DAZ aktuell

Novellierung des EG-Arzneimittelrechts: Keine Zwangsharmonisierung des Verschrei

CANNES (diz). Eine Zwangsharmonisierung des Verschreibungsstatus für Arzneimittel als verschreibungspflichtig oder als nicht-verschreibungspflichtig wird es auch in Zukunft in den Ländern der EU nicht geben. Über diese und weitere Regelungen einigte sich der Rat der EG-Gesundheitsminister am 2. Juni 2003 im Rahmen seiner Beratungen über die von der EG-Kommission vorgelegten und bereits vom Europäischen Parlament beratenen Vorschläge zur Novellierung des EG-Arzneimittelrechts.

Wie auf einer Pressekonferenz des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH) am Rande der 39. Jahresversammlung der AESGP (Europäischer Dachverband der Arzneimittel-Hersteller), die vom 4. bis 6. Juni in Cannes stattfand, zu erfahren war, ist die Einigung der EG-Gesundheitsminister noch kein formaler Beschluss des Ministerrates, aber es spiegelt dennoch ein gemeinsames Beratungsergebnis von Kommission, Europäischem Parlament und Ministerrat wider.

Auch aus deutscher Sicht sei es erfreulich, so Dr. Hermann Kortland, der sich beim BAH mit Europafragen befasst, dass es in künftigen Anerkennungsverfahren keine Zwangsharmonisierung des Verschreibungsstatus der Arzneimittel als verschreibungspflichtig oder als nicht-verschreibungspflichtig geben werde.

Ursprünglich hatte die Kommission vorgeschlagen, die beteiligten Mitgliedstaaten sollten sich im Rahmen der Fachinformation auf einen einheitlichen Verschreibungsstatus des jeweiligen Arzneimittels einigen müssen. BAH und AESGP hatten jedoch bei der Kommission, den Mitgliedstaaten und dem Europäischen Parlament heftig opponiert.

Eine Zwangsharmonisierung kommt, so die Argumentation, aufgrund historisch bedingter Unterschiede in den medizinischen Schulen der Mitgliedstaaten, den Sozialsystemen und ethisch-kulturellen Einstellungen zu Medizin und zu Arzneimitteln erheblich zu früh. Außerdem hätte eine Zwangsharmonisierung dazu geführt, dass aufgrund der bestehenden Unterschiede in den Mitgliedstaaten bei der Klassifizierung von Arzneimitteln ein Arzneimittel in der Regel den Status der Verschreibungspflicht bekommen hätte.

Dies hätte dazu geführt, dass nahezu alle pflanzlichen Arzneimittel der Rezeptpflicht unterworfen worden wären, der Verbraucher wäre dadurch entmündigt worden und letztendlich wären wegen des dann notwendig gewordenen Arztbesuches die Gesundheitsausgaben der Mitgliedstaaten gestiegen.

Das Europäische Parlament hatte bereits im Oktober des vergangenen Jahres den Kommissionsvorschlag zur Zwangsharmonisierung der Verschreibungspflicht abgelehnt. Kommission und Ministerrat haben den Parlamentsvorschlag prinzipiell akzeptiert. Sollte nun die Zwangsharmonisierung endgültig vom Tisch sein, bliebe das große rezeptfreie Arzneimittelsortiment in Deutschland, aber auch in einigen anderen Mitgliedstaaten erhalten, was sich der BAH im Gesetzgebungsverfahren zum zentralen Ziel gemacht hatte.

An diesem Ziel halte der BAH, so betonte Kortland, trotz des Vorschlages der Bundesregierung, im Rahmen des Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetzes (GMG) rezeptfreie Arzneimittel grundsätzlich aus der GKV-Versorgung herauszunehmen, fest. Auch der BAH ist der Auffassung, dass das Kriterium der Rezeptpflicht/Rezeptfreiheit als Maßstab für die Erstattungsfähigkeit ungeeignet ist.

Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel bei der EMEA

Den Besonderheiten von Phytopharmaka mit ihren komplex zusammengesetzten, arzneilich wirksamen Bestandteilen, muss bei der Zulassung besonders Rechnung getragen werden, so eine langjährige Forderung von BAH und AESGP. Deshalb soll bei der europäischen Zulassungsbehörde EMEA ein Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel neu eingerichtet werden, der die alleinige Kompetenz und Zuständigkeit für die wirtschaftliche Beurteilung aller pflanzlichen Arzneimittel in allen Zulassungs- und in den Schiedsverfahren erhält.

Im Oktober des vergangenen Jahres hatte das Europäische Parlament auf besonderes Betreiben von BAH und AESGP einen Änderungsantrag beschlossen, wonach die Entscheidung über die Zulassung pflanzlicher Arzneimittel ausschließlich bei diesem noch einzurichtenden Ausschuss liegen soll.

Dieser Beschluss des Parlaments hat wiederum den politischen Druck auf die Kommission und den Ministerrat erhöht, die beide den Vorschlag des Europäischen Parlaments übernommen haben. Damit ist davon auszugehen, dass nach dem Inkrafttreten der Richtlinie über traditionelle Arzneimittel (voraussichtlich zum 1. Januar 2004) die Kompetenz zur ausschließlichen und eigenverantwortlichen wissenschaftlichen Beurteilung aller pflanzlichen Arzneimittel in allen Zulassungsverfahren auf den neuen Ausschuss für pflanzliche Arzneimittel übertragen wird.

Den Besonderheiten pflanzlicher Arzneimittel würde damit Rechnung getragen, die Bedeutung des Anerkennungsverfahrens für pflanzliche Arzneimittel würde sich dadurch deutlich erhöhen. Dies sei, so der BAH, angesichts der für pflanzliche Arzneimittel miserablen Statistik auch dringend nötig. Denn bisher betrafen von den bis Ende 2002 abgeschlossenen 1819 Anerkennungsverfahren lediglich sieben pflanzliche Arzneimittel.

Definitionen der Sicherheitsklauseln in Guidelines

Arzneimittelhersteller haben bekanntlich die Möglichkeit, basierend auf einer in einem Mitgliedstaat erteilten nationalen Zulassung, die Anerkennung dieser nationalen Erstzulassung in einem bzw. in vierzehn weiteren Mitgliedstaaten zu beantragen. Innerhalb von 90 Tagen müssen die Mitgliedstaaten die Erstzulassung anerkennen und für ihr Hoheitsgebiet die weitere nationale Zulassung erteilen.

Nur wenn ein Mitgliedstaat davon ausgeht, dass "Gefahren für die öffentliche Gesundheit" vorliegen, kann die Anerkennung versagt werden (Sicherheitsklausel). Dies hat dann zur Folge, dass der zuständige Fachausschuss der nationalen Zulassungsbehörde EMEA als Schiedsrichter in das Verfahren eingeschaltet wird.

Die Schiedsentscheidung der EMEA muss dann von den betroffenen Mitgliedstaaten umgesetzt werden, das heißt im positiven Fall müssen die Mitgliedstaaten die Zulassung gegebenenfalls mit Änderungen erteilen, im negativen Fall wird die Zulassung in den Mitgliedstaaten versagt, gleichzeitig aber auch die Erstzulassung in dem Staat, in dem die nationale Zulassung erteilt wurde (so genannte negative Rückwirkung).

Aus dieser Vorgehensweise ergab sich, dass nationale Zulassungsbehörden ihr gegenseitiges Misstrauen durch Anwendung der Sicherheitsklausel ausdrückten und dadurch die Anerkennung versagten, was wiederum ein Schiedsverfahren nach sich zog mit allen Risiken für den antragstellenden Hersteller.

Vor diesem Hintergrund hat sich der BAH bereits seit längerem dafür eingesetzt, dass die Sicherheitsklausel "Gefahr für die öffentliche Gesundheit" von der Europäischen Kommission in Guidelines (Leitlinien) konkretisiert bzw. klar definiert wird. So sollte sich dieser Begriff nach Auffassung des BAH nur auf die Indikation, Kontraindikation und die Dosierung beziehen können. Nur wenn diese drei Bereiche betroffen sind, sollte die Anerkennung versagt werden können und das Schiedsverfahren eingeleitet werden. Dieser Argumentation folgte nun der EG-Ministerrat.

Keine "Krankheitsliste" im Heilmittelwerberecht

Gegenwärtig geltendes EG-Heilmittelwerberecht bestimmt, dass für diejenigen rezeptfreien Arzneimittel, die zur Behandlung ernsthafter, in einer so genannten Krankheitsliste definierten Krankheiten dienen, keine Öffentlichkeitswerbung betrieben werden darf.

Dazu gehören u. a. Mittel zur Behandlung der Tuberkulose, Geschlechtskrankheiten, Infektionskrankheiten, chronische Schlaflosigkeit, Diabetes und sonstige Stoffwechselkrankheiten. Auch im deutschen Heilmittelwerbegesetz findet sich eine solche Krankheitsliste, die allerdings noch deutlich restriktiver ist als die entsprechende EG-Werberichtlinie.

Der BAH hat bereits seit längerem gefordert, solche Krankheitslisten in der EG-Werberichtlinie und im deutschen Heilmittelwerbegesetz zu streichen. Der EG-Ministerrat hat sich nun dieser Forderung angeschlossen, was bedeutet, dass in Zukunft für alle rezeptfreien Arzneimittel unabhängig von der Indikation Öffentlichkeitswerbung zulässig werden wird.

Krankheitslisten seien überflüssig aufgrund der modernen wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Arzneimitteln, dem vergrößerten Spektrum zur Verfügung stehender rezeptfreier Arzneimittel, die damit korrelieren- de gestiegene Kenntnis der Verbraucher mit der richtigen Verwendung für Arzneimittel und einem gewachsenen Wissen der Verbraucher über ihre Gesundheit und dem damit gestiegenen Gesundheitsbewusstsein.

Eindeutig abgelehnt wurde jedoch vom Europäischen Parlament und von der Ministerrats-Arbeitsgruppe ein Kommissionsvorschlag, für bestimmte rezeptfreie Arzneimittel erweiterte Informationsmöglichkeiten einzuräumen. Ursprünglich plädierte die Kommission dafür, dass pharmazeutische Unternehmer bestimmte, genau definierte Informationen über Arzneimittel zur Behandlung von HIV-Infektionen, Asthma und Diabetes an Patienten bzw. Patientengruppen weiterleiten können.

Das Europäische Parlament und der Ministerrat sahen darin jedoch einen Einstieg in die Publikumswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, wie sie bereits in den USA und Neuseeland zulässig ist.

Nichtgebrauch von Zulassungen

Nach Informationen des BAH zeichnet sich ab, dass Arzneimittel ihre Zulassung verlieren sollen, wenn das Arzneimittel nicht innerhalb von drei Jahren nach Zulassungserteilung durch den zuständigen Mitgliedstaat vom pharmazeutischen Unternehmer tatsächlich in Verkehr gebracht worden ist. Nur bei außergewöhnlichen Umständen könne die Dreijahresfrist noch verlängert werden.

Diesen Vorschlag lehnt der BAH entschieden ab, da das Erlöschen der Zulassung durch Nichtgebrauch sich weder durch wissenschaftliche Gründe noch durch Sicherheitsaspekte rechtfertigen lässt. So dauern in manchen Mitgliedstaaten Preisverhandlungen mit den zuständigen Behörden zum Teil länger als drei Jahre. Dies hätte zur Folge, dass die Zulassung bereits erloschen ist, wenn der Preis genehmigt wurde.

Nur einmalige Zulassungsverlängerung notwendig

Die Zulassung für ein Arzneimittel ist nach jetzigem EG-Recht und nach deutschem Arzneimittelgesetz für einen Zeitraum von fünf Jahren gültig. Danach kann auf Antrag des pharmazeutischen Unternehmers die Zulassung für weitere fünf Jahre verlängert werden.

Die Europäische Kommission schlug eine unbegrenzte Dauer einer Zulassung vor. Das Europäische Parlament und der Ministerrat setzen sich nun dafür ein, dass eine Zulassung zunächst für einen Zeitraum von fünf Jahren erteilt wird und dass sie nach der erstmaligen Verlängerung dann ohne zeitliche Begrenzung gilt. Nach jetzigem Erkenntnisstand, so Hermann Kortland vom BAH, dürfte die nur einmal notwendige Zulassungsverlängerung konsensfähig sein.

Noch offene Fragenkomplexe

Keine Einigung im Ministerrat wurde zu zwei bedeutenden Fragenkomplexen erzielt, nämlich zum Geltungsbereich des zentralen Verfahrens und zur Datenexklusivität bzw. zum Unterlagenschutz im Rahmen von Zulassungsverfahren. Hier laufen die Diskussionen äußerst kontrovers.

Einige große Mitgliedstaaten lehnen eine weitere Zentralisierung des Zulassungssystems aus grundsätzlichen Gründen ab. Auch Pharmafirmen möchten die Option, ob sie den zentralen oder den dezentralen Zulassungsweg beschreiten, aufrechterhalten. Könnten in Zukunft alle innovativen Arzneimittel nur noch zentral zugelassen werden, würde auch den nationalen Zulassungsbehörden die Kompetenz zur Beurteilung innovativer Arzneimittel vollständig entzogen. Andererseits befürworten einige Mitgliedstaaten eine weitere Zentralisierung des Zulassungssystems.

Die Position des BAH: Er spricht sich für die Beibehaltung der Option, zwischen dem zentralen und dem dezentralen Verfahren zu wählen, aus. Gerade das dezentrale Verfahren ist für kleine und mittelständige Unternehmen unerlässlich. Im Ministerrat muss hierzu ein Kompromiss gefunden werden.

Ein Kompromissvorschlag lautete dahingehend, dass Arzneimittel zur Behandlung von HIV-Infektionen, Krebs und neurodegenerativen Erkrankungen zentral zugelassen werden müssen. Da aber etwa 90 Prozent dieser Arzneimittel heute schon zentral zugelassen werden, ging dieser Vorschlag der Kommission und den übrigen Mitgliedstaaten nicht weit genug. Mittlerweile einigte man sich darauf, auch neue Antidiabetika nur noch zentral zuzulassen. Der Ministerrat hat diesem Kompromissvorschlag mittlerweile zugestimmt.

Schließlich verständigte sich der Ministerrat auch darauf, dass diejenigen Arzneimittel, für die das zentrale Verfahren verpflichtend ist, eine Datenexklusivität bzw. einen Unterlagenschutz von zehn Jahren erhalten. Das bedeutet, dass andere Arzneimittelhersteller (z. B. Generikaanbieter) auf diese Unterlagen und Daten in diesem Zeitraum nicht zurückgreifen dürfen.

Dieser zehnjährige Unterlagenschutz wird um ein Jahr verlängert, wenn der pharmazeutische Unternehmer innerhalb der ersten acht Jahre die Zulassung für eine weitere signifikante innovative Indikation erhält (so genannte 10 + 1-Lösung).

Diejenigen Arzneimittel, die nach dem dezentralen Verfahren oder optional dezentral zugelassen werden, erhalten ebenfalls einen zehnjährigen Unterlagenschutz. Hier können generische Zulassungsanträge zwar nach acht Jahren gestellt werden, die generischen Produkte können aber erst nach Ablauf der zehnjährigen Schutzfrist tatsächlich in Verkehr gebracht werden (so genannte 10 - 2 + 1-Lösung).

Das weitere Procedere

Wie kompliziert und aufwändig das europäische Gesetzgebungsverfahren bis hin zur Umsetzung in nationales Recht ist, zeigt das weitere Procedere. Nach dieser politischen Einigung des Ministerrats zum gesamten Gesetzespaket muss als nächster Schritt der so genannte gemeinsame Standpunkt vereinbart werden, der das gemeinsame Beratungsergebnis von Kommission, Europäischem Parlament und Ministerrat widerspiegelt.

Dies soll, so die Ankündigung der Kommission, unverzüglich geschehen, damit noch innerhalb dieses Jahres das Gesetzgebungsverfahren abgeschlossen werden kann. Dazu ist es notwendig, dass dieser gemeinsame Standpunkt unter der italienischen Präsidentschaft im Oktober 2003 erzielt wird.

Wenn das nicht gelingt oder das Europäische Parlament ein Vermittlungsausschussverfahren einleitet, könnte das Gesetzespaket dann nicht mehr vor den im Juni 2004 stattfindenden Europawahlen verabschiedet werden. Dies bedeutete, dass sich die Novellierung des EG-Arzneimittelrechts um mindestens zwei Jahre verzögern würde.

Aufgrund der bestehenden Interessenslage aller beteiligten Institutionen ist jedoch davon auszugehen, dass das Gesetzgebungsverfahren noch vor den Europawahlen endgültig abgeschlossen werden kann. Dies würde dann bedeuten, dass eine nationale Umsetzung des novellierten EG-Arzneimittelrechts im deutschen Arzneimittelgesetz voraussichtlich im Jahr 2005/2006 stattfände.

Eine Zwangsharmonisierung des Verschreibungsstatus für Arzneimittel als verschreibungspflichtig oder als nicht-verschreibungspflichtig wird es auch in Zukunft in den Ländern der EU nicht geben. Darüber einigte sich der Rat der EG-Gesundheitsminister am 2. Juni 2003 im Rahmen seiner Beratungen über die von der EG-Kommission vorgelegten und bereits vom Europäischen Parlament beratenen Vorschläge zur Novellierung des EG-Arzneimittelrechts.

0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.