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"Koalition gegen den Schmerz": Gemeinsam gegen den Schmerz

BERLIN (sw). Das Schmerztherapeutische Kolloquium Ų Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V. und die Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes e. V. Ų haben die "Koalition gegen den Schmerz" gebildet und auf einer Pressekonferenz in Berlin am 23. Juli vorgestellt.

Etwa ein Drittel der Erwachsenen in Deutschland (20 Mio. Menschen) leidet unter chronischen oder immer wiederkehrenden Schmerzen; 6 bis 8 Mio. sind dadurch stark eingeschränkt. Durch einen solchen Schmerz, der keine Schutz- und Warnfunktion mehr hat, werden Lebensqualität, Leistungsfähigkeit und Lebensfreude stark beeinträchtigt. Darüber hinaus belasten chronische Schmerzen, da sie oft über viele Jahre nicht adäquat behandelt werden, das Gesundheitswesen und die Volkswirtschaft in hohem Maße (z. B. Rückenschmerzen mehr als 16 Mrd. Euro, Kopfschmerzen 4-5 Mrd. Euro pro Jahr).

Chronische Schmerzen

Chronischer Schmerz kann die Folge einer Gewebeschädigung sein (Rheuma, Krebs). Fachleute sprechen von chronischem Schmerz, wenn der Schmerz seit mindestens drei bis sechs Monaten besteht und den Patienten physisch (Mobilität, Funktion), psychisch-kognitiv (Befindlichkeit, Stimmung, Denken) und sozial beeinträchtigt.

Kompliziert wird es durch das "Einbrennen" des Schmerzes im Zentralnervensystem, das durch die ständigen Schmerzreize überempfindlich wird und dann schon auf harmlose Reize wie Berührungen mit Schmerzsignalen reagiert. Das körpereigene Endorphin-System kann nicht mehr ausreichend dämpfen, die Patienten laufen von Arzt zu Arzt, ohne dass eine direkte Ursache gefunden wird. Ein Viertel der schwer betroffenen Patienten gilt als Suizid-gefährdet, wie viele Menschen sich aufgrund unerträglicher Schmerzen das Leben nehmen, ist nicht bekannt.

Facharzt für Schmerztherapie

Eine moderne Behandlung integriert verschiedene Therapiestrategien und muss interdisziplinär erfolgen (Schmerzmittel und andere Medikamente, Stress- und Schmerzbewältigungstraining, Biofeedback, Hypnotherapie, Bewegungstherapie, Akupunktur, transkutane elektrische Nervenstimulation). Die meisten Mediziner sind unzureichend ausgebildet, die Patienten ungenügend informiert. Um Leiden zu lindern und Ressourcen zu schonen, haben sich die beiden großen schmerzmedizinischen Gesellschaften zur Koalition gegen den Schmerz zusammengeschlossen. So fordern sie, dass Schmerztherapie Pflichtfach für Mediziner werden muss und an den Universitäten entsprechende Lehrstühle eingerichtet werden. Die neue Approbationsordnung für Ärzte ist bezüglich Schmerz ein Rückschritt. Gut ausgebildete Ärzte der verschiedenen Fachrichtungen könnten verhindern, dass sich Schmerzen im Nervensystem einbrennen.

Für die Behandlung problematischer Schmerzzustände (schätzungsweise 1 bis 2 Mio. in Deutschland) braucht man den Facharzt für Schmerztherapie. Bisher gibt es ca. 500 Praxen und Klinikambulanzen, nötig für eine flächendeckende Versorgung wären 2000 bis 3000 spezialisierte Einrichtungen. Darüber hinaus fordern die Experten, Schmerz als eigenständiges Krankheitsbild in das System der DRGs aufzunehmen und die interdisziplinäre Schmerztherapie korrekt abzubilden. Es gibt bisher keine Diagnose Migräne, Tumorschmerz oder Rückenschmerz. Ähnliches gilt für die Leistungsverzeichnisse der ambulanten Versorgung. So fehlen beispielsweise Strategien zur Schmerzbewältigung und Schmerzdistanzierung, Austestung und Einstellung starker Schmerzmittel, Entzugsbehandlung bei Fehlgebrauch von Analgetika oder zum Biofeedback.

Die schmerzmedizinischen Gesellschaften haben schon seit vielen Jahren strenge Qualitätskriterien für die Qualifikation, entsprechende Kontrollen und eine umfangreiche Dokumentation der Behandlungsabläufe. Viele im Rahmen der Gesundheitsreform vorgeschlagenen Maßnahmen sind für sie schon lange selbstverständlich (jährliche Re-Zertifzierung, Fortbildungsangebot), die Zahl evidenzbasierter Leitlinien wächst.

Um die öffentliche Wahrnehmung des Problems chronischer Schmerz zu verbessern, sollen weitere Organisationen eingebunden werden, z. B. Patientenorganisationen und Krankenkassen.

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