Praxis

T. Müller-BohnArzneimittelsicherheit im Apothekenal

Zu den klassischen arzneimittelbezogenen Problemen gehören die Interaktionen. Wohl kaum jemand bestreitet die wichtige Aufgabe der Apotheken, potenzielle Wechselwirkungen zwischen Arzneimitteln zu identifizieren und so die Patienten vor Schaden zu bewahren. Wie solche Situationen im Apothekenalltag ablaufen, wird hier dargestellt. Außerdem geht es in dieser Folge der DAZ-Serie zur Arzneimittelsicherheit um besondere Leistungen der Apotheken bei Beratungen zur Selbstmedikation.

Alle Beispiele stammen aus dem Alltag nordrheinischer Apotheken1. Mit der Präsentation soll ein Beitrag geleistet werden, um die Leistungen der Apothekerschaft für die Arzneimittelsicherheit besser zu verstehen und systematischen Untersuchungen zugänglich zu machen.

Aus der Perspektive des Versorgungsprozesses können zwei große Gruppen von Interaktionen unterschieden werden. Einige Fälle drängen sich in der Apotheke geradezu auf, wenn Rezepte von verschiedenen Ärzten gemeinsam vorgelegt werden.

In anderen Fällen kann die Wechselwirkung nur aufgrund von Informationen über frühere Verordnungen ermittelt werden. Dies ist nur möglich, wenn der Patient in der Apotheke gut bekannt ist oder seine Daten in einer Kundendatei gespeichert sind. Beide Versionen kommen in der Praxis vor.

Doppelverordnungen ...

Als Sonderfall der Interaktionen können Doppelverordnungen abgegrenzt werden. So berichtete beispielsweise eine Apotheke in Moers über zwei Paracetamol-Verordnungen für das gleiche zwölfjährige Kind von zwei verschiedenen Ärzten, ausgestellt an zwei aufeinanderfolgenden Tagen. Hier wäre eine Überdosierung zu befürchten gewesen.

... und Pseudodoppelverordnungen

Relativ nahe an der Doppelverordnung sind die Fälle, in denen zwei oder sogar drei Antibiotika von verschiedenen Ärzten verordnet wurden. Eine Apotheke in Heimbach berichtete über einen Patienten, der vom Hausarzt wegen einer Helicobacter-Infektion und von einer Universitätsklinik wegen einer Osteomyelitis behandelt wurde.

Doch nicht immer sind zwei verschiedene Erkrankungen Ursache für Pseudodoppelverordnungen. So fiel in einer Apotheke in Herzogenrath eine Vietnamesin mit erheblichen Sprachproblemen auf, die vom gleichen Arzt am gleichen Tag auf zwei Rezepten Amoxicillin und Penicillin verordnet bekam.

Eine Apotheke in Bergneustadt berichtet über die Kombination von zwei CSE-Hemmern, von denen einer irrtümlich verordnet war. Zusammen mit einem falsch dosierten Beta-Blocker rechnet die Apothekerin eine Ersparnis für die Krankenkasse von 100 Euro für diesen Patienten bei nur einem Apothekenbesuch vor.

Dies macht deutlich, wie die Arzneimittelkosten durch fehlerhafte Verordnungen steigen können. Die ökonomischen Folgen der drohenden medizinischen Komplikationen bei der Einnahme der falschen Arzneimittel dürften allerdings in vielen Fällen noch deutlich größer sein.

Wechselwirkungen mit Cerivastatin ...

Über einen aus nachträglicher Sicht besonders bemerkenswerten Fall wurde aus einer Apotheke in Grevenbroich berichtet. Dort fiel im April 2000 ein Rezept über Zenas® (wirkstoffgleich mit Lipobay®, Cerivastatin) und Cedur® retard (Wirkstoff: Bezafibrat) auf. Schon damals wurde eine schwere Wechselwirkung zwischen den beiden Arzneistoffen erwartet.

Der Apotheker hielt den CSE-Hemmer bis zur Rückkehr des Arztes aus dem Urlaub zurück und informierte ihn dann über die Interaktion. Der Arzt meinte jedoch, er könne den Patienten nicht mit so hohen Cholesterinwerten herumlaufen lassen und der Patient vertrage die Kombination. Herzbeschwerden des Patienten waren für den Arzt kein Warnzeichen.

Diese wurden offenbar wirklich nicht durch eine Interaktion hervorgerufen. Denn als Cerivastatin im August 2001 aus dem Handel genommen wurde, fragte der Apotheker bei dem Patienten nach, ob er dieses Arzneimittel tatsächlich eingenommen hatte. Der Patient verneinte die Frage.

... und vielen anderen Arzneimitteln

Dieser extreme Fall scheint allerdings keineswegs typisch zu sein. Fast alle Meldungen, die aus den nordrheinischen Apotheken über Wechselwirkungen berichtet wurden, beziehen sich auf Verordnungen von zwei verschiedenen Ärzten, die nichts voneinander wussten. Offenbar erwähnen viele Patienten beim Arztbesuch nicht, wenn sie noch anderswo in Behandlung sind. Meist sind Verordnungen von Ärzten verschiedener Fachrichtungen betroffen, bei denen die Patienten wohl keine Zusammenhänge vermuten.

So wurde über etliche Fälle berichtet, in denen CSE-Hemmer mit Arzneimitteln kombiniert wurden, die deren Abbau hemmen und damit die gefürchteten Nebenwirkungen provozieren können.

Außerdem wurde beispielsweise über die folgenden Kombinationen mit potenziellen Interaktionen berichtet:

  • Timolol®-Augentropfen und Salbutamol®-Dosieraerosol: systemische Nebenwirkungen der Augentropfen sind denkbar.
  • Trevilor® und der MAO-Hemmer Aurorix®.
  • Atenolol und Allergospasmin®: Gefahr von Asthmaanfällen und verminderte Wirkung von Allergospasmin®.
  • Desensibilisierungstherapie und der ACE-Hemmer Lisinopril: Gefahr anaphylaktischer Reaktionen.
  • Glucophage® und Alkohol in Wick MediNait®.
  • Isosorbiddinitrat und Viagra®.

Einige dieser Fälle wurden erkannt, weil die Patienten zufällig gleichzeitig die beiden Rezepte vorlegten. Meist wurden die potenziellen Interaktionen aber aus den früheren Arzneimittelabgaben in der Kundendatei ermittelt. Dies zeigt, wie wichtig eine enge Bindung der Patienten an eine Apotheke insbesondere bei chronisch Kranken sein kann, die viele Arzneimittel erhalten.

Wechselwirkungen verordneter Präparate mit der Selbstmedikation

Manchmal wenden sich aber auch die Patienten von sich aus an die Apotheke, wenn sie den Verdacht haben, ihre gesundheitlichen Probleme könnten durch die eingesetzten Arzneimittel entstehen. Ein Beispiel bildet ein Fall aus Heimbach. Eine Patientin mit chronisch obstruktiver Bronchitis erhielt als Standardmedikation Decortin® H und Truxal®.

Im Rahmen der Selbstmedikation nahm sie Betadorm® A. Nachdem sie zur Raucherentwöhnung zusätzlich Zyban® erhielt, traten Tachykardie und Unruhe auf. Die Probleme wurden im Gespräch mit der Patientin analysiert. Der Apotheker riet von der Selbstmedikation ab und vermittelte beim Arzt eine Therapieumstellung von Truxal® auf Oxazepam.

Kurzfristig betrachtet bedeutet dies für die Apotheke erheblichen Zeitaufwand, der durch einen Umsatzverlust "honoriert" wird, langfristig dürfte es aber ein Beitrag zur Kundenbindung sein, der sich auch wirtschaftlich lohnt.

Das Beispiel zeigt auch, wie die Anwendung verordneter Arzneimittel und die Selbstmedikation ineinander greifen können. Dabei sind verschiedene Problemkonstellationen denkbar. Aus einer Apotheke in Willich wird über eine Kundin berichtet, die zusätzlich zum verordneten Diclofenac ein Antacidum kaufte. Diclofenac erwies sich als fehlerhafte Verordnung angesichts der Kontraindikation bei dieser Patientin.

Aus der gleichen Apotheke wird berichtet, dass fast täglich Patienten zusätzlich zu den verordneten Fluorchinolonen in der Selbstmedikation Antacida, Magnesium-, Calcium- oder Zinkpräparate verlangen und damit die Wirkung der Antibiotika-Therapie gefährden. In einer Apotheke in St. Augustin wurde für einen schilddrüsenkranken Diabetiker Wick MediNait® verlangt, und ein leberkranker Patient wollte Kava-Kava anwenden.

Die Beispiele zeigen, wie wichtig eine Arzneimittelversorgung aus einer Hand ist. Die Belieferung von Rezepten und die Versorgung mit "harmlosen" Arzneimitteln der Selbstmedikation sollten daher nicht getrennt werden.

Selbstmedikation erfordert Beratung

In den obigen Beispielen zur Selbstmedikation wurden die Interaktionen aufgrund der gleichzeitig vorgelegten Verordnungen oder aus den gespeicherten Patientendaten erkannt. Diese Vorgehensweise entspricht dem Ablauf bei der Belieferung von Rezepten. Typisch für die Selbstmedikation scheint aber eher, dass die Patienten bei Beratungen selbst – zumindest auf Nachfrage – die entscheidenden Informationen geben, aus denen die drohenden Probleme zu erkennen sind. Denn diese Patienten suchen die Apotheke bewusst auf, um sich beraten zu lassen.

So wird aus einer Apotheke in Heimbach von einer Kundin berichtet, die sich aufgrund eines Zeitungsberichtes für Tebonin® forte interessierte. Auf Nachfrage gab sie sich allerdings als Marcumar®-Patientin zu erkennen. Daraufhin wurde ihr dringend von der geplanten Selbstmedikation abgeraten.

In der gleichen Apotheke verlangte eine Kundin, die nicht Diabetikerin war, Ketostix®. Auf die Frage, wofür sie diese Teststreifen einsetzen wollte, erläuterte sie eine geplante Fettdiät, deren Verlauf so überwacht werden sollte. Angesichts ihrer bereits bestehenden Erkrankungen wurde der Kundin von einer so kuriosen einseitigen "Diät" abgeraten.

Grenzen der Selbstmedikation

Ein weitere beachtliche Gruppe von Problemen im Bereich der Selbstmedikation bilden die vermeintlich geringfügigen Gesundheitsstörungen, hinter denen sich aber schwerwiegende Erkrankungen verbergen können. Solche Patienten müssen konsequent an einen Arzt verwiesen werden.

Aus einer Apotheke in Wermelskirchen wird berichtet, fast täglich würden Patienten versuchen, ernste Erkrankungen selbst zu behandeln. Sie würden stets zum Arzt geschickt. Die weitaus meisten würden sich hinterher für den guten Rat bedanken. So verlangte beispielsweise ein Kunde Vitamin B gegen Bläschen an der Stirn. Der Arzt diagnostizierte eine Gürtelrose.

In der R.-Apotheke in Krefeld fragte ein Patient mehrfach nach einer Salbenbehandlung gegen die ausstrahlenden Schmerzen in seinen Händen. Auch Pinimenthol®-Bäder halfen ihm nicht. Als er endlich von der Notwendigkeit eines Arztbesuches überzeugt werden konnte, wurde eine rheumatoide Arthritis festgestellt.

In einer Apotheke in St. Augustin verlangte ein Patient ein Mittel gegen Halsschmerzen. Obwohl dies ein unspektakulärer Wunsch ist, fiel der Patient mit seinen außergewöhnlich starken Halsschmerzen und einer äußeren Schwellung auf, die wie eine Struma aussah. Beim Arzt stellte sich heraus, dass dieser Schilddrüsenpatient seit fünf Jahren bei keiner Kontrolle war.

Zweifellos sind die meisten Patienten überfordert, die möglichen Ursachen ihrer vermeintlich harmlosen Symptome einzuschätzen. Daher ist die Apothekenpflicht auch für solche Arzneimittel sinnvoll, die bei der richtigen Indikation und dem richtigen Gebrauch tatsächlich harmlos sind.

Fußnote

1 Aufgrund einer Initiative der Deutschen Apotheker Zeitung (siehe DAZ 29/2000) hatte der Apothekerverband Nordrhein seine Mitglieder aufgefordert, Ereignisse zu dokumentieren, die die Leistungen der Apotheken für die Arzneimittelsicherheit besonders verdeutlichen. Die Aktion des Apothekerverbandes trägt den Titel "Beratung durch die Apotheke – ökonomisch und gesundheitspolitisch unverzichtbar". Die hier vorgestellten Fälle bilden eine Auswahl aus dieser Dokumentation.

Die ersten drei Teile dieser Serie erschienen in DAZ 18, 20 und 22.

Fast alle Meldungen, die über Wechselwirkungen berichtet wurden, beziehen sich auf Verordnungen von zwei verschiedenen Ärzten, die nichts voneinander wussten.

Die Belieferung von Rezepten und die Versorgung mit "harmlosen" Arzneimitteln der Selbstmedikation sollten nicht getrennt werden.

Aufruf: Was leisten Sie in Ihrem Alltag für die Arzneimittelsicherheit? Sicher erleben auch Sie immer wieder außergewöhnliche Situationen, in denen Ihre Bemühungen die Patienten vor möglichen Schäden oder Gefahren bewahren. Wie haben Sie in solchen Fällen für die nötige Arzneimittelsicherheit gesorgt? Welche bemerkenswerten oder außergewöhnlichen Erlebnisse gab es in Ihrem Apothekenalltag? Welche arzneimittelbezogenen Probleme haben Sie festgestellt? – Bitte schreiben Sie uns.

Die hier vorgestellten Fälle gehen auf Meldungen nordrheinischer Apotheken zurück und wurden vom Apothekerverband Nordrhein gesammelt. Doch sicher lassen sich in manchen Apotheken anderswo in Deutschland ähnliche Erfahrungen machen. Wir bitten daher Leserinnen und Leser aus allen Apotheken, uns ihre persönlichen Erfahrungen mitzuteilen. Wir möchten damit eine noch breitere Basis gewinnen, um die Öffentlichkeit möglichst repräsentativ über die Leistungen der Apotheker informieren zu können.

Bitte senden Sie uns Ihre Erlebnisse unter dem Stichwort "Arzneimittelsicherheit" per Brief, Fax oder E-Mail an DAZ-Redaktion, Stichwort Arzneimittelsicherheit, Postfach 10 10 61, 70009 Stuttgart, Fax (07 11) 2 58 22 91, E-Mail: daz@deutscher-apotheker-verlag.de. Falls Ihnen ein problematisches Rezept vorliegt, wäre es sinnvoll, es zur Dokumentation und zum Beweis zu kopieren und mit einzuschicken (nach Anonymisierung durch Schwärzung der Arzt- und Patientendaten).

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