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Positivliste: Wissenschaftliche Evidenz als Basis

BONN (im). Als Anforderung an Arzneimittel führe die so genannte Positivliste die wissenschaftliche Evidenz als Bewertungsinstrument ein, meint die Bundesregierung. Auch wenn die Liste erstattungsfähiger Medikamente von der politischen Tagesordnung genommen wurde, um die laufenden Reformgespräche mit der Opposition (die die Liste ablehnt) nicht zu gefährden, ist eine kürzlich erfolgte Antwort aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMGS) auf eine Anfrage der FDP aufschlussreich. Hier werden zu einigen Wirkstoffen die Gründe für deren Ausschluss aus der Liste, falls sie kommt, genannt.

Neuraminidasehemmer, Antiadiposita und Gichtmittel

So hatten Dr. Dieter Thomae, Detlef Parr, Dr. Heinrich Kolb und weitere FDP-Abgeordnete beispielsweise nach dem Schicksal der Neuraminidasehemmer Zanamivir und Oseltamivir gefragt. Diese antiviralen Arzneistoffe seien nicht auf der Liste, antwortete das BMGS, wegen der aus Studien ableitbaren Beeinflussung der Symptomatik und Krankheitsdauer einer Influenza, deren klinische Relevanz fraglich sei. Bei der von Oseltamivir zusätzlich beanspruchten Postexpositionsprophylaxe der Influenza handele es sich um eine medizinische Vorsorgeleistung, für die die gesetzlichen Kassen nicht zahlen müssten.

Die neuen Antiadiposita Orlistat oder Sibutramin seien herausgefallen, wird weiter ausgeführt, weil für diese Wirkstoffe hinreichende Belege für einen langfristigen Nutzen fehlten. Die FDP-Politiker hatten darüber hinaus nach der Kombination des Urikostatikums Allopurinol mit dem Urikosurikum Benzbromaron gefragt. Die fixe Kombination beider Wirkstoffe sei nicht aufgenommen worden, weil zum einen der Nachweis über den positiven Beitrag eines jeden Partners an der Gesamtwirkung fehlte und sich zum anderen das Argument geringerer unerwünschter Wirkungen und seltener Behandlungsabbrüche aus den vorgelegten Daten nicht habe ableiten lassen.

Das Ministerium sieht sich in dieser Auffassung im Übrigen dadurch bestätigt, dass die genannte Arzneimittel-Kombination von den Herstellern freiwillig vom Markt genommen worden sei, da nach deren Begründung das Risiko schwerwiegender Leberschäden den Nutzen einer Behandlung übersteige.

Orale Antidiabetika und Osteoporose-Mittel

Bei Diabetes mellitus seien als beste Evidenz auf eine Wirksamkeit Studien mit "harten Endpunkten als Zielgrößen" genommen worden, heißt es in der Antwort weiter. Die mit Acarbose (Glucobay) vorgenommene STOP-NIDDM-Studie sei nicht berücksichtigt worden, weil darin der Einfluss des Arzneistoffs in einer nicht zugelassenen Indikation untersucht worden sei.

Im Zusammenhang mit oralen Antidiabetika wird weiter erklärt, dass diejenigen Präparate in die Liste aufgenommen würden, die die Verminderung von Folgeerkrankungen eines Diabetes mellitus über Endpunktstudien nachweisen könnten, oder die Wirkstoffe, bei denen Analogieschlüsse beim Nutzen möglich seien. Dies sei bei den Alpha-Glucosidasehemmern nicht möglich gewesen, heißt es aus dem Haus von Ministerin Ulla Schmidt, sodass diese patentgeschützten Medikamente nicht im Entwurf stünden.

Die FDP hatte auch nach selektiven Estrogenrezeptor-Rezeptor-Modulatoren wie Raloxifen gegen Osteoporose gefragt. Raloxifen sei eingeschränkt verordnungsfähig, heißt es in der Antwort, also nicht für alle zugelassenen Anwendungsgebiete, sondern nur für die Behandlung einer manifesten Osteoporose bei Frauen in der Postmenopause berücksichtigt worden.

Die Einschränkung sei auf Basis des Entwurfs des Arzneimittel-Positivlistengesetzes erfolgt, der die Möglichkeit von Ausschlüssen vorsehe. Aus fachlicher Sicht wird für diese Entscheidung auf das deutlich erhöhte Frakturrisiko bei vorbestehenden osteoporotischen Frakturen sowie die eindeutige Diagnose einer manifesten Osteoporose hingewiesen, darüber hinaus könne die Senkung der Frakturhäufigkeit als validem Parameter zur Überprüfung der Wirksamkeit nur aus Studien an Frauen in der Postmenopause mit vorbestehenden Wirbelfrakturen abgeleitet werden. Bei der Frage, warum auch Bisphosphonate nur eingeschränkt gegen Osteoporose verordnungsfähig sein sollen, wird auf die Antwort zu Raloxifen verwiesen.

Dass Fluoride, die im "Arzneiverordnungsreport 2002" als preisgünstige Therapie gelten, völlig aus der Liste gestrichen werden, wird damit begründet, dass in den vorliegenden Studien frakturverhütende Wirkungen nicht hinreichend belegt seien. Im genannten Arzneiverordnungsreport seien die Fluoride anhand von Studien bewertet worden, die den Einfluss auf die Knochendichte untersuchten. Das jedoch könne nach dem aktuellen Stand der Erkenntnisse nicht als ausreichender Beleg des Wirksamkeitsnachweises angesehen werden.

Nikotinersatz und Lipidsenker

Bei den Suchterkrankungen differenzieren die BMGS-Mitarbeiter, da sich das Abhängigkeitspotenzial von Opiaten, Alkohol und Nikotin unterscheide. So sei beispielsweise ein selbstbestimmter Entzug gegen Opiatabhängigkeit oder Alkoholsucht schwieriger als die Möglichkeit, von Tabakrauch und Nikotin abstinent zu werden. Nach Auffassung der Bundesregierung sollten daher Präparate gegen Opiat- oder Alkoholabhängigkeit auf die Liste, die Nikotinersatzprodukte jedoch nicht. Denn im zuletzt genannten Fall hätten die meisten Raucher eine realistische Chance, ihr gesundheitsgefährdendes Verhalten selbst zu beenden.

Beim Wirkstoff Ezetimib führt das Ministerium aus, dass es sich um den Vertreter einer neuen Wirkstoffklasse mit einer Zulassung bei verschiedenen Fettstoffwechselstörungen handele. Endpunktstudien können hier noch nicht vorliegen. Bei den Lipidsenkern insgesamt seien bei fehlenden Endpunktstudien nur diejenigen Arzneistoffe aufgenommen worden, die so eng chemisch und pharmakologisch verwandt mit den therapeutischen Alternativen seien (gleiche Wirkstoffklasse, identischer Wirkungsmechanismus), dass Analogieschlüsse hinsichtlich des Nutzens statthaft seien. Ezetimib sei im Entwurf der Liste mit der Einschränkung "nur bei homozygoter familiärer Hypercholesterinämie – in Kombination mit Atorvastatin – sowie bei homozygoter Sitosterinämie" aufgenommen worden.

Im Gegensatz dazu sei Ezetimib für die weitere Indikation der primären Hypercholesterinämie, für die es ebenfalls zugelassen sei, von der Erstattungsfähigkeit ausgeschlossen worden. Für die Vergleiche von Arzneimitteln mit gleicher Indikation sei ein einheitlich hohes Entscheidungsniveau zugrunde gelegt worden, heißt es in der Antwort aus dem Ministerium weiter, das mit den geforderten Endpunktstudien auch oberhalb der Zulassungsanforderungen liegen könne.

Die FDP hatte zudem wissen wollen, warum von den Fibraten nur Gemfibrozil, nicht aber Fenofibrat oder Bezafibrat aufgenommen werden sollten, obwohl hier ein Analogieschluss bei der Nutzenbewertung durch Endpunktstudien gegeben wäre. In der Antwort wird das mit dem Vorliegen zweier Endpunktstudien für den Wirkstoff Gemfibrozil, die die Reduktion von Folgeerkrankungen belegten, begründet. Für Fenofibrat und Bezafibrat seien Analogschlüsse nicht möglich, weil Gemfibrozil chemisch nicht eng mit den anderen Fibraten verwandt sei. Außerdem liege für Bezafibrat eine Endpunktstudie vor, der zu Folge sich weder kardiovaskuläre Folgeerkrankungen noch Todesfälle vermindert hätten.

Hautpräparate

Gefragt wurde darüber hinaus, warum im Entwurf wichtige Arzneimittel zur Anwendung auf der Haut fehlten, obwohl zum Beispiel die Therapie mit einem Kombinationspräparat aus einem Glucocorticoid und einem Antibiotikum sinnvoll sei und eine wesentliche Erleichterung bei Patienten mit infizierten Ekzemen bewirke. Hierzu heißt es, der Bundesregierung lägen für Kombinationspräparate der genannten Wirkstoffe keine hinreichend validen Daten vor, die den Zusatznutzen des Antibiotikums belegten.

Neun Monate für Neues

Das Ministerium erläutert darüber hinaus, dass – sollte die Positivliste kommen – neuzugelassene, verschreibungspflichtige Arzneimittel neun Monate lang vorläufig erstattungsfähig sein sollten. In dieser Zeit sollte über ihre Aufnahme oder Nichtaufnahme in die "Positivliste" entschieden werden.

Die Präparate würden im Bundesanzeiger bekannt gemacht, zudem würden sie speziell als vorläufig erstattungsfähig in der entsprechenden Fertigarzneimittelliste gekennzeichnet. Die neunmonatige Frist hält die Bundesregierung bis zur endgültigen Entscheidung für ausreichend.

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