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Außenansicht: Non-Compliance – das teure Fehlverhalten der Verbraucher

Die Leistungsausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung lagen im Jahr 2002 bei 134,14 Mrd. Euro, die Arzneimittel haben hieran einen Anteil von 16,8 % oder 22,5 Milliarden Euro. Verständlich also, dass man die Arzneimittelkosten senken will, Vorschläge hierzu gibt es viele. Erstaunlich aber ist, dass ein Problem, das für mindestens ein Drittel der Arzneimittelkosten verantwortlich ist, überhaupt nicht in die Diskussion kommt: das der Compliance.

Es ist einleuchtend, dass das Compliance-Problem gerade für die Behandlung mit Medikamenten eine besondere Bedeutung hat, denn Wirksamkeit und Sicherheit von Arzneimitteln beruhen ganz wesentlich auf ihrer korrekten und zuverlässigen Anwendung.

Nach Ansicht von Experten ist die Falschanwendung die häufigste Ursache von Arzneimittelschäden. Das Ausmaß der Non-Compliance ist in allen Industriestaaten relativ ähnlich: 50 Prozent aller Patienten wenden die ihnen verschriebenen Medikamente entweder überhaupt nicht, nur teilweise oder unvorschriftsmäßig an.

Von den durch unvorschriftsmäßige Anwendung verursachten Arzneimittelschäden abgesehen, führt die teilweise oder völlige Nicht-Anwendung von Arzneimitteln zu einem zunehmenden Gesundheitsschaden, einem abnehmenden Therapienutzen und zu enormen Kosten.

Zunehmender Gesundheits-Schaden

Bei praktisch allen wichtigen chronischen Krankheiten stellt die hohe Non-Compliance für Arzneimittel das Hauptproblem der Behandlung dar. Bei so unterschiedlichen Krankheiten wie Tuberkulose, insulinpflichtiger Diabetes, Asthma und Grüner Star liegen die Non-Compliance-Raten zwischen 45 und 55 Prozent. Für jede dieser Krankheiten besteht die Konsequenz der Non-Compliance in ernsten, wenn nicht lebensbedrohenden Gesundheitsschäden.

Auf Grund einer amerikanischen Studie wurde geschätzt, dass in den USA allein durch Nicht- oder Falschanwendung von Herz-Kreislauf-Mitteln jährlich etwa 125 000 Menschen sterben, übertragen auf Deutschland sind dies etwa 40 000 Tote.

Abnehmender Therapie-Nutzen

Tritt kein oder nur unzureichender Therapieerfolg ein, stellt sich der Arzt meist die Frage, ob er das "falsche" Medikament oder eine unzureichende Dosis gewählt hat. Die Schlussfolgerungen, zu denen er kommt, können aber nur dann richtig sein, wenn er von den richtigen Voraussetzungen ausgeht. Und da er fast immer von der (unberechtigten) Vorstellung ausgeht, dass der Patient die verordneten Mittel auch in der verordneten Weise anwendet, geht er praktisch bei jedem zweiten Patienten von der falschen Voraussetzung aus.

Betablocker, vorbeugend genommen, können bei Patienten, die bereits einen Herzinfarkt überlebt haben, in vielen Fällen einen zweiten Infarkt verhindern. Da die Compliance bei der Langzeitbehandlung im Allgemeinen aber nicht über 50 Prozent liegt, bleibt der vorbeugende Nutzen dieser Medikamentengruppe gegen Herzinfarkt weitgehend ungenutzt.

Eine hohe Non-Compliance ist auch eine Ursache dafür, dass die Wirksamkeit neu eingeführter Medikamente von den Ärzten falsch eingeschätzt wird, sie sich relativ langsam in der Therapie durchsetzen und ihr therapeutischer Nutzen spät erkannt wird. Soll der Nutzen einer Innovation mit dem bereits vorhandener Medikamente verglichen werden, so sagt der Vergleich überhaupt nur etwas, wenn die Compliance-Raten beider Produkte etwa gleich sind.

Ökonomischer Schaden

Die Non-Compliance fordert nicht nur Todesopfer sie kostet auch Geld, wie die erwähnte US-Studie zeigt. 125 000 Herz-Kreislauf-Tote bedeuten mehrere hunderttausend Krankenhausbehandlungen pro Jahr, einen Verlust von 20 Millionen Arbeitstagen und einen Verdienstausfall in Milliardenhöhe.

Situation Deutschland: Geht man von der (vermutlich zu niedrigen) Annahme aus, dass die verordneten Medikamente nur von einem Drittel der Patienten nicht oder nur teilweise angewandt werden, dann ergibt sich daraus – betrachtet man die Arzneimittelkosten zu Lasten der GKV (2002: 22,5 Milliarden Euro) eine Belastung der Volkswirtschaft von etwa 7,5 Milliarden Euro.

Diese Berechnung bezieht sich ausschließlich auf Arzneimittelkosten, sämtliche Folgekosten wie wechselnde Neuverschreibungen, gehäufte diagnostische Verfahren und Laboratoriumstests, verlängerte Krankschreibungen, vermehrte Krankenhauseinweisungen und spätere Pflegeabhängigkeit bleiben hierbei unberücksichtigt.

Wenn man über die Belastung des Gesundheitswesens durch Arzneimittel nachdenkt, sollte man auch an die immensen Kosten denken, die die hohe Non-Compliance verursacht. Gewiss, das Compliance-Problem in den Griff zu bekommen, ist schwierig. Es deshalb aber zu ignorieren, ist auch keine Lösung.

Klaus Heilmann

Prof. Dr. med. Klaus Heilmann beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit Risikoforschung, Krisenmanagement und Technikkommunikation. In der DAZ-Rubrik "Außenansicht" befasst sich Heilmann mit Themen der Pharmazie und Medizin aus der Sicht eines Nicht-Pharmazeuten vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen.

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