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Die Krise realistisch einschätzen – und dann dagegen angehen (Festvortrag

MERAN (ral). "Deutschland zwischen Bangen und Hoffen" lautete das Thema des Festvortrags zum 41. BAK-Fortbildungskongress in Meran. Als Festredner sprach der Politikwissenschaftler Prof. Dr. jur. Arnulf Baring. Seiner Einschätzung nach ist die Krise, in der Deutschland zurzeit steckt, weitaus größer, als sie von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird Ų eine fatale Situation, denn Hilfe kann Baring zufolge nur von den Bürgern selbst kommen, von politischer Seite erwartet er keine Lösungen.

Baring machte die Krise, unter der Deutschland leidet, an zwei Sachverhalten deutlich: an der Verschuldung und am Geburtenrückgang. Die staatliche Verschuldung, so Baring, werde mit über einer Billion Euro beziffert, es gebe Berechnungen, die sogar von fünf Billionen Euro ausgehen. "Jede Sekunde, die ich hier spreche, wächst die Summe um 2000 Euro an", rechnete er vor. Eine derartige Verschuldung entstehe natürlich nicht von heute auf morgen und sei nicht erst ein Problem der rot-grünen Regierung.

Bereits seit Jahrzehnten gehe die Gesellschaft mit ihren Geldern in leichtfertiger, verantwortungsloser Weise um. "Die Investitionen für die Zukunft wurden und werden dabei aufs Spiel gesetzt", meinte der Politikwissenschaftler.

Verschärft werde das Problem durch den zweiten Sachverhalt, den Geburtenrückgang. Rund acht Millionen junge Menschen fehlen Deutschland. Dies führe dazu, dass die Gesellschaft in den nächsten Jahrzehnten drastisch überaltere und danach rasch schrumpfe. "Ende des Jahrhunderts werden wir nur noch 40 Millionen Deutsche sein, 30 Millionen davon in einem Alter über 60 Jahre", prognostizierte Baring.

Keine Zuwanderung ohne Integration

Aus diesem Dilemma gibt es Baring zufolge zwei – theoretische – Auswege. Der erste wäre ein Wertewandel, der dazu führen würde, dass junge Frauen sich wieder vermehrt dafür entscheiden, Kinder zu bekommen. Dazu müsste die Rolle einer Mutter in der Gesellschaft allerdings einen anderen Stellenwert bekommen. Baring selbst sieht es als unwahrscheinlich an, dass sich in absehbarer Zeit ein gesellschaftlicher Wandel vollzieht, der Mutterschaft mit einer beruflichen Karriere auf eine Stufe stellt.

Bliebe als zweiter Ausweg die Zuwanderung. Prinzipiell wäre durch Zuzug ausländischer Bürger nach Deutschland der Mangel an jungen Menschen ausgleichbar. "Es stellt sich allerdings die Frage, woher diese Menschen kommen sollen und welche Zuwanderer wir wollen", meinte der Festredner.

Seiner Ansicht nach gibt es derzeit kein europäisches Land, das mengenmäßig das für Deutschland erforderliche Potenzial bereit hält – mit Ausnahme der Türkei vielleicht "und in diesem Fall ist fraglich, ob die religiösen und mentalen Unterschiede nicht zu groß sind, als dass sich türkische Einwanderer in der erforderlichen Weise in Deutschland integrieren können."

Generell sieht Baring Integration als Grundvoraussetzung dafür, dass sich das Problem des Geburtenrückgangs durch Zuwanderung lösen lässt. Genau über diesen Aspekt werde in der Politik jedoch viel zu wenig diskutiert und erst recht würden keine entsprechenden Maßnahmen getroffen. "Dies ist ein großer Fehler – nicht nur für das Land, sondern auch für die Zuwanderer selbst", so Barings Urteil. "Nichtintegration" habe für sie zur Folge, dass sie keinerlei Chance auf Erlangung beruflicher Qualifikationen hätten und auch spätere Generationen nicht vorwärts kommen würden.

Abgesehen davon werde das Ziel, durch Zuwanderung "neue Deutsche" zu erhalten, ohne Integration nicht erreicht. Integration bedeute nicht nur die Sprache erlernen, sondern sich auch mit der Kultur und der Geschichte zu beschäftigen und sich die Mentalität des Landes zu eigen zu machen. "Wenn das nicht stattfindet", so Baring "hat Zuwanderung keinen Sinn."

Die Deutschen brauchen wieder Selbstwertgefühl

Eigentlich seien diese Zusammenhänge bekannt. Es stelle sich also die Frage, warum die Deutschen dennoch nichts unternehmen würden. Barings Antwort: "Die Unentschlossenheit des Landes, Maßnahmen gegen Probleme bei der Zuwanderung zu ergreifen und konsequent Integration zu fordern, ist eine Hinterlassenschaft des Dritten Reiches." Das Trauma, das diese Zeit hinterlassen habe, nehme den Deutschen ihr Selbstwertgefühl und führe zu einer latenten Depression, die das Volk lähme und handlungsunfähig mache.

"Deutschland ist wie eine dicke Eiche", zog Baring einen Vergleich. "Eine Eiche, unter der in zwei Metern Tiefe eine dicke undurchdringliche Betonplatte liegt – das Dritte Reich. Diese Betonplatte schwächt die Eiche und macht sie anfällig für Stürme. Erst wenn die Wurzeln der Eiche die Platte durchdrungen haben und weiter in die Tiefe greifen, kann der Baum wieder sicher stehen."

Um diesen Prozess des "Durchdringens" bewältigen zu können, sind laut Baring unter anderem die Schulen gefragt. Diese würden sich im Geschichtsunterricht viel zu sehr auf die Zeit des Dritten Reichs beschränken und die Geschichte Deutschlands davor und danach praktisch völlig vernachlässigen.

"Würde man die deutsche Geschichte nicht dermaßen eng begrenzen, würde man rasch erkennen, dass wir nicht nur ein Volk der Täter sind, das sich permanent rechtfertigen muss", sagte Baring und konkretisierte weiter "im 19. Jahrhundert war Deutschland Leitkultur für die ganze Welt."

Der Anstoß muss von den Bürgern kommen

Zu einer Leitkultur müsse Deutschland auch jetzt wieder werden, wenn es den Weg aus der Krise meistern wolle. "Wenn man merkt, dass man ein Volk vor dem Niedergang ist, dann muss man sich entscheiden, ob man etwas dagegen unternimmt oder ob man den Dingen ihren Lauf lässt", führte der Festredner aus. Erster Schritt aus der Krise sei daher die realistische Einschätzung der Situation, als zweiter Schritt müssten dann Taten folgen.

Von politischer Seite sei allerdings weder die Offenlegung der Krise noch die Einleitung von Gegenmaßnahmen zu erwarten. Keiner der derzeit amtierenden Politiker habe gelernt, das Volk zu führen und unpopuläre Forderungen zu stellen. Dies sei in den vergangenen Jahrzehnten auch nicht erforderlich gewesen. Erst in der jetzigen Krise räche sich die "politische Sprachlosigkeit" und der Mangel an Führungsnachwuchs.

Wenn keine Führung vorhanden sei, heiße das allerdings nicht, dass keine Lösung möglich wäre, es bedeute nur, dass das Volk selbst den Anstoß zu Veränderungen geben müsse, folgerte Baring. "Wir dürfen dem Niedergang unseres Landes nicht tatenlos zusehen", forderte er. Bürgerkonvent, Bürgerbewegungen und Protestaktionen sind seiner Ansicht nach der Weg aus der Krise. "Wenn wir jetzt richtig anpacken und mit positivem Grundton voranschreiten, dann werden wir die Krise in fünf bis zehn Jahren bewältigt haben."

"Die Deutschen sind ein eselsgeduldiges Volk. Das grenzt schon ans Dämliche."

Prof. Dr. Arnulf Baring

"Die Situation ist viel schlimmer als die Stimmung."

Prof. Dr. Arnulf Baring

"Wir waren eine Demokratie der Zuteilungen. Jetzt müssen wir eine Demokratie der Zumutungen werden."

Prof. Dr. Arnulf Baring

"Lasst 1000 Formen der Proteste wachsen."

Prof. Dr. Arnulf Baring

"Die Krise muss realistisch dargestellt und die Zukunft dann rosig gemalt werden."

Prof. Dr. Arnulf Baring

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