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Außenansicht: Worin sich Arzneimittel von Staubsaugern unterscheiden

Unsere Gesundheitsministerin sagt, dass die Ärzte zu viele Medikamente verschreiben, "deren Nutzen zweifelhaft ist". Auch Sozialwissenschaftler und Pharmakritiker Gerd Glaeske kritisiert, dass sechs Prozent aller Verordnungen Arzneimittel beträfen, "deren Nutzen wissenschaftlich nicht belegt sei". Beide glauben, dass ein "Deutsches Institut für Qualität in der Medizin" hier für Änderungen (sprich Einsparungen) sorgen könne. Sogar der hessische Ministerpräsident Roland Koch (CDU) kann einer "Stiftung Warentest für Medikamente" etwas abgewinnen.

Worum geht es bei der Warentestung? Letztlich immer um die Qualität, und ob die Qualität ihren Preis wert ist. Staubsauger sind Gebrauchsgegenstände. Sie müssen eine Wirkung haben (also saugen) und sicher sein (also keine Stromschläge austeilen). Der von allen Benutzern erhoffte Nutzen eines solchen Gerätes – die Staubbeseitigung – lässt sich also allgemein verbindlich definieren.

Staubsauger wie auch Medikamente sind Waren. Als technische Produkte werden sie von Spezialisten entwickelt und produziert. Später werden sie von Menschen benutzt, die von den Produkten selbst nichts verstehen. Deshalb wird von den Herstellern verlangt, dass ihre Produkte wirksam und sicher sind und eine dem technischen Stand entsprechende Qualität aufweisen.

Sowohl Staubsauger als auch Medikamente erfüllen in der Regel diese Anforderungen. Und der Frage, ob der Staubsauger seinen Preis auch wert ist, geht zum Nutzen der Konsumenten die "Stiftung Warentest" nach.

Warum nun, fragt sich Frau Schmidt, sollte das, was bei Staubsaugern möglich ist, nämlich Qualität, Nutzen und Preis gemeinsam zu betrachten und bewerten, nicht auch bei Medikamenten möglich sein? Und da es dies nach ihrer Meinung ist, sollen in dem von ihr geplanten Institut auch die Kosten von Arzneimitteln in Relation zu ihrem Nutzen bewertet werden.

Und nicht nur das, der Arzneimittelhersteller muss auch den Nutzen seines Präparats im Vergleich zu bereits zugelassenen Medikamenten darlegen. Da wird mancher Arzneimittelhersteller mit Neid auf den Staubsaugerfabrikanten blicken, von dem so etwas nicht verlangt wird.

Zu den für die Zulassung eines Arzneimittels bisher allein maßgebenden Kriterien "Wirksamkeit", "Unbedenklichkeit" und "pharmazeutische Qualität" kommt nun also der "therapeutische Nutzen". Ihn zu definieren scheint Frau Schmidt nicht schwer zu fallen, sonst würde sie an die Verwirklichung ihres Plans nicht so tatenfroh herangehen.

Denn es gibt da ein Problem. Was ist denn Nutzen, wie wird therapeutischer Nutzen definiert? Warum ist ein Medikament dem einen Patienten von Nutzen, einem anderen bei der gleichen Krankheit aber nicht? Ist ein Medikament, das nicht doppelt blind geprüft wurde, deshalb nutzlos? Es ist typisch für Wissenschaftler und Experten (auf die sich auch die Ministerin verlassen muss), dass sie alles, was wissenschaftlich nicht bewiesen ist (und gerade in der Medizin auch oftmals nicht bewiesen werden kann), als unwirksam und unseriös betrachten.

Arzneimittel sind Standardprodukte, können (zumindest derzeit) auch gar nichts anderes sein. Der Mensch aber ist einmalig. Es gibt keine zwei identischen Menschen, jeder von uns ist ein Unikat. Deshalb reagieren auch nicht alle Menschen auf ein bestimmtes Medikament in gleicher Weise. Deshalb treten Nebenwirkungen auch nicht bei jedem Menschen und nicht in gleicher Stärke auf. Und deshalb ist auch der Nutzen eines Medikaments nicht für alle Menschen gleich.

Es gibt noch eine andere Schwierigkeit, therapeutischen Nutzen zu definieren: die Verschiedenartigkeit der Krankheitsbilder. Beispiel Magen-Darm-Beschwerden. Von den säurehemmenden Substanzen wirken Protonenpumpenhemmer wie Omeprazol wegen ihrer praktisch vollständigen Unterdrückung der Säureproduktion am stärksten und sind in der Behandlung von Magen-Darmgeschwüren wirksamer als H2-Blocker wie Cimetidin und Ranitidin.

Während die totale Sekretionshemmung bei der Reflux-Ösophagitis sinnvoll ist, ist sie zur Behandlung der peptischen Ulkuskrankheit nicht unbedingt notwendig. Während die einen Patienten die besten Ergebnisse mit Cimetidin haben, schwören andere auf Ranitidin. Was nichts anderes heißt, als dass therapeutischer Nutzen etwas individuelles ist und nur vom Patient selbst beurteilt werden kann.

Um in einem Feld unterschiedlicher Krankheitsbilder des gleichen Indikationsbereichs herauszufinden, welche Therapie den meisten Patienten den größten Nutzen bringt, muss man alle Medikamente im Markt gegeneinander antreten lassen. Der Markt gibt die Antwort.

Natürlich haben wir auch in der Medizin keine andere Möglichkeit, als auf einen möglichst "allgemeinen Nutzen" abzustellen, jedoch ist dieser meist erst nach langzeitiger Beobachtung erkennbar. Jedenfalls darf man nicht annehmen, dass mit dem Beginn der Vermarktung eines neuen Medikaments die Bewertung seines therapeutischen Nutzens abgeschlossen wäre, streng genommen beginnt sie erst mit ihr.

Und wenn wir den Markt schon bei der Einführung einer Innovation zu reglementieren beginnen, werden wir ihren vollen Nutzen überhaupt nicht erkennen.

Deshalb sollte uns klar sein, dass die Frage nach dem Nutzen eines Medikaments weder durch eine von neun Experten erarbeitete Positivliste noch durch eine "Stiftung Warentest für Medikamente" beantwortet werden kann. Wenn uns das nicht klar wird, werden wir statt Nutzen zu erreichen nur den Schaden haben.

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