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Warnung der Industrie: Hürden für innovative Arzneimittel

Berlin (im). Obwohl Deutschland im Arzneisektor im internationalen Vergleich nicht zu den innovationsfreundlichen Ländern gehört, drohen mit der geplanten Gesundheitsreform weitere Bremsen vor allem für neuentwickelte Medikamente. So bedeuteten allein die vorgesehenen Disease-Management-Programme (DMP) rückwärtsgewandte Schmalspurmedizin, äußerte Dr. Ulrich Vorderwülbecke vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) am 22. Mai vor Journalisten in Berlin.

Der Geschäftsführer des VFA verwies auf bereits bestehende Reglementierungen im Arzneimarkt angefangen von Festbeträgen, über die Aut-idem-Regelung, Zwangsrabatte, Richtgrößen oder Therapiehinweise. Vorderwülbecke kritisierte weite Teile des Gesetzentwurfs der Bundesgesundheitsministerin, die zusätzlich als Innovationsbremsen wirkten.

DMP: Schmalspurmedizin

So bemängelte er bei den Disease-Management-Programmen (DMP) die fehlende Ausrichtung auf Qualitätsziele. Hier fielen die Anforderungsprofile hinter nationalen und internationalen Therapiestandards zurück, beispielsweise beim DMP Diabetes mellitus hinter die nationale Versorgungsleitlinie Diabetes mellitus Typ 2.

Die Folge sei eine rückwärtsgewandte Schmalspurmedizin, sichtbar an der Arzneimitteltherapie. Für diese neuen Behandlungsformen werden laut Vorderwülbecke nur Medikamente mit Endpunkt- oder Langzeitstudien berücksichtigt, die auf den eigentlichen Zweck einer Therapie abstellen – zum Beispiel die Vermeidung eines Herzinfarkts – und nicht auf Surrogatparameter wie etwa Laborwerte. Innovative Präparate könnten jedoch noch keine Langzeitstudien vorlegen, sie würden somit diskriminiert.

Konkret stammten die vorrangig empfohlenen Arzneimittel für das Diabetes-DMP von 1969 und 1973, der jüngste empfohlene Wirkstoff wurde 1990 zugelassen. Neuere, in der Therapie der Zuckerkrankheit erfolgreiche Medikamente seien ausgeschlossen. Daher blendeten DMP wichtige neue Therapiemöglichkeiten aus, und der hier eingeschriebene Patient erhalte im Gegensatz zu den übrigen gesetzlich oder privat Versicherten nur eine ältere, eingeschränkte Behandlung, so das Resümee des VFA-Geschäftsführers.

Zumutung Positivliste

Als Zumutung bezeichnete er die Ausgestaltung der Liste erstattungsfähiger Arzneimittel. Bekanntlich soll es bei der "Positivliste" einen Hauptteil und einen Anhang geben. Während im Hauptteil wichtige Medikamente wie Neuramidasehemmer, Bisphosphonate und selektive Östrogen-Rezeptor-Modulatoren oder ein im Oktober 2002 zugelassener Cholesterinsenker fehlten, tauche im Anhang fragwürdiges wie Schweinedarm oder Rinderzahn auf.

Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Solidargemeinschaft dafür zahlen solle, wichtige Innovationen ihr aber vorenthalten würden, kritisierte Vorderwülbecke.

Keine Festbeträge für Analogpräparate

Scharf lehnte er darüber hinaus die Einbeziehung patentgeschützter Analogpräparate, deren therapeutische Relevanz und ökonomischen Vorteile auf der Hand lägen, in die Festbetragsregelung ab.

Kein gutes Haar ließ der VFA-Repräsentant an der geplanten vierten Hürde, also der zentralen Kosten-Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln. Dies würde zu schlechten Standardisierungen in der Medizin führen, den Norm-Patienten gebe es jedoch nicht.

Das von der rot-grünen Koalition häufig genannte Institut in Großbritannien nannte er ein abschreckendes Beispiel. Das NICE-Institut (National Institute for Clinical Excellence) wurde 1999 für den dortigen staatlichen Gesundheitsdienst gegründet und führt standardisierte Bewertungen von Arzneimitteln durch. Die jedoch verzögerten durch die langen Prozeduren die Einführung innovativer Arzneimittel erheblich.

Budgets durch die Hintertür

Vorderwülbecke machte noch auf eine weitere Gefahr für die Arzneimittelversorgung durch die geplante Reform aufmerksam. Durch die Hintertür wolle die Bundesgesundheitsministerin die Budgets samt Kollektivregress der Ärzte wieder einführen. Denn die bisherigen Ausgabenvolumina, die die Mediziner mit Kassen aushandelten, nachdem die Arzneimittelbudgets gestrichen worden waren, sähen mögliche Überschreitungen vor, deren Behandlung in Verträgen berücksichtigt werden könnten.

Diese flexible Linie verlasse der Gesetzentwurf, da er vorschreibt, dass Überschreitungen der Zielvereinbarungen ausgeglichen werden müssen. Werde dies umgesetzt, sei der alte Zustand der Budgets wiederhergestellt, als die Ärzte mit ihrem Honorar für das Überschreiten der Grenzen haften mussten. Die Budgets seien jedoch gescheitert, weil es in der Folge zu Unterversorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln in wichtigen Indikationsgebieten gekommen war.

Vorderwülbecke warnte davor, diesen Weg erneut einzuschlagen, weil dies eine schlechtere Versorgung der Versicherten nach sich zöge. Die Ministerin solle von den insgesamt als Innovationsbremsen wirkenden Eingriffen Abstand nehmen.

Wachstum der Arzneimittelmärkte Entwicklung der Arzneimärkte weltweit (2002 verglichen mit 2001)
  • USA: + 11 Prozent
  • Kanada: + 15 Prozent
  • Mexiko: + 9 Prozent
  • Australien, Neuseeland: + 8 Prozent
  • Deutschland: + 8 Prozent
  • Frankreich: + 2 Prozent
  • Italien: + 3 Prozent
  • Großbritannien: + 10 Prozent
  • Spanien: + 10 Prozent

    Aus Sicht des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller ist die deutsche Marktentwicklung im internationalen Vergleich unauffällig.

  • Welche Präparate im 1. Quartal 2003 zulegten ... Im ersten Quartal dieses Jahres stieg der Umsatz auf dem deutschen Apothekenmarkt um 5,5 Prozent gemessen am Vorjahreszeitraum. Der Mengenzuwachs belief sich nach Angaben des Verbands Forschender Arzneimittelhersteller (VFA) auf 1,5 Prozent, während die Preise fast stabil blieben (minus 0,8 Prozent). Vor allem innovative Präparate hätten deutlich zugelegt, zum Beispiel:
  • Alzheimer-Präparate: + 107 Prozent
  • Antineoplastische Mittel: + 29 Prozent
  • Epilepsie-Mittel: + 19 Prozent
  • Virustatika (unter anderem gegen HIV): + 17 Prozent
  • Interferone (etwa gegen Multiple Sklerose): + 12 Prozent
  • Parkinson-Mittel: + 10 Prozent
  • Immunsuppressiva: + 8 Prozent

    ... und die medizinischen Erfolge dahinter Angaben des VFA)

    Beispiele für die Erfolge innovativer Medikamente:

  • bei der chronisch myeloischen Leukämie (CML), an der in Deutschland jährlich bis zu 2000 Menschen erkranken, ist der Wirkstoff Imatinib (Glivec) zehnmal wirksamer als die bisherige Standardtherapie. Im Anfangsstadium der Krankheit wirkt das Mittel bei über 90 Prozent der Patienten, in der zweiten Phase der Krankheit verbessert es bei fast 80 Prozent der Kranken das Blutbild, im Endstadium verdoppelt sich nahezu die Überlebenszeit.
  • Durch Chemotherapie ist die Rückfallrate bei Patientinnen mit Brustkrebs unter 50 Jahre um 35 Prozent gesenkt worden.
  • Bei Multipler Sklerose wird die Zahl der Krankheitsschübe vermindert und eine Behinderung hinausgezögert.
  • An AIDS starben in Deutschland 1994 noch über 2100 Menschen, seit 1998 hat sich die Zahl auf 600 pro Jahr reduziert, trotz der zunehmenden Zahl der HIV-Infizierten. Deren Lebenserwartung hat sich inzwischen auf 20 bis 30 Jahre ab Diagnose erhöht.
  • Nach Organtransplantationen waren früher 30 Prozent der übertragenen Nieren mindestens ein Jahrzehnt aktiv, jetzt 60 Prozent.
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