DAZ aktuell

Gesundheitsreform: Ungereimtheiten im Reformentwurf

BONN (im). Der am 11. August bekannt gewordene Arbeitsentwurf zur Reform aus dem Gesundheitsministerium geht in wichtigen Punkten über das zwischen Regierung und Opposition vereinbarte Eckpunktepapier vom 21. Juli hinaus. Ungereimtheiten finden sich beispielsweise bei Regelungen im Arzneisektor. Sie dürften Gegenstand der Reformgespräche am 21. August in Berlin sein.

Positivliste noch drin

So ist zum Beispiel im Entwurf des Ministeriums nicht expressis verbis die Aufhebung der umstrittenen Liste erstattungsfähiger Arzneimittel vorgesehen. Das Streichen der so genannten Positivliste war jedoch ein Konsenspunkt bei der damaligen Einigung zwischen SPD/Grünen einerseits und Union und FDP andererseits.

Im Julipapier hatte es geheißen, wegen der neuen Festbetragsregelung, der Nutzenbewertung von Medikamenten, dem Streichen der Erstattung nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel und so genannter Life-Style-Präparate seien Positivliste und neue Negativliste entbehrlich. Aus diesem Grund müsste im jüngsten Arbeitsentwurf die generelle Aufhebung der Liste erstattungsfähiger Medikamente verankert werden, was derzeit nicht der Fall ist.

Andere Importregel

Ungereimtheiten finden sich auch bei Importen. War in den Konsenseckpunkten nur festgelegt, der Preisabstand müsse durchgängig 15 Prozent zum Original betragen, soll laut Arbeitsentwurf bei Arzneimitteln über 100 Euro fakultativ ein Preisabstand von mindestens 15 Euro bestehen.

Festbeträge verschärft

Nicht identisch ist zudem der Passus zu Festbeträgen. Im Eckpunktepapier stand als Konsens "Patentgeschützte Arzneimittel, die eine erkennbare therapeutische Verbesserung bewirken oder geringere Nebenwirkungen verursachen, bleiben auch künftig festbetragsfrei". Demnach sollten lediglich patentgeschützte Medikamente "ohne oder mit vergleichsweise geringfügigem zusätzlichem Nutzen" wieder mit Erstattungshöchstgrenzen belegt werden.

Laut Juli-Konsenspapier könnten auch Festbetragsgruppen gebildet werden, wenn diese mindestens drei patentgeschützte Arzneimittel mit Festbeträgen enthielten. Nun sieht der Arbeitsentwurf aus dem Ministerium Festbetragsgruppen mit mindestens drei patentgeschützten Präparaten ohne Rücksicht auf deren Neuartigkeit vor.

Laut Vorlage aus dem Haus von Ulla Schmidt würde die Neuartigkeitsregelung aufgehoben. Darüber hinaus sollen Festbeträge der Stufe I für Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen künftig undifferenziert im unteren Preisdrittel festgesetzt werden.

Hoher Herstellerrabatt

Im übrigen sollen die Hersteller bis zum Wirksamwerden der neuen Festbeträge pauschal einen auf 16 Prozent erhöhten Rabatt für verschreibungspflichtige Nichtfestbetrags-Arzneimittel im Jahr 2004 zahlen.

Nutzen von Arzneimitteln

Auch bei der vorgesehenen Nutzenbewertung von Arzneimitteln ist die Intention zwischen Konsenseckpunkten und Ministeriumsvorlage nicht identisch. Die Eckpunkte hatten eine "Kosten-Nutzen"-Betrachtung definitiv ausgeschlossen.

Die nun geplante Bewertung des Nutzens von Medikamenten laut Arbeitsentwurf soll für Ärzte tatsächlich aber zu einer verbindlichen Kosten-Nutzen-Bewertung ausgebaut werden, ein Indiz dafür ist beispielsweise der Text der Begründung zum entsprechenden Paragrafen (§ 35 b Sozialgesetzbuch V). Außerdem wird die Nutzenbewertung durch das neue Institut Bestandteil der Arzneimittel-Richtlinien, die die Mediziner bei ihrer Verschreibungspraxis –eigentlich als Empfehlung – berücksichtigen sollen.

In Kombination mit einem anderen Paragrafen (dem zur Wirtschaftlichkeitsprüfung für Ärzte, § 106 SGB V) werden daraus aber sehr strikte Vorgaben für die ärztliche Verschreibungsweise mit entsprechenden negativen Folgen bei Nichtbeachtung.

Käme die Nutzenbewertung so, wäre das eine zusätzliche Hürde für den Markteintritt für etliche Medikamente. So wird in der Ministeriumsvorlage zum Beispiel ein bedeutsamer höherer Nutzen für die überwiegende Zahl der Patienten gefordert, was im Umkehrschluss diejenigen therapeutischen Fortschritte ausschlösse, die nur wenigen Kranken zugute kommen, für jene aber wichtig sind.

Zudem findet sich ein starres Bewertungsschema für den Nutzen mit diesen Stufen:

  • Arzneimittel mit verbesserter Wirkung, deren Wirkstoffe einem neuen Wirkprinzip unterliegen (Stufe A),
  • Arzneimittel mit verbesserter Wirkung, die dem Wirkprinzip eines bereits zugelassenen Arzneimittels entsprechen (Stufe B) sowie
  • Arzneimittel ohne verbesserte Wirkung, deren Wirkstoff einem neuen Wirkprinzip unterliegt oder dem Wirkprinzip eines bereits zugelassenen Arzneimittels entspricht (Stufe C).

Diese Dreistufigkeit findet sich im übrigen wörtlich im alten Entwurf des "Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetzes" von Ulla Schmidt, der noch durchgängig eine "Kosten-Nutzen-Bewertung" gefordert hatte, worauf sich Regierung und Opposition anschließend jedoch nicht verständigt hatten, die stattdessen gemeinsam nur von der Nutzen-Bewertung sprachen.

Doch Arzneibudgets?

Brisantes findet sich auch zu den Arzneimittelbudgets. Diese hatte Ministerin Ulla Schmidt bekanntlich 2001 aufgehoben. Faktisch würden sie – falls der jüngste Arbeitsentwurf so käme – wieder eingeführt. Denn es ist die Rede von Ausgabenvolumina für die Mediziner bei der Verschreibung von Medikamenten, die bei Überschreitung von den Ärzten wieder ausgeglichen werden müssten (§ 84 Absatz 3 SGB V).

In der Begründung des Entwurfs findet sich der Hinweis, ärztliches Honorar und verschriebene Arzneimittel würden enger als bisher aneinander gebunden. Letzteres fand sich allerdings auch schon im Konsenspapier von Regierung und Opposition mit der Begründung, auf diese Weise das Verordnungsverhalten von Medizinern steuern zu wollen.

Boni fürs Sparen bei Arznei?

Kritisch muss im übrigen ein neuer Passus gesehen werden, der den Ärzten Boni für das Einhalten bestimmter Richtgrößen für verordnete Leistungen – also beispielsweise auch Arzneiverordnungen – verspricht (neuer § 84 Absatz 4a).

Dafür soll vom Gesamthonorar aller Mediziner ein spezieller Topf gebildet werden, aus dem Maßnahmen zur Beratung der Mediziner über Qualität und Wirtschaftlichkeit von Arzneimitteln bezahlt werden, daraus wiederum dürften Bonuszahlungen bestritten werden. Auswirkungen eines solchen Anreizsystems auf die Verordnung von Arzneimitteln liegen auf der Hand.

Der am 11. August bekannt gewordene Arbeitsentwurf zur Reform aus dem Gesundheitsministerium geht in wichtigen Punkten über das zwischen Regierung und Opposition vereinbarte Eckpunktepapier vom 21. Juli hinaus. Ungereimtheiten finden sich beispielsweise bei Regelungen im Arzneisektor. Sie dürften Gegenstand der Reformgespräche am 21. August in Berlin sein.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.