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Gesundheitssystem: Es mangelt an Qualität, Effizienz und Gerechtigkeit

BERLIN (rb). Unser deutsches Gesundheitssystem zeigt Qualitätsdefizite, wird von vielen Menschen als ungerecht empfunden und gilt als wenig effizient. Dies ist die Einschätzung des Mediziners und Ökonomen Prof. Dr. Karl W. Lauterbach, Mitglied im Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen. Anlässlich einer Apotheker-Informationstagung der Firma Gehe am 25./26. Juni in Berlin erläuterte Lauterbach seine Sichtweise zum Status quo sowie zu notwendigen Reformen in der Gesundheitspolitik. Ansatzpunkt für seine Betrachtungen waren die drei Dimensionen Qualität, Effizienz und Gerechtigkeit innerhalb des deutschen Systems.

Im Vergleich mit Europa um dreißig Prozent teurer

Aus der Perspektive der Versicherten sei es am wichtigsten, die bestehende Qualitätslücke im Gesundheitswesen zu schließen, so die Einschätzung von Lauterbach. Denn der Patient interessiere sich stets mehr für die bestmögliche Versorgung als für deren Kosten.

Die Feststellung, eine notwendige Operation sei um zwanzig Prozent teurer ausgefallen als erwartet, würde den Operierten kaum berühren. Belasten oder gar erregen würde ihn jedoch die Aussage, das Ergebnis seiner Operation sei nur achtzig- statt hundertprozentig.

Niemand könne behaupten, dass das deutsche Gesundheitssystem in Bezug auf die Versorgungsqualität vorbildlich sei, stellte Lauterbach fest. Nur jeder vierte Mensch mit Bluthochdruck werde überhaupt behandelt, Deutschland habe im Vergleich mit anderen Ländern weltweit die zweihöchste Schlaganfallquote.

Ebenso werde unser System von vielen Menschen als ungerecht empfunden. Dass sich Besserverdienende und Gesunde in Deutschland aus der GKV einseitig ausklinken und privat absichern könnten, sei weltweit einmalig, betonte Lauterbach. Fachleute sprechen von einer "Meistbegünstigtenregel". In Holland sei es beispielsweise so, dass sich sowohl Gesunde als auch Kranke ab einer bestimmten Einkommensgrenze privat versichern müssten – dies sei wesentlich gerechter.

Zum Stichwort Effizienz erklärte Lauterbach, dass das deutsche im Vergleich zu den anderen europäischen Gesundheitssystemen rund dreißig Prozent teurer sei, doch der Gegenwert sei nicht wirklich erkennbar. Lauterbach persönlich ist zwar nicht der Meinung, dass wir zu viel Geld für unsere Gesundheit ausgeben, auch habe er keine Kostenexplosion feststellen können, dafür aber deutliche Effizienzmängel.

Pro Jahr gebe es in Deutschland 560 000 Linksherzkatheteruntersuchungen, die Zahl der Angiografien habe sich in kürzester Zeit verdreifacht, die der Ballondilatationen sogar verfünffacht gegenüber anderen Ländern – diese Steigerungsraten seien durch nichts begründbar.

Maßstab Evidence-basierte Medizin

Lauterbach machte kein Hehl daraus, dass für ihn die Evidence-basierte Medizin der Maßstab allen ärztlichen Handelns sein müsse. Die Ärzte müssten ihre Patienten auf der Grundlage von Fakten überzeugen und sie so in die "richtige" therapeutische Spur lenken. Natürlich müssten Ärzte für die "sprechende Medizin" auch anders bezahlt werden als bisher, das Gleiche gelte für Apotheker, betonte Lauterbach in der Diskussion auf Nachfrage.

Er persönlich sehe im Apotheker die Fachpersonen, die über Risiken von Arzneimitteln informieren, beraten, überzeugen sollten. Selbstverständlich müsse diese Beratungsleistung unabhängig von den verkauften Produkten honoriert werden. Lauterbach bezeichnete es als seine Grundphilosophie, "auf der Basis von Fakten zu überzeugen". Diese Grundphilosophie müsse das Fundament aller Gespräche zwischen Experten und Patienten bilden.

Qualität und Ökonomie – kein Gegensatz

Lauterbach beklagte, dass man in Deutschland Qualität und Ökonomie häufig als Gegensatz sehe. Dies sei ein falsches Verständnis von Qualität und ein künstlicher Konflikt, der die gesamte Diskussion im Gesundheitswesen behindere. Nach Lauterbachs Definition ist Ökonomie immer ein Teil der Qualität. Auch habe Ökonomie nichts mit Rationierung zu tun. Eine Leistung zu rationieren bedeutete, sie einem Personenkreis vorzuenthalten.

Ökonomisches Verhalten stehe fast für das Gegenteil, sagte Lauterbach, hier sei der Ansatzpunkt, niemandem das vorzuenthalten, was er brauche. Als Beispiel führte er an, dass Hypertoniker – laut in der letzten Zeit vielfach zitierten Studienergebnissen – genauso effizient und erfolgreich mit preiswerten Diuretika behandelt werden könnten wie mit den weitaus kostspieligeren ACE-Hemmern, Calciumantagonisten und AT1-Blockern. Auf diese und ähnliche Weise sei die bestehende Qualitätslücke im Bereich der Bluthochdruckbehandlung, aber auch bei Diabetikern "billig" zu schließen, sagte Lauterbach.

Problem demografische Entwicklung

Die Sozialpolitik müsse in Deutschland endlich mit der Familienpolitik verknüpft werden, forderte Lauterbach. Leider sei hierzulande der kontinuierliche Geburtsrückrang ein absolutes Tabuthema. Die problematische demografische Entwicklung der deutschen Gesellschaft stellt nach Lauterbachs Ansicht eine riesige Herausforderung dar, denn das Verhältnis zwischen der "produktiven Gruppe" innerhalb der Bevölkerung und den "Unproduktiven" (Kindern, Rentnern, Kranken, Arbeitslosen) verschiebe sich in den nächsten Jahrzehnten massiv.

Selbst bei der optimistischen Annahme, dass wir jedes Jahr eine Nettozuwanderung von 200 000 Personen hätten, kämen im Jahr 2030 auf hundert Menschen aus der produktiven Gruppe der Zwanzig- bis Sechzigjährigen bereits achtzig "Unproduktive" jenseits der Sechzig. Jede wirkliche Gesundheitsreform müsse nach Lauterbachs Ansicht die anstehenden Fragen mit der Geburtenpolitik koppeln.

Instrumente der Kostensteuerung

Lauterbach kritisierte den derzeitigen Oppositionsvorschlag, eine zehnprozentige Zuzahlung des Versicherten auf alle Gesundheitsleistungen zu erheben – bis zu einem Beitrag in Höhe von zwei Prozent des Bruttoverdienstes. Dies würde bedeuten, sage Lauterbach, dass alle chronisch Kranken und fast alle Rentner einen um zwei Prozent erhöhten Krankenkassenanteil zahlen müssten.

Der jetzige Beitragssatz von 14,4 Prozent stiege auf 16,4 Prozent, eine steuernde Wirkung der Zuzahlung sei wirklich nicht erkennbar. Besser wäre es, die Zuzahlung zu verknüpfen mit einer effizienten Nutzung des Systems sowie einer qualitätssteigernden Wirkung. Konkrete Vorstellungen dazu nannte Lauterbach nicht.

In der Diskussion wurde erkennbar, dass Lauterbach auf eine höhere Eigenverantwortung des Patienten setzt und auf dessen Bereitschaft, sich von Fachleuten Fakten und Statistiken in Bezug auf notwendige medizinische Maßnahmen erklären zu lassen – als Basis für eigene Entscheidungen.

Unser deutsches Gesundheitssystem zeigt Qualitätsdefizite, wird von vielen Menschen als ungerecht empfunden und gilt als wenig effizient. Dies ist die Einschätzung des Mediziners und Ökonomen Prof. Dr. Karl W. Lauterbach, Mitglied im Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen. Anlässlich einer Apotheker-Informationstagung der Firma Gehe am 25./26. Juni in Berlin erläuterte Lauterbach seine Sichtweise zum Status quo sowie zu notwendigen Reformen in der Gesundheitspolitik. Ansatzpunkt für seine Betrachtungen waren die drei Dimensionen Qualität, Effizienz und Gerechtigkeit innerhalb des deutschen Systems.

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