Mit diesem Präparat wurden unter der genannten Indikation drei plazebokontrollierte Doppelblindstudien (u.a. Göbel et al. 1996; Göbel 1998) mit insgesamt 190 Patienten durchgeführt.

Die Ergebnisse waren positiv:

  • Das Verum reduzierte bereits nach 15 Minuten die Schmerzintensität gegenüber Plazebo statistisch signifikant.
  • Die zusätzliche Gabe von 1 g Paracetamol pro Tag (2 Kapseln à 500 mg) steigerte die Wirkung des Prüfpräparates zwar noch etwas, aber nicht signifikant.
  • Im Vergleich sowohl mit Paracetamol als auch mit Acetylsalicylsäure (jeweils 1 g/Tag) erwies sich das Prüfpräparat als gleichwertig.

Bei der Anwendung von Pfefferminzöl-Präparaten ist darauf zu achten, dass sie nicht in die Augen gelangen. Bei Säuglingen und Kleinkindern dürfen sie nicht im Bereich des Gesichtes angewandt werden, weil es durch Einatmen von Pfefferminzöl zum Kratschmer-Reflex (Glottiskrampf) mit Erstickungsgefahr kommen kann. Achtung: Eine plazebokontrollierte Vergleichsstudie von Euminz® und Paracetamol bei Migränepatienten (n = 102) ergab, dass die Pfefferminzöl-Lösung bei dieser Indikation nicht wirksam ist. Dieses Ergebnis zeigt einmal mehr, dass vor der Empfehlung eines Präparates zur Selbstmedikation eine sorgfältige Differentialdiagnostik erfolgen muss.

Weidenrinde bei Spannungskopfschmerzen

Zu den ältesten Arzneidrogen, deren orale Zubereitungen zur Behandlung von Kopfschmerzen dienen, zählt die Rinde verschiedener Weiden-Arten (Salix spp.). Von ihrem Hauptwirkstoff Salicin ist bekanntlich die Acetylsalicylsäure abgeleitet, deren Erfolgsgeschichte über hundert Jahre alt und unter den synthetischen Arzneistoffen einzigartig ist.

Salicin ist ein Glykosid, dessen arzneilich wirksamer Bestandteil, die Salicylsäure, erst nach der Magenpassage im Darm und in der Leber freigesetzt wird. Aufgrund synergistischer Effekte der Salicylsäure mit anderen Inhaltsstoffen des Weidenrindenextraktes ist nur eine vergleichsweise geringe Dosis erforderlich.

Anders als ihr Acetylderivat scheint die Salicylsäure weder die Thrombozytenaggregation noch die Cyclooxygenase im Magengewebe zu hemmen, sodass bei der Anwendung der entsprechenden Präparate mit den vergleichsweise kleinen Wirkstoffmengen keine Mikroblutungen im Intestinaltrakt, wie sie unter ASS-Einnahme auftreten können, beobachtet wurden.

Die Kommission E hatte die Weidenrinde für die Indikationen Fieber, Rheuma und Kopfschmerzen positiv monographiert. Die damals empfohlene Tagesdosis von 60 bis 120 mg Gesamtsalicin ist in der aktuelleren ESCOP-Monographie auf bis zu 240 mg Gesamtsalicin entsprechend 50 mg ASS erhöht worden.

Während die Wirksamkeit eines Weidenrinde-Monopräparates (Assalix®) bei rheumatischen Beschwerden mit positivem Ergebnis klinisch geprüft wurde, beruht seine Empfehlung bei Kopfschmerzen bisher nur auf Empirie. Eine aussagekräftige klinische Studie mit dieser Indikation fehlt noch. Das gleiche gilt für mehrere Zubereitungen der Teufelskralle, deren Wirksamkeit bei Arthritis belegt ist, und für coffeinhaltige Weidenrinde-Kombinationspräparate (Zeller Kopfschmerz Dragees).

Guarana

Coffein ist ein Bestandteil zahlreicher Schmerzmittel. Sein Nutzen ist unter den Experten umstritten. Immerhin behaupten viele Patienten, dass sie schon durch eine Tasse Kaffee von ihren (leichten) Schmerzen befreit werden. Eine vergleichsweise junge Bereicherung unserer coffeinhaltigen Drogen stellt Guarana dar, eine aus den Samen der südamerikanisch-tropischen Kletterpflanze Paullinia cupana hergestellte Paste, die in ihrer Heimat zu einem anregenden Getränk weiterverarbeitet wird. Seit einigen Jahren steht eine Guarana-Urtinktur auch in Europa als Arzneimittel zur Verfügung.

Da das Coffein (4 bis 5%) in Guarana – ähnlich wie bei grünem und schwarzem Tee – großenteils an Gerbstoffe gebunden ist, wird es im Körper nur allmählich freigesetzt. Die anregende Wirkung hält mehrere Stunden an, unerwünschte Wirkungen wie Tachykardie und Nervosität treten dagegen nicht auf.

Klinischen Studien zur Anwendung von Guarana-Urtinktur liegen zwar nicht vor und sind auch nicht zu erwarten; mancher Patient mit Spannungskopfschmerz oder Migräne mag jedoch seine eigene Erfahrung mit diesem Mittel machen, zumal eine gesundheitliche Gefährdung bei empfohlener Dosierung auszuschließen ist.

Pestwurz bei Migräne

Die Pestwurz (Petasites hybridus) enthält lebertoxische Pyrrolizidinalkaloide (PA) und galt deshalb seit den 80er-Jahren als obsolet. Durch die Züchtung und den Anbau PA-armer Sorten und die Extraktion des Wurzelstocks mit überkritischem CO2 ist es jedoch gelungen, ein PA-freies Präparat zu entwickeln und auf den Markt zu bringen (Petadolex®).

Die Wirksamkeit von Pestwurz-Extrakten dürfte überwiegend auf der vasodilatierenden Wirkung der in ihnen enthaltenen Petasine beruhen, denn einem Migräneanfall geht eine Minderdurchblutung des Gehirns voraus. Pestwurz dient nicht zur Behandlung eines akuten Migräneanfalls, sondern zur Migräneprophylaxe; eine prophylaktische Therapie gilt dann als gerechtfertigt, wenn die Anfälle mehr als zwei- bis dreimal pro Monat auftreten.

In einer plazebokontrollierten Doppelblindstudie (Grossmann und Schmidramsl, 2000; n = 60) sank im Zeitraum von acht Wochen die Anzahl der Migräneanfälle unter Petadolex® um 60%, unter Plazebo jedoch nur um 17%. In einer weiteren Studie (Göbel et al., 2001; n = 202) kam es unter Verum nach drei Monaten sogar zu einer 70%igen Reduktion der Migräneattacken. Obwohl in beiden Studien kein direkter Vergleich mit einem Synthetikum durchgeführt wurde, sprechen diese Ergebnisse für die Gleichwertigkeit des Petasites-Extraktes mit Betablockern, Calciumantagonisten und Serotoninantagonisten.

Mutterkraut bei Migräne

Mutterkraut (Tanacetum parthenium) ist vor allem in Großbritannien, aber auch in Frankreich und in der Schweiz als Mittel zur Migräneprophylaxe bekannt und wird insbesondere von weiblichen Migränepatienten geschätzt. Der Hauptwirkstoff ist vermutlich das Sesquiterpenlacton Parthenolid, ein Serotoninantagonist.

Mit Mutterkraut-Extrakt sind vier klinische Studien durchgeführt worden, die dessen Wirksamkeit belegen. So zeigte eine randomisierte, plazebokontrollierte Doppelblindstudie über neun Monate (J.J. Murphy et al. 1988; n = 72), dass unter Verum die Häufigkeit und Schwere der Migräneanfälle signifikant gemindert wurden. Zudem besserten sich die charakteristischen Begleiterscheinungen der Migräne wie Übelkeit, Schwindel und Erbrechen sehr deutlich. Schwerwiegende Nebenwirkungen des Mutterkraut-Extraktes traten bei diesen Studien nicht auf. Bei Patienten, die gegenüber Korbblütlern überempfindlich sind, kann es jedoch zu allergischen Reaktionen kommen.

Diese kurze Übersicht zeigt, dass es auch für Patienten mit Kopfschmerz vom Spannungstyp oder mit Migräne, die die Einnahme synthetischer Arzneimittel vermeiden möchten, einige Alternativen aus der Phytotherapie gibt. cae

Zur Selbstmedikation von Kopfschmerzen leichten bis mittelschweren Ausmaßes stehen neben den chemisch definierten Wirkstoffen Acetylsalicylsäure, Paracetamol und Ibuprofen auch einige Phytopharmaka zur Verfügung. Hier ist in erster Linie das Pfefferminzöl zu nennen, das die Kliniker auch zur Anwendung bei Schulkindern empfehlen.

Kopfschmerz-Literaturtipp Lehrbuch der Schmerztherapie. Grundlagen, Theorie und Praxis für Aus- und Weiterbildung. Von Michael Zenz (Hrsg.) und Ilmar Jurna (Hrsg.). 970 Seiten, 324 Abbildungen, 249 Tabellen. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH 2001. Euro 75,70 ISBN 3-8047-1805-1

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"Kopfschmerzen sind ein wichtiges und hartnäckiges Problem von Schülern. Bis zu 50 Prozent der Kinder leiden bereits an immer wieder auftretenden Kopfschmerzen." Prof. Dr. Hartmut Göbel, Schmerzklinik Kiel

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