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Bestehen die Festbeträge auch vor den EU-Richtern?

LUXEMBURG (ks). Festbeträge laufen der Pharmaindustrie schon lange zuwider. Vor den deutschen Gerichten haben sie sich vielfach um Feststellung bemüht, dass die Festlegung der Höchstpreise für Arzneimittel durch die Spitzenverbände der Krankenkassen wettbewerbswidrig sei. Das Bundesverfassungsgericht hatte im letzten Dezember entschieden, dass dieses Preisfestsetzungsverfahren mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist. Nun steht noch eine Entscheidung des Europäischen Gerichthofs (EuGH) aus. Am 22. Mai stellte der zuständige Generalanwalt Francis Jacobs am EuGH seine Schlussanträge. Er ist der Ansicht, dass die Spitzenverbände zwar Unternehmen im Sinne des europäischen Wettbewerbsrechts sind und die Festbetragsfestsetzung prinzipiell wettbewerbswidrig sei. Doch Ausnahmen bestätigen bekanntlich die Regel.

Dem EuGH liegen vier Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs und des Kartellsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vor. Bei diesen geht es im Wesentlichen darum, ob Krankenkassen Unternehmen sind und daher den Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaft unterliegen.

Wenn dies so sei, wollen die nationalen Gerichte wissen, ob die Entscheidungen der Spitzenverbände, mit denen sie Festbeträge festsetzen, gegen Artikel 81 EG-Vertrag verstoßen können. Nach dieser Vorschrift sind u. a. Beschlüsse von Unternehmen verboten, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des gemeinsamen Markts bezwecken oder bewirken. Falls ein Verstoß vorliegen sollte, stellt sich zuletzt noch die Frage, ob dieser gerechtfertigt sein könnte.

Verschiedene Hersteller hatten gegen den AOK-Bundesverband geklagt. Sie halten das Festbetrags-Festsetzungsverfahren für einen Verstoß gegen EU-Wettbewerbsrecht. Die Spitzenverbände der Kassen und Ärzte legen fest, welche Medikamente unter diese Regelung fallen. Diese Auswahl muss dann vom Bundesgesundheitsministerium genehmigt werden. Anhand gesetzlich vorgeschriebener Kriterien ermitteln die Krankenkassen die Festbeträge für diese Präparate.

Spitzenverbände handeln nach gesetzlichen Vorgaben

Der Generalanwalt vertritt die Auffassung, dass die Spitzenverbände der gesetzlichen Kassen als Unternehmensvereinigung anzusehen sind, wenn sie gemeinsam Festpreise festlegen. Dafür spreche, dass sie in der Lage sind, bei der Erbringung von Krankenversicherungsleistungen – wenn auch nur in bestimmten Grenzen – miteinander und mit privaten Unternehmen zu konkurrieren.

Angesichts dessen sind dem Generalanwalt zufolge die Wettbewerbsvorschriften der Gemeinschaften anwendbar. Eine solche gemeinsame Festsetzung stelle auch einen Beschluss einer Unternehmensvereinigung dar, der eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs im Sinne des Europäischen Wettbewerbsrechts bezwecke oder bewirke.

Dennoch verstoßen die Spitzenverbände mit der Festsetzung nicht zwangsläufig gegen das EU-Wettbewerbsrecht, so der Generalanwalt. Nämlich dann nicht, wenn die daraus folgende Einschränkung des Wettbewerbs nicht ihrem selbstständigen Verhalten zuzuschreiben ist, sondern durch das nationale Recht vorgeschrieben ist.

Nationale Gerichte sollen entscheiden

Es sei nun Sache der nationalen Gerichte, zu klären, ob das deutsche Recht den Beklagten bei der Festsetzung der Festbeträge keine Möglichkeit für selbstständiges Verhalten lasse, meint der Generalanwalt. Selbst wenn die beklagten Kassen selbstständig gehandelt haben sollten, verbleibe ihnen die Möglichkeit, ihr Verhalten als erforderliches und verhältnismäßiges Mittel zur Sicherung der Erbringung von Dienstleistungen, die im allgemeinen Interesse liegen, zu rechtfertigen.

Die deutschen Gerichte müssen nun beurteilen, ob die Festsetzung von Festbeträgen erforderlich ist, um die finanzielle Stabilität der Krankenkassen zu sichern. Eine solche Rechtfertigung scheide nur aus, wenn gezeigt werde, dass das System offensichtlich unverhältnismäßig sei, die Fähigkeit der Kassen zu sichern, ihre im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegenden Aufgaben unter finanziell stabilen Bedingungen zu erfüllen.

Nach Verlesung der Schlussanträge des Generalanwalts treten die Richter des Gerichtshofes in die Beratung ein. Das Urteil ergeht zu einem späteren Zeitpunkt. Die Ansicht des Generalanwalts ist nicht bindend, allerdings folgen die Richter beim EuGH in vielen Fällen dessen Einschätzung.

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