DAZ aktuell

Scherbenhaufen (Kommentar)

Fassungslosigkeit, Entsetzen, Wut über den Schmidt-Seehofer-Deal: Für Deutschlands Apotheken hätte es kaum schlimmer kommen können. Die jetzt bekannt gewordenen Eckdaten zur Gesundheitsreform stellen die pessimistischsten Befürchtungen, die man im Vorfeld der Großen Konsensrunde haben konnte, in den Schatten: Weder gelang es, die flächendeckende Einführung des Versandhandels mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln zu verhindern noch die Aufhebung des Mehrbesitzes bei Apotheken. Die Arzneimittelpreisverordnung, ob fix oder variabel, ist in Zukunft nur noch ein Torso – ein rechtlich angreifbarer Flickenteppich, der die Regel des einheitlichen Arzneimittelabgabepreises zur Ausnahme macht.

Sage keiner, er habe nichts gewusst: Das Apothekenwesen und die Arzneimitteldistribution in Deutschland stehen vor ihrem radikalsten Umbau seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland – und die ABDA und ihre Mitglieder vor einem politischen Scherbenhaufen ohnegleichen. Beides dürfte bzw. sollte nicht ohne Konsequenzen bleiben. Nie war es um die 21 500 Apotheken und ihre Repräsentanten politisch so einsam wie heute: von der (ver)öffentlich(t)en Meinung als verkrustete und wettbewerbsresistente Besitzstandswahrer düpiert, von Rotgrün als bloße Kostentreiber diskriminiert, von der Opposition böse im Stich gelassen.

Besonders bitter: Das Verhalten von Horst Seehofer & Co. Erinnern Sie sich noch? Der viel umjubelte Auftritt des wendigen Bajuwaren auf dem außerordentlichen Apothekertag. Es ist kaum vier Monate her: Versandhandel und Aufhebung des Mehrbesitzverbotes? Mit uns nicht. Und heute: Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern. Ein Lehrstück für politischen Opportunismus und hemmungslose Rosstäuscherei.

Machen wir uns keine Illusionen: Der 21. Juli 2003 markiert für die Apotheken in Deutschland eine herbe Niederlage. Von einem Kompromiss zu sprechen, verbietet sich. Die Apothekerinnen und Apotheker sowie ihre Mitarbeiter sind – neben den Patienten – die großen Verlierer der Berliner Allparteienvereinbarung.

Berufspolitisch ist das jetzige Fiasko mit ungewissem Ausgang das Resultat einer doppelten Fehldeutung: so wie die sprachlose ABDA-Männerriege in der Jägerstraße die derzeitige Gesundheitsministerin und ihre Berater offensichtlich permanent unterschätzt hat, so gefährlich naiv setzte sie in den letzten Jahren ausschließlich auf das apothekenfreundliche Gesäusel der beiden Oppositionsparteien.

Bei Lichte betrachtet werden die Apotheken in Deutschland jedoch weder von Rotgrün noch von Schwarzgelb besonders ernst genommen. Wahltaktisch sind Apothekerinnen und Apotheker eine Quantité negligeable. Sie werden, das machen die letzten Verhandlungswochen deutlich, allenfalls als Manövrier- und Kompromissmasse im Spannungsfeld von Zahnersatz, Krankengeld und Praxisgebühr gebraucht. Und das ist für die politische Anerkennung und Zukunftsfähigkeit eines Berufes zu wenig.

Geht es dennoch weiter? Ja. Aber nicht wie bisher. Der politische Scherbenhaufen liegt an einem Scheideweg.

Christian Rotta

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