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DAZ-Interview: Versandapotheke ante portas – der Wettbewerb wird sich vers

STUTTGART (diz). Nach den neuesten gesundheitspolitischen Entwicklungen ist davon auszugehen, dass es ab 1. Januar 2004 in Deutschland Versandapotheken geben wird. Bereits im April dieses Jahres gründete sich der Bundesverband Deutscher VersandapothekerInnen (BVDVA), der zum Ziel hat, unter seinem Dach Apothekerinnen und Apotheker zu versammeln, die beabsichtigen, ins Versandgeschäft mit Arzneimitteln einzusteigen. Der Verband möchte seinen Mitgliedern in erster Linie ein Forum zum Informationsaustausch bieten, wie ein qualitätsorientierter Versandhandel mit Arzneimitteln aufgebaut werden kann. Wir sprachen mit dem Vorsitzenden des BVDVA, Dr. Thomas Kerckhoff, der bereits bei der Versandapotheke Mediservice in der Schweiz Erfahrungen sammeln konnte.

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Herr Kerckhoff, das Eckpunktepapier weist die Richtung, Versandhandel mit Arzneimitteln wird kommen. Fühlt sich der Bundesverband Deutscher VersandapothekerInnen jetzt auf der Gewinnerseite?

Kerckhoff:

Ganz sportlich betrachtet freuen wir uns, dass unsere Konzepte bei allen Volksparteien Anklang gefunden haben. Insgesamt haben die Apotheker aber in der öffentlichen Diskussion verloren, da die Kernkompetenzen und Kernaufgaben im Sinne der qualifizierten Arzneimittelversorgung auch weiterhin nicht erkannt und gewürdigt werden. Das kann uns nicht gleichgültig sein. Dies liegt nicht in unserem Interesse. In der Zukunft wird es darum gehen, den Apotheker als Arzneimittelfachmann auch in der breiten Öffentlichkeit zu repositionieren. Verlorengegangenes Vertrauen muss wiedergewonnen werden. Es gibt keine Alternative zum Apotheker, wohl aber zu den Strukturen, in denen er arbeitet.

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Das Eckpunktepapier ist der Wegweiser. Jetzt scheint es darauf anzukommen, wie der Gesetzestext für den Versandhandel ausgestaltet wird. Es heißt ja laut Eckpunktepapier, es sollen faire Bedingungen für den Wettbewerb von Versandapotheken mit öffentlichen Apotheken geschaffen werden. Bei solchen fairen Bedingungen kann es da überhaupt noch Vorteile geben, mit denen der Versandhandel punkten kann, wie er sich von der Präsenzapotheke abheben kann?

Kerckhoff:

Zum 1. Januar 2004 wird die Versandapotheke als öffentliche Apotheke mit Sondervertriebsweg in Deutschland zugelassen werden. Ich gehe davon aus, dass die Arbeiten am Gesetzestext heute bereits abgeschlossen sind. Weitgehend wird wohl auf die Regelungen des GMG zurückgegriffen werden, zu denen wir uns in den Anhörungen vor dem Gesundheitspolitischen Ausschuss geäußert haben. Insgesamt orientieren sich die getroffenen Formulierungen an den Schweizer Erfahrungen. Die vorgeschlagenen Änderungen der Apothekenbetriebsordnung sind geeignet, die Arzneimittelsicherheit in vollem Umfang zu gewährleisten.

Die Wettbewerbssituation wird sich insgesamt verschärfen. Versandapotheker haben in ihrer Organisationsform Vorteile, wobei das Geschäftsmodell mit erheblichen Investitionen und Risiken verbunden ist. Stationäre Apotheken zeichnen sich durch ihre Nähe zum Kunden und die gewachsenen Kundenbeziehungen aus. Der Markt wird sich qualitativ und quantitativ neu ausrichten müssen. Eine traditionell gut eingeführte Apotheke in unmittelbarer Nähe zu den verordnenden Ärzten wird auch in Zukunft ihren Kunden finden. Serviceorientierte Apotheker, die schon immer offensiv auf ihre Kunden zugegangen sind, werden weniger Probleme haben. Die Versandapotheker sind gezwungen, mit einem sehr kleinen Deckungsbeitrag zu arbeiten. Hier liegen große Risiken. Die Geschäftsmodelle sind nur bedingt zu vergleichen. Beide Vertriebswege stehen vor großen Herausforderungen. Ich kann nicht erkennen, dass der Gesetzgeber die eine oder andere Seite bevorzugt.

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Also auch nicht den Versandhandel?

Kerckhoff:

Nein, auch den Versandhandel nicht. Es ist festzustellen, dass alle großen Parteien den notwendigen Strukturwandel möchten. Die getroffenen Regelungen hat der Gesetzgeber mit Augenmaß eingepasst. Aus den Gesprächen mit den politischen Meinungsbildnern und Entscheidungsträgern weiß ich, dass dort immer beide Seiten der Medaille gesehen wurden, der stationäre, traditionelle Bereich und der Versandbereich. Beide sollen und werden sich ergänzen. Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Versandapotheke die stationäre Apotheke ersetzen kann. Insofern kann es nur das Interesse der Parlamentarier sein, dafür zu sorgen, dass beide Strukturen, Versand- und Präsenzapotheke, wettbewerbsfähig sind. Auch hier hilft ein Blick in die Schweiz. Das große Apothekensterben ist dort bekanntlich ausgeblieben.

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Kommen wir zum neuralgischen Punkt des Ökonomischen. Der Versandhandel soll sich für den Versender, für die Kassen und für den Patienten rechnen. Voraussichtlich – so steht es im Eckpunktepapier – wird die Arzneimittelpreisverordnung geändert. Das Honorar des Apothekers: 8,10 Euro plus 3% minus 2 Euro Rabatt für die Kasse. Da darf man einfach mal fragen, ob das Päckchen-Packen noch Freude macht?

Kerckhoff:

Die Frage ist berechtigt. Offen gesagt, wir hätten uns eine andere Arzneimittelpreisverordnung gewünscht. Aber die Entkopplung des Apothekerertrags vom Warenwert ist ein strukturpolitisch zu begrüßender Punkt. Es rückt die eigentliche pharmazeutische Leistung in den Mittelpunkt der Vergütungsdiskussion. An den Impfstoff versendenden Apotheker des BVDVA zeigt sich, dass der Versand auch bei kleinen Margen praktikabel und rentabel ist. Dies ist aber ein Geschäft, das mit einem sehr spitzen Bleistift gerechnet werden muss. Es wird gehen, aber es wird ein hartes Geschäft und es ist sicherlich keine Gelddruckmaschine.

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Eine Versandapotheke wird sich also über entsprechend große Mengen rechnen?

Kerckhoff:

Ja, über die Menge und über sehr straffe interne Strukturen. Die Menge macht's, die interne Organisation der Versandapotheke macht's – und das ist etwas, wo wir uns ausrechnen, gewisse Kompetenzen und Erfahrungen zu haben.

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In welche Richtung gehen Versandapotheken à la BVDVA? Etwa in Richtung Mediservice, also das Schweizer Modell? Wie stellt sich der BVDVA in der Praxis den Versand mit Arzneimitteln vor? Wie sollen die Apotheken, die dem Verband angeschlossen sind, arbeiten?

Kerckhoff:

In Deutschland wird weder das MediService Modell noch der grenzüberschreitende Versandhandel die Norm sein. Vielmehr wird sich ein eigenes deutsches Modell durchsetzen, das sich ganz klar an den Regelungen der Apothekenbetriebsordnung und dem Arzneimittelrecht orientiert. Institutionelle Wettbewerbsverzerrungen werden beseitigt.

Zu den BVDVA-Apothekern: Unserem Verband angeschlossene Apotheken sind unabhängig, es bestehen keine wirtschaftlichen Verflechtungen untereinander. Es handelt sich um selbstständige Unternehmen, die sich zur politischen Durchsetzung des Versandhandels zusammengefunden haben und diesen heute zum Teil aktiv im Impfstoffbereich praktizieren. Einige Mitglieder haben nach langjährigen juristischen Auseinandersetzungen den Beschluss des Verfassungsgerichts vom 11. Februar 2003 herbeiführen können. Es wurde festgestellt, dass das Impfstoffversand- und Werbeverbot in den Fachkreisen verfassungswidrig ist. Aus diesem Beschluss entfaltet sich eine legislative Wirkung. Unter den Vorzeichen der Zulassung des Versandhandels entwickelt der BVDVA heute Qualitätsstandards zur Weiterentwicklung des qualifizierten, pharmazeutischen Arzneimittelversandhandels – die Betonung liegt auf dem qualifizierten Arzneimittelversandhandel in Abgrenzung zu reinen Versandhändlern, wo immer sie auch wohnen.

Der zweite Punkt ist die Interessenvertretung gegenüber den Gesetzlichen Krankenkassen, insbesondere der Abschluss von Arzneimittellieferverträgen. Die Krankenkassen können durch ihre Mitgliederzahlen zum Teil erhebliche Nachfragemacht aufbauen. Um dieser zu begegnen muss eine professionelle und einheitliche Ansprache seitens der Versandapotheker erfolgen. Wichtig ist, dass neben dem Preis ein definiertes Leistungspaket der Versandapotheke mit in die Verträge einfließt.

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An welches zusätzliche Leistungspaket denken Sie, wenn Sie mit den Kassen verhandeln?

Kerckhoff:

Zum Beispiel ist der Servicelevel für die pharmazeutische Beratung und Betreuung durch Versandapotheken festzulegen, Lieferfristen und Sicherheitsaspekte sind zu vereinbaren. Unser Interesse ist es, unter unseren Mitgliedern verbindliche Standards zu entwickeln und nach innen durchzusetzen. Im Bereich der impfstoffversendenden Apotheken ist dies bereits weitgehend gelungen. Wir bieten hier neben einem attraktiven Preis die Chargendokumentation und eine exakte Sendungsverfolgung an. Spezielle Kühlboxen garantieren den sicheren Transport der thermolabilen Produkte auch bei hohen Außentemperaturen. Wir legen also harte, nachprüfbare Kriterien fest, die dann von Seiten der Krankenkasse überprüft werden können. Nur so können wir uns von den traditionellen Apotheken bzw. den Arzneimittelhändlern positiv abgrenzen. Wir stehen erst am Anfang dieses Prozesses. Die Gespräche mit den Krankenkassen verlaufen bisher erfreulich. Die Anzahl der Krankenkassen, die nur einen niedrigen Preis durchsetzen wollen, ist relativ gering.

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Wenn jetzt ein Apotheker Lust auf den Versandhandel bekommt, gehe ich recht in der Annahme, dass er doch eine gewisse Größe haben sollte, bevor er sich Ihrem Verband anschließen darf?

Kerckhoff:

Nach den jüngsten politischen Ereignissen erhalten wir täglich Anfragen von Apothekern. Die meisten Anfragen haben eher orientierenden Charakter. Zum besseren Verständnis der Materie empfehle ich immer, die sog. Inifes-Studie zu lesen. Hier finden sich Hinweise, wie der kommende Markt für Versandapotheken aussehen könnte. Weiterhin kann sich der Interessierte ein Bild von dem Geschäftsmodell einer Versandapotheke machen. Alle, die das ernsthaft betreiben wollen, sollten diese Studie gelesen haben. Nach der Lektüre haben sie ein solides Verständnis von den notwendigen Investitionen, den Chancen und Risiken.

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Zum BVDVA: wie viele Mitglieder hat Ihr Verband?

Kerckhoff:

Wir haben jetzt 14 Mitglieder. Ich gehe davon aus, dass noch weitere dazu kommen werden, wenn das Konfliktpotenzial beseitigt ist. Der BVDVA steht allen deutschen Apothekerinnen und Apothekern unabhängig von der Umsatzgröße offen. Nur ernsthaft interessiert sollten sie schon sein. Es geht einfach darum, zielorientiert am Thema zu arbeiten und sich qualifiziert in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Intern dient der Zusammenschluss dem Austausch von Informationen.

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Wenn ich jetzt Verbandsmitglied werden wollte, habe ich in erster Linie Vorteile durch mehr Information?

Kerckhoff:

Sicher bieten wir Vorteile durch frühzeitige Informationen. Aber wir erwarten auch Einiges. Es ist eine stattliche Aufnahmegebühr zu entrichten. Mit diesem Geld werden Öffentlichkeitsarbeit, juristische Gutachten, Vertragsgestaltung usw. finanziert. Daneben erwarten wir, dass die Apotheker sich in die Diskussion mit einbringen, willens sind, sich zu treffen, sich zu organisieren, zu den Gesprächen der Krankenkassen mitzugehen.

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Werfen wir einen Blick in die Zukunft. Wie wird sich der Apothekenmarkt in Deutschland ihrer Ansicht nach entwickeln?

Kerckhoff:

Für mich ist die Frage interessant, wie sich die ABDA in Zukunft positionieren wird. Wie wird sich der Markt neu organisieren und welche Interessenvertretungen werden sich neu formieren? Wie verhält sich der Großhandel? Ich schätze, die Apotheker werden sich je nach Interessenlage und Geschäftsmodell in verschiedenen Verbänden und Organisationen artikulieren. Ähnlich wie es den BVDVA oder den Verband der Krankenhaus- und heimversorgenden Apotheker gibt, wäre ein Hausapothekenverband denkbar. Insgesamt werden auf ABDA und DAV erhebliche Zentrifugalkräfte wirken. Der Alleinvertretungsanspruch wird weiter schwinden. Wie schon gesagt, es gibt keine Alternativen zum Apotheker, wohl aber zu den Strukturen, in denen er arbeitet und sich organisiert.

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Herr Kerckhoff, vielen Dank für das Gespräch!

Nach den neuesten gesundheitspolitischen Entwicklungen ist davon auszugehen, dass es ab 1. Januar 2004 in Deutschland Versandapotheken geben wird. Bereits im April dieses Jahres gründete sich der Bundesverband Deutscher VersandapothekerInnen (BVDVA), der zum Ziel hat, unter seinem Dach Apothekerinnen und Apotheker zu versammeln, die beabsichtigen, ins Versandgeschäft mit Arzneimitteln einzusteigen. Der Verband möchte seinen Mitgliedern in erster Linie ein Forum zum Informationsaustausch bieten, wie ein qualitätsorientierter Versandhandel mit Arzneimitteln aufgebaut werden kann. Wir sprachen mit dem Vorsitzenden des BVDVA, Dr. Thomas Kerckhoff, der bereits bei der Versandapotheke Mediservice in der Schweiz Erfahrungen sammeln konnte.

Zitate

Es ist eine Illusion zu glauben, dass die Versandapotheke die stationäre Apotheke ersetzen kann. Insofern kann es nur das Interesse der Parlamentarier sein, dafür zu sorgen, dass beide Strukturen, Versand- und Präsenzapotheke, wettbewerbsfähig sind. Dr. Thomas Kerckhoff

Dies ist aber ein Geschäft, das mit einem sehr spitzen Bleistift gerechnet werden muss. Es wird gehen, aber es wird ein hartes Geschäft und es ist sicherlich keine Gelddruckmaschine. Dr. Thomas Kerckhoff

Zum besseren Verständnis der Materie empfehle ich immer, die sog. Inifes-Studie zu lesen. Hier finden sich Hinweise, wie der kommende Markt für Versandapotheken aussehen könnte. Weiterhin kann sich der Interessierte ein Bild von dem Geschäftsmodell einer Versandapotheke machen. Dr. Thomas Kerckhoff

Insgesamt werden auf ABDA und DAV erhebliche Zentrifugalkräfte wirken. Der Alleinvertretungsanspruch wird weiter schwinden. Dr. Thomas Kerckhoff

Der BVDVA im Internet

Unter www.bvdva.de finden Sie die Website des Verbands mit zahlreichen Informationen. Die Inifes-Studie ist unter www.bvdva.de/Arzneimittelbversandhandel/Literatur/literatur.html zu finden.

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