Feuilleton

Sonderbriefmarke: 200. Geburtstag von Justus Liebig

Die Bundesrepublik Deutschland gab soeben eine Sonderbriefmarke "Justus von Liebig 1803 Ų 1873" heraus. Sie erinnert nicht nur an einen der bedeutendsten, sondern auch an einen der populärsten Naturwissenschaftler.

Mit 21 Jahren Professor

Liebig wurde am 12. Mai 1803 in Darmstadt geboren; der Beruf des Chemikers war ihm in die Wiege gelegt, und eine Berufung zum "Lehrfach" spürte bereits der selbstbewusste Jüngling. Frühe fachliche Anregungen erhielt Liebig bei seinem Vater, der mit technischen Rohstoffen handelte und viele chemische Produkte wie mineralische Farben selbst produzierte.

Mit 14 Jahren begann Liebig eine Apothekerlehre, die er aber noch vor Ablauf eines Jahres abbrechen musste, wahrscheinlich weil sein Vater in der schweren Wirtschaftskrise nach der katastrophalen Missernte von 1816 das Lehrgeld nicht bezahlen konnte.

Als die Geschäfte wieder besser gingen, durfte Liebig in Bonn, Erlangen und schließlich sogar in Paris Chemie studieren. Mit 21 Jahren wurde er als außerordentlicher Professor an die Universität Gießen berufen, um angehende Apotheker und Gewerbetreibende in angewandter Chemie zu unterrichten.

Da Liebig durch einen unerwarteten Glücksfall schon ein Jahr später Ordinarius wurde, widmete er sich hinfort vor allem der Forschung, die er sehr erfolgreich mit der Lehre verband, indem er außerordentlich viele eigene Schüler und auch auswärtige junge Wissenschaftler motivierte bei ihm zu promovieren. Liebigs Forschungsgruppe bekam seit 1835 zunehmend einen internationalen Charakter, besonders viele Studenten und Doktoranden kamen aus Großbritannien.

Fünf-Kugel-Apparat

Das Fundament für den Erfolg seiner Forschungsgruppe legte Liebig 1831 mit einer technischen Innovation, dem Fünf-Kugel-Apparat (rechts auf der Briefmarke), der es ermöglichte, eine organische Substanz innerhalb eines Tages chemisch zu analysieren, das heißt, das Verhältnis der Elemente H, C, N und O zu bestimmen und eine Summenformel aufzustellen.

Das Gerät ist eine Weiterentwicklung der von Gay-Lussac und Berzelius konstruierten Apparaturen, mit denen man allerdings mehrere Wochen oder sogar Monate für eine einzige Analyse benötigte. Bei der Prozedur wurde die Prüfsubstanz in einem geschlossenen Behältnis verbrannt, anschließend wurden die Verbrennungsgase volumetrisch oder gravimetrisch gemessen – im letzteren Fall mussten sie zuvor von bestimmten Reagenzien adsorbiert werden.

Zur Adsorption von Kohlendioxid verwendete man damals Kaliumhydroxid; Liebig ersetzte es durch flüssige Kalilauge, und damit diese nicht zu den vor- und nachgeschalteten Abschnitten des Analysenapparates fließen konnte, schuf er eine in der Art eines gleichseitigen Dreiecks gewinkelte Glasröhre mit drei kleinen und zwei großen kugelförmigen Hohlräumen (Liebig beherrschte die Kunst des Glasblasens).

Das Dreieck mit den fünf symmetrisch angeordneten Kugeln ist nur ein Teil, aber immerhin ein so markanter Teil des Liebigschen Analysenapparates, dass es zunächst in Gießen ein Emblem von Liebigs Schülern, später in den USA sogar ein Emblem der Chemie an sich wurde.

Liebig's Fleisch-Extract

Liebig hat sich nie in einen elfenbeinernen Turm der Wissenschaft zurückgezogen, sondern hat sich immer auch für die praktische Anwendung chemischer Erkenntnisse in allen möglichen Lebensbereichen eingesetzt. Er hat sich damit auch auf die Gebiete anderer Wissenschaften, insbesondere der Physiologie, der Medizin und der Landwirtschaft, begeben.

Zu Zeiten, als in Deutschland die Gefahr des Hungers noch nicht gebannt war, war Liebig im Bewusstsein der Bevölkerung insbesondere als der große Agrikulturchemiker und Erfinder der mineralischen Düngung präsent. Für die Briefmarke wurde ein anderes populäres Motiv ausgewählt, dessen Ruhm heute ebenfalls ziemlich verblasst ist: der von Liebig erfundene Fleischextrakt.

Liebig war der (irrigen) Meinung gewesen, die meisten Nährstoffe des Fleisches seien im Saft und nicht in den festen Fasern enthalten, und hatte daraus geschlossen, dass der ausgepresste und eingeengte Fleischsaft ein hochwertiges Nahrungsmittel ergeben müsse.

Er warb bei Medizinern und Pharmazeuten für seine Rezeptur, sodass "Extractum Carnis Liebig" 1872 sogar in das DAB 1 aufgenommen wurde. Doch viel bedeutender als die Rezeptur in der Apotheke wurde die großindustrielle Herstellung: Liebigs Vorschlag, durch die Herstellung von Fleischextrakt könne man das Fleisch der riesigen Rinderherden in Übersee, die damals nur wegen ihrer Häute gehalten wurden, verwerten, wurde ab 1865 in einem Industriebetrieb in Uruguay verwirklicht.

"Liebig's Fleisch-Extract", für den die Hersteller mit beliebten Sammelbildchen warben, fand schnell in der europäische Küche Eingang – davon zeugen auch die Kochbücher jener Zeit. Erst nachdem die auf Gaskompression beruhenden Kältemaschinen erfundenen worden waren und immer mehr Schlachtfleisch in Kühlschiffen exportiert wurde, wandelte sich der Fleischextrakt zur raren Delikatesse, die er heute noch ist.

Die Sonderbriefmarke zeigt in der Mitte ein von Wilhelm Trautschold (1815 – 1877) gemaltes Porträt Liebigs. Der Fünf-Kugel-Apparat und der Fleischextrakt daneben stehen exemplarisch für Liebigs viele großartigen Leistungen in der analytischen und in der angewandten Chemie.

Literaturtipp Briefe eines Professors auf Reisen Sieben Reisen unternahm Justus Liebig von 1837 bis 1855 nach Großbritannien und Irland, insgesamt hat er dort fast ein Jahr seines Lebens verbracht. Er besuchte Wissenschaftler, nahm an Kongressen teil, lernte auf zahllosen Dinner Partys die High Society kennen und wurde sogar zweimal von der Queen empfangen.

Er besichtigte chemische Fabriken, die damals auf dem europäischen Kontinent zumindest in den Ausmaßen noch nicht ihres gleichen hatten, diskutierte mit Landwirten und schaute, was aus seinen vielen britischen Schülern geworden war. Bei alldem vergaß er nie seine daheim gebliebene Ehefrau – und schrieb ihr fleißig Briefe.

Pünktlich zum Liebig-Jubiläum erschienen die 46 britischen Briefe Liebigs an seine Frau als Buch, das auch ein ausführliches Personenregister mit biographischen Angaben sowie eine geographische Skizze enthält. Liebig schrieb informativ, anschaulich, unterhaltsam, auch gefühlvoll. Seine Briefe sind zeitlos und bieten noch heute Lesegenuss. cae

Justus Liebigs Briefe aus Großbritannien an seine Frau Henriette. Bearbeitet von Günther Klaus Judel. Berichte der Justus Liebig-Gesellschaft zu Gießen, Gießen 2003. XX, 144 Seiten, 12,– Euro. ISBN 3-00-011273-1

Weitere Informationen zu Justus Liebig und zu Jubiläumsveranstaltungen in diesem Jahr unter: www.liebig-jahr.de

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