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Wirtschaftsforum: Appell an Politik: Überproportionale Belastung senken!

BERLIN (im). Die Apothekenleiter fordern von der Gesundheitsministerin die sofortige Rücknahme des Beitragssatzsicherungsgesetzes mit seinen überproportionalen Belastungen für die Apotheken. Durch das Gesetz würden die Apotheken mit fast 900 Millionen Euro allein in diesem Jahr belastet, das sei existenzgefährdend, kritisierte der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbands (DAV) Hermann S. Keller auf dem Wirtschaftsforum für Apotheker am 16. Mai in Berlin. Dort lehnte er die geplante Erlaubnis des Versandhandels von Arzneimitteln und die des Mehrbesitzes von Apotheken ab und verwies stattdessen auf die Initiativen der Apothekerschaft für eine neue Arzneimittelpreisverordnung sowie zu neuen Service-Angeboten.

Keller verwahrte sich auf dem Wirtschaftsforum des DAV gegen Kritik aus dem Berufsstand. Dass die erheblichen Belastungen durch die neuen Rabatte nicht abgewendet werden konnten, habe nicht am mangelnden Einsatz der eigenen Vertreter gelegen, sondern an der fehlenden Aufnahmebereitschaft für die Informationen bei den Gesundheitspolitikern. Immerhin habe man mit dem "Bündnis für Gesundheit" im Herbst eine eindrucksvolle Großdemonstration vor dem Brandenburger Tor sowie Protestaktionen vor Ort gegen das Beitragssatzsicherungsgesetz organisiert.

Der Tiefpunkt

Als "Tiefpunkt der politischen Kultur" prangerte er die unzureichende Information der Bundestagsabgeordneten durch das Gesundheitsministerium dazu an. Während das Ministerium intern im November von der Weiterwälzung des Großhandelsabschlags ausging, habe man dies offiziell den Parlamentariern gegenüber negiert (die DAZ berichtete). Arbeitsplatzabbau und Kurzarbeit seien die Folge, aber auch die Versorgungsqualität der Bevölkerung leide darunter.

Leistung zahlen Apotheken

Im übrigen sei die Leistung, das Inkasso für den neuen Herstellerrabatt sowie den Großhandelsabschlag vorzunehmen, nicht kostenlos, dies zahlten die Apotheken und Rechenzentren, hob Keller mit Nachdruck hervor. Allein für 2003 entstünden Kosten von zehn Millionen Euro. In diesem Zusammenhang zollte der DAV-Chef den Mitarbeitern in den Rechenzentren und im Apothekerhaus Anerkennung für die in kurzer Zeit erfolgte Umstellungsarbeit.

Neue Belastungen

Jetzt drohten mit dem Gesundheitssystem-Modernisierungsgesetz neue Belastungen für den Apothekensektor, weil unter der Überschrift "Liberalisierung der Distributionswege" bekanntlich sowohl der Versandhandel als auch der Mehrbesitz erlaubt werden sollen.

Keller wiederholte die Argumente der Apotheker gegen den Versandhandel mit Arzneimitteln. In diesem Zusammenhang nannte er eine kaum zu überbietende Schizophrenie beim Verhalten einiger Krankenkassen. Nachdem eine holländische Versandapotheke ihre Zusage, preislich immer zehn Prozent unter den deutschen Arzneipreisen zu liegen, zurückgezogen habe, hätten die Vertreter der Kassen intern über den Wortbruch der Versandapotheke geklagt, öffentlich propagierten sie jedoch weiterhin das vermeintliche Einsparpotenzial durch diesen Vertriebsweg.

Der DAV-Vorsitzende verwies auf das von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände vorgelegte Konzept der weiterentwickelten Arzneimittelpreisverordnung mittels preisunabhängigem Festzuschlag samt prozentualem Zuschlag.

Die bisherige Preisabhängigkeit der Vergütung werde drastisch verringert, die unsägliche Diskussion um Rabatte an die Apotheken (etwa Naturalrabatte) der letzten Jahre werde gestoppt und die Rosinenpickerei der Versandhändler erschwert.

Unter Beifall der Teilnehmer warnte Keller die Politik davor, vor einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in vorauseilendem Gehorsam den Versandhandel in Deutschland zu erlauben. Zynisch sei es, dies mit einer Fürsorgepflicht für die deutschen Pharmazeuten zu begründen. Einen besseren Service könnten die Apotheker mit neuen Home-Service-Konzepten bieten.

Mehrbesitz zerstörerisch

An der geplanten Neuregelung des Mehrbesitzes von bis zu fünf Apotheken in einer Apothekerhand ließ der DAV-Repräsentant kein gutes Haar. Käme dies, würden die mittelständischen Offizinen durch multinationale Kapitalgesellschaften ersetzt.

Im übrigen konstatierte Keller eine gespaltene Sichtweise beim Verbraucherschutz innerhalb der Regierung. Während Ministerin Renate Künast vor zu niedrigen Preisen bei Lebensmitteln warne, weil Qualität ihren Preis habe, schweige sie zu einer Politik, die bei den Arzneimitteln nur auf billig setze.

Mehrwertsteuer nicht erhöhen

Kategorisch lehnte Keller Überlegungen einer höheren Mehrwertsteuer auf Arzneimittel ab. Notwendig sei stattdessen die Senkung dieses Steuersatzes. Ansonsten drohten die Einsparungen etwa im Apothekensektor durch die höhere Steuer aufgefressen zu werden mit der Folge, dass die Kassen ihre Versicherten wieder zum Bezug der Medikamente aus dem Ausland aufriefen.

OTC-Präparate in der Preisverordnung lassen!

Die vorgesehene Herausnahme der rezeptfreien Arzneimittel aus der Erstattung der gesetzlichen Krankenkassen lehnte Keller als gesundheitspolitisch bedenklich ab, weil Ärzte dann auf verschreibungspflichtige Arzneimittel auswichen oder Patienten auf den Kauf ärztlich empfohlener OTC-Präparate verzichteten. Die Entscheidung sei allein finanzpolitisch motiviert.

Auch die in der Diskussion stehende Aufhebung der Preisbindung der zweiten Hand (also die Aufgabe des einheitlichen Apothekenabgabepreises) sah Keller kritisch. Schon der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion habe 2001 festgestellt, dass die Abgabeentgelte die Kosten nicht deckten.

Zuzahlungen

Mit einer stärkeren Spreizung der Zuzahlungen der Patienten erklärt sich der DAV einverstanden. Hier sei aber noch unklar, wie den Kranken die angedachte Aufteilung in unterschiedliche Selbstbehalte vermittelt werden könnte. Bekanntlich will die Bundesgesundheitsministerin vier, sechs und acht Euro für N1, N2 oder N3 einführen und von denjenigen, die sich etwa am Hausarztmodell beteiligen, nur die Hälfte an Zuzahlungen verlangen.

Pass rasch einführen

Auch den geplanten elektronischen Arzneimittelpass im Rahmen einer erweiterten Versichertenkarte begrüßte Keller. Das sei eine alte Forderung des Berufsstands. Die Politiker sollten entschlossen elektronisches Rezept und Arzneidokumentation einführen. Die freiwillige Chipkartenlösung, bei der der Patient Herr seiner Daten bleibe, sei vorteilhaft.

Die Politik sollte sich nicht von der Kritik der Kassen daran irritieren lassen. Die Krankenkassen bevorzugen bekanntlich statt der Chipkarte eine zentrale Server-Lösung. In diesem Zusammenhang überreichte Keller der Parlamentarischen Staatssekretärin Marion Cas pers-Merk deren persönliche Chipkarte.

Die Apothekenleiter fordern von der Gesundheitsministerin die sofortige Rücknahme des Beitragssatzsicherungsgesetzes mit seinen überproportionalen Belastungen für die Apotheken. Durch das Gesetz würden die Apotheken mit fast 900 Millionen Euro allein in diesem Jahr belastet, das sei existenzgefährdend, kritisierte der Vorsitzende des Deutschen Apothekerverbands (DAV) Hermann S. Keller auf dem Wirtschaftsforum für Apotheker am 16. Mai in Berlin.

Ist es vorteilhaft, dass ihnen (den Kranken, die Red.) Arzneimittel mit einer Verspätung von fast einer Woche durch einen Postzusteller an die Wohnungstür geworfen werden – falls sie überhaupt kommen?

Hermann S. Keller zum Versandhandel

Gerade in Anbetracht des ehrgeizigen Zeitplans und der Unsicherheit bei vielen Patienten ist es erforderlich, nun entschlossen an die Einführung von elektronischem Rezept und Arzneimitteldokumentation zu gehen.

Hermann S. Keller, Deutscher Apothekerverband

Auf Apotheken und pharmazeutischen Großhandel entfallen weniger als fünf Prozent der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung. Das Beitragssatzsicherungsgesetz bürdet dem Arzneimittelvertrieb – genauer den Apotheken – jedoch über 70 Prozent der Belastungen auf.

Hermann S. Keller, Deutscher Apothekerverband

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