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Außenansicht: Versandhandel – Arzneimittelsicherheit in Gefahr?

Prof. Dr. med. Klaus Heilmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Risikoforschung, Krisenmanagement und Technikkommunikation. In der DAZ-Rubrik "Außenansicht" befasst sich Heilmann mit Themen der Pharmazie und Medizin aus Sicht eines Nicht-Pharmazeuten vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen.

Nun also kommt er, der Versandhandel. Bundesregierung, Experten, Krankenkassen, Gewerkschaften, auch Ärzte - fast alle wollen ihn, nur die Apotheker und ihre Lieferanten nicht. Und 7,7 Millionen Bürger nicht, die ihnen mit ihrer Unterschrift im vergangenen Jahr ihr Nein bestätigt haben.

Dabei war abzusehen, dass es kommen würde, wie es gekommen ist. Doch die ABDA ließ sich von ihrer Verweigerungshaltung nicht abbringen. Wie Sancho Pansa gegen die Windmühlen kämpft sie gegen eine Entwicklung, die nicht aufzuhalten ist und an der die meisten Patienten noch nicht einmal Interesse haben. In Amerika sind es kaum 15 Prozent, die den Versandhandel nutzen, in den Niederlanden und der Schweiz liegen die Zahlen deutlich niedriger, auch die Bundesregierung erwartet Zahlen weit unter zehn Prozent. Sicher, der Versandhandel bedeutet einen Einbruch in etablierte Strukturen, aber in welchem Wirtschaftsbereich passiert das nicht? Warum nicht die Chancen nutzen, die neue Vertriebsstrukturen bringen?

Für und gegen den Versandhandel gibt es eine Fülle von Argumenten, wir haben sie alle in den letzten Monaten gehört. Hier sei vor allem diskutiert, ob durch den Versandhandel das Risiko zunimmt, dass Arzneimittel vom Patienten nicht bestimmungsgemäß angewandt werden und der staatlich garantierte Gesundheitsschutz möglicherweise verloren geht. Um es gleich zu sagen, die Gefahr besteht, und sie ist relevant.

Etwa 80 Prozent aller Medikamente müssen von Patienten eigenverantwortlich angewandt werden. Dies ist ökonomisch vernünftig und praktisch auch gar nicht anders machbar. Das Prinzip Arzneimittelsicherheit erfordert eine ständige, aufgrund genügender Sachkenntnis und ausreichender Information vorzunehmende Nutzen-Schaden-Beurteilung der Präparate. Sie obliegt nicht nur den zuständigen staatlichen Organen, sondern auch dem für sein Arzneimittel verantwortlichen Hersteller sowie den das Präparat verordnenden Ärzten und den es abgebenden Apothekern.

Aber auch der Verbraucher ist zu einer individuellen Nutzen-Schaden-Abwägung aufgerufen, anders lässt sich ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Arzneimittel nicht erreichen. Allerdings setzt dies voraus, dass sich der Konsument, der ja Laie ist, ein möglichst umfassendes Bild über das Medikament machen kann und dadurch in den Stand versetzt wird, die Konsequenzen seiner Anwendung bei sich richtig einzuschätzen. Mangelnde Aufklärung gehört zu den Hauptgründen für eine hohe Non-Compliance.

Deshalb gilt: Die Brauchbarkeit eines pharmazeutischen Produkts wird nicht nur durch die Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der pharmakologischen Substanz und die Qualität ihrer Zubereitung, sondern auch durch die Verständlichkeit der begleitenden Information bestimmt. Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass die Unterschätzung des Werts von Information für die Arzneimittelsicherheit zu ständig auftretenden Arzneimittelzwischenfällen und enormen Kosten führt.

Es wurde geschätzt, dass in den USA jährlich 2,2 Millionen hospitalisierte Menschen ernste, 106 000 tödliche Arzneimittelnebenwirkungen haben. Die meisten von ihnen gehören in die Kategorie "vermeidbar", sind also nicht substanzbedingt. Arzneimittelnebenwirkungen zählen in den USA zu den 4 bis 6 häufigsten Todesursachen. Auch in anderen Ländern geht man davon aus, dass bis zu 10 Prozent der Krankenhauseinweisungen auf Arzneimittelnebenwirkungen durch Falschverordnung oder nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch zurückzuführen sind.

Und eigentlich geht es bei dem Compliance-Problem weniger um Information als um Kommunikation. Es genügt nicht, seiner Aufklärungspflicht durch die Abgabe von Information zu genügen, der Patient muss auch fragen können. Befürworter des Versandhandels werden sagen, dass man das im Internet gut kann. Aber das Chatten im Internet ist lediglich das anonyme Austauschen von Informationen, nicht das persönliche Kommunizieren zwischen Menschen.

Waltraut Stix-Hackl, die Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof, meint, dass das Versandverbot für Arzneimittel zum Zwecke des Gesundheitsschutzes nur für die Medikamente gerechtfertigt sei, die zwar zulassungspflichtig, aber (noch) nicht zugelassen sind, nicht jedoch für die bereits zugelassenen. Hier unterliegt sie einem schweren Irrtum!

Die Akten eines neuen Medikaments werden mit der Zulassung nicht etwa geschlossen, sondern überhaupt erst geöffnet, denn nur im klinischen Alltag erweist sich, ob das neue Mittel so unbedenklich, wirksam und nützlich ist, wie ursprünglich angenommen wurde. Um hier zu brauchbaren Antworten zu kommen, bedarf es der Kontrolle kompetenter Beobachter. Ärzte und Apotheker gehören dazu.

Die ABDA hat es versäumt, der Öffentlichkeit bewusst zu machen, dass die Apotheken über wertvolle Produkte für die Gesundheit verfügen, die aber zugleich hochwirksame chemische Substanzen sind. Und dass vor allem der Apotheker die auf Ausbildung und Erfahrung beruhende Kompetenz besitzt, über diese Produkte aufzuklären. Wenn der Apotheker mehr als bisher über diese Produkte das Gespräch mit "seinen" Kunden führt, werden die Kunden auch in Zukunft mit ihm das Gespräch suchen und seine Kunden bleiben. Klaus Heilmann

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