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Jubiläumskongress: 50 Jahre Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung (GA)

Am 8. April 1953 wurde in Bad Camberg die "Deutsche Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung und -therapie" gegründet. Nach 50 Jahre kontinuierlicher Entwicklung zur weltweit führenden wissenschaftlichen Vereinigung auf ihrem Gebiet beging die "Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung (GA) Ų Society for Medicinal Plant Research", wie sie heute heißt, am 8. April 2003 an ihrer Geburtsstätte ihr goldenes Jubiläum. Der Festakt war in ein Symposium über "History and Future of Medicinal Plant Research" eingebettet.

Wissenschaft bringt die Menschen zusammen

Prof. Dr. Rudolf Bauer, Präsident der GA, erinnerte daran, was im Gründungsjahr der GA die Weltöffentlichkeit bewegte: Hillary und Tensing bestiegen als erste den Mount Everest, und Watson und Crick entdeckten die Doppelhelix-Struktur der DNA.

Warum faszinierten gerade diese Ereignisse die Menschen? Weil gerade Sport – wozu auch das Bergsteigen gehört – und die Wissenschaft über nationale Grenzen hinweg zu begeistern vermögen. Gerade in diesen Bereichen überwand Deutschland seine Isolation der ersten Nachkriegsjahre, und so fand auch die Gründung der GA bei Wissenschaftlern des Auslands Beachtung, sodass sie sich schon bald in eine internationale Vereinigung umwandelte.

Bauer freute sich, unter den über hundert Teilnehmern des Symposiums zahlreiche Ehrengäste begrüßen zu können, darunter

  • drei Teilnehmer der Gründungsversammlung: Apothekerin Erna Popp, Prof. Dr. Rudolf Hänsel und Prof. Dr. Ewald Sprecher sowie
  • vier Ehrenmitglieder: Prof. Dr. Max van Schantz (Helsinki), Prof. Dr. Ewald Sprecher, Prof. Dr. Otto Sticher und Prof. Dr. Max Wichtl.

Er verkündete einen Beschluss des Vorstands, Prof. Hänsel (Ordinarius emeritus für Pharmazeutische Biologie der FU Berlin) zum Ehrenmitglied zu ernennen, und zeichnete im Laufe der Veranstaltung zahlreiche Personen aus, die sich in ehrenamtlicher Tätigkeit um die GA verdient gemacht haben.

Mehr Phyto-Kompetenz für die EMEA

Prof. Dr. Fritz Kemper, Münster, überbrachte der Festgemeinde die Grüße der Gesellschaft für Phytotherapie und hob dabei die besonders gute Zusammenarbeit zwischen den beiden wissenschaftlichen Gesellschaften hervor. Angesichts des großen und immer noch wachsenden Interesses der Bevölkerung für die Phytotherapie forderte Kemper, die Kompetenz der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA im Bereich der Phytopharmaka zu stärken.

Dies könnte am besten geschehen, wenn für die entsprechenden Experten an der EMEA eine eigene Abteilung eingerichtet würde, die von der bestehenden Abteilung für die Zulassung von Arzneimitteln (CPMP) unabhängig ist. Zwar gelten für Phytopharmaka hinsichtlich Wirksamkeit und Unbedenklichkeit die gleichen Maßstäbe wie für Synthetika, doch gebe es Unterschiede im Nachweis der gesetzlichen Qualitätsanforderungen, sodass hier ein spezifischer Sachverstand vonnöten sei.

Die Grüße der US-amerikanischen Schwestergesellschaft, der American Society of Pharmacognosy (ASP), überbrachte Prof. Dr. William Gerwick. Die ASP wurde erst 1959 gegründet, ist damit etwas jünger als die GA und betrachtet sie in mancher Hinsicht als Vorbild.

Vor dem Hintergrund des amerikanischen Gesundheitswesens hat sie jedoch durchaus eigene Schwerpunkte entwickelt. So ist ihr die Qualitätsverbesserung der auf dem amerikanischen Markt äußerst wichtigen Nutraceuticals – das sind Lebensmittelmittel mit dem oft fragwürdigen Anspruch, auch arzneilich zu wirken – ein großes Anliegen.

Rückblick: Es geschah vor 50 Jahren ...

Prof. Dr. Ewald Sprecher, Hamburg, ließ die Geschichte der GA Revue passieren. An ihrer Gründungsversammlung im April 1953 hatten etwa 150 Wissenschaftler und Praktiker aus Medizin, Pharmazie, Biologie und Landwirtschaft teilgenommen, bedeutend mehr, als der Initiator, der Kurarzt Dr. Ernst Meyer (-Camberg), erwartet hatte.

Neben der Arzneipflanzenforschung stand anfangs die Arzneipflanzentherapie gleichberechtigt im Namen der Gesellschaft, denn es war ihr Ziel, die traditionelle Phytotherapie auf eine rationale Grundlage zu stellen und sie für die medizinische Praxis zu retten, die sich bereits überwiegend den synthetischen Arzneimitteln zugewandt hatte.

Allerdings gelang es der GA nicht, eine größere Anzahl von Ärzten für ihre Bestrebungen zu gewinnen, sodass 1958 der Wortbestandteil "-therapie" aus dem Namen gestrichen wurde. Pharmazeuten, Biologen und Naturstoffchemiker prägten hinfort die GA; sie bearbeiteten hauptsächlich Themen, die für die Therapie allenfalls die Bedeutung von Grundlagenforschung hatten.

Erst seit 1978, als der Gesetzgeber die Phytotherapie als "besondere Therapierichtung" anerkannte, erlangte die praktische Anwendung der Arzneipflanzenforschung wieder einen größeren Stellenwert in der GA. Heute wird auf GA-Kongressen zunehmend über klinische Studien mit Phytopharmaka berichtet.

Abgesehen von Frankreich, wo ein nationales Pendant zur GA existiert, weckte die GA schon früh das Interesse von Wissenschaftlern aus anderen europäischen Ländern, die die Kongresse besuchten und der GA als Mitglieder beitraten. 1959 betonte der bekannte Biochemiker Kurt Mothes in einer programmatischen Ansprache, dass die GA allen interessierten Wissenschaftlern außerhalb Deutschlands offen stehe, und 1969 verzichtete die GA auf das Wort "Deutsche" in ihrem Namen.

Heute ist Englisch die "Amtssprache" der GA, und sie zählt mehr als tausend Mitglieder in über 70 Staaten. Deutschland stellt zwar nach wie vor die meisten, aber nicht mehr die absolute Mehrheit der Mitglieder.

50 Jahre Planta Medica

Prof. Dr. Adolf Nahrstedt, Münster, gab einen Rückblick auf die Zeitschrift Planta Medica, die er im Auftrag der GA herausgibt. Sie erscheint seit Juni 1953 als offizielles Organ der GA regelmäßig und ohne Unterbrechung, hat aber im Laufe der Zeit ihr Erscheinungsbild und ihre thematischen Schwerpunkte mehrfach geändert.

Als internationale naturwissenschaftliche Zeitschrift publiziert die Planta Medica heute ausschließlich in Englisch. Unter vergleichbaren Zeitschriften hält sie zurzeit den höchsten Impact Factor, das heißt, dass ihre Beiträge am häufigsten in anderen Zeitschriften zitiert werden und damit als wichtig gelten.

Schon seit langem stellt Deutschland nicht mehr die Mehrheit der Autoren; Ostasien und Nordamerika drängen nach vorn und lassen befürchten, dass das dort vorhandene Know-how auch die dortige Phytopharmaka-Industrie stimulieren und den Standort Deutschland schwächen könnte.

Fortschritt der Untersuchungsmethoden

Prof. Dr. J. David Phillipson, London, skizzierte den enormen Wandel der Arzneipflanzenforschung in den letzten 50 Jahren am Beispiel ihrer Methoden. Da letzten Endes immer nur die Ergebnisse der Wissenschaft interessieren, werden die Methoden, mit denen sie erbracht werden, oft missachtet. Deshalb erinnerte Phillipson programmatisch an ein Wort von Prof. Dr. Egon Stahl, dem Begründer der Dünnschichtchromatographie: "Jeder Fortschritt der Methode ist ein Fortschritt der Wissenschaft."

Chromatographie. Vor 50 Jahren wurden Alkaloide und Flavonoide mit Hilfe der Papierchromatographie detektiert, und die Anfertigung eines Chromatogramms dauerte 48 Stunden. In den 60er-Jahren erweiterte die DC die Stoffpalette und verkürzte außerdem die Bearbeitungszeiten enorm; etwa zur gleichen kam die Gaschromatographie hinzu, die eine differenzierte Analyse ätherischer Öle und von Aromastoffen ermöglichte. Seit den 70er-Jahren erweiterte die HPLC die Nachweismöglichkeiten nochmals um ein Vielfaches.

Spektroskopie. Anfangs gab es nur UV- und IR-Verfahren; in den 60er-Jahren begann das Zeitalter der Magnetresonanzspektroskopie, zunächst mit H-1, dann mit C-13.

Biologische Prüfungen. In den 50er-Jahren wurden Pflanzenextrakte noch im Gramm-Maßstab an Tieren getestet, heute wird in kleinsten Mengen an kultivierten Zellen oder an subzellularen Strukturen geprüft. Genannt seien die Tests auf Enzymhemmung, Zytokin-Expression (insbesondere im Zusammenhang mit dem Zytokin-induzierbaren Transkriptionsfaktor NFŽB) und Immunstimulation sowie die heute immer wichtiger werdenden Rezeptorbindungsstudien.

Der methodische Fortschritt war die Voraussetzung, um sowohl die Wirkstoffe in traditionellen Heilpflanzen zu identifizieren als auch neue Arzneipflanzen und neue Wirkstoffgruppen aufzuspüren. Hier sieht Phillipson auch in Zukunft einen riesigen Forschungsbedarf, denn die Menschheit braucht neue Arzneistoffe für viele noch unbehandelbare Krankheiten und als Ersatz für Arzneistoffe, gegen die die Zielstrukturen resistent geworden sind (z. B. bei Antibiotika).

Zukunft für Phytos ungewiss

Prof. Dr. Gerhard Franz, Regensburg, erörterte, welche Zukunft den Phytopharmaka in Europa beschieden sein mag. Zwar ist die Situation im wissenschaftlichen Bereich durchaus nicht schlecht; sie spiegelt sich auch im Europäischen Arzneibuch wider, das eine ansehnliche Zahl von modernen Monographien pflanzlicher Drogen und Zubereitungen enthält. Aber das politische und ökonomische Umfeld für Phytos ist eher ungünstig.

Obwohl Phytopharmaka bei der Bevölkerung beliebt sind und auch große Hoffnungen in ihr noch unerforschtes Potenzial gesetzt werden, lohnt es sich für die Hersteller immer weniger, in sie zu investieren und den steigenden gesetzlichen Qualitätsanforderungen nachzukommen (z. T. freiwilliger Verzicht auf die Nachzulassung von Präparaten).

Zudem wird die Bevölkerung zunehmend verunsichert: Im Fall des Zulassungswiderrufs für Kava-Kava-Präparate habe die Arzneimittelbehörde "überreagiert" und die Patienten verunsichert, obwohl das Sicherheitsrisiko im Vergleich zu Synthetika mit gleicher Indikation geringer gewesen sei. Leider haben auch importierte Arzneimittel der traditionellen chinesischen Medizin, die einer schlechten Qualitätskontrolle unterlagen oder absichtlich verfälscht wurden, das Ansehen der Phytos generell geschädigt.

Laut Franz haben Phytopharmaka in Deutschland auch aufgrund der Tätigkeit der Kommission E im Schnitt einen hohen Qualitätsstandard. Nun sei zu befürchten, dass viele pflanzliche Arzneimittel nach amerikanischem Vorbild zunehmend den Status von Nahrungsergänzungsmitteln erhalten.

Am Anfang steht hier der jetzt schon praktizierte Ausschluss aus der Erstattungsfähigkeit durch die gesetzlichen Krankenkassen, der demnächst durch die Positivliste gesetzlich abgesegnet werden soll. Dabei sei ihr therapeutisches Potenzial prinzipiell interessant, denn sie haben sich in jahrhundertelanger Praxis bewährt, und einige haben ihren signifikanten therapeutischen Nutzen auch in klinischen Studien unter Beweis gestellt.

Leider sind bisher aber nur wenige Studien mit staatlichen Mitteln durchgeführt worden. Investitionen des Staates in diesem Bereich wären jedoch im Interesse eines Großteils der Bevölkerung (siehe oben).

Klinische Prüfung – nicht unproblematisch

Priv.-Doz. Dr. Klaus Linde, Zentrum für naturheilkundliche Forschung der TU München, ging näher auf die klinische Prüfung von Phytopharmaka ein. Die randomisierte plazebokontrollierte Doppelblindstudie (RCT) ist heute der allgemein anerkannte Standard der klinischen Arzneimittelprüfung, deren positives Ergebnis wiederum Voraussetzung für die amtliche Zulassung des Arzneistoffs ist.

Allerdings sei die RCT gerade für einige bewährte Phytopharmaka problematisch, die bei chronischen Krankheiten (z. B. rheumatoide Arthritis, Demenz) oder bei Krankheiten mit hoher Selbstheilungsrate (z. B. Erkältungskrankheiten) oder bei psychischen Erkrankungen (z. B. Depression) eingesetzt werden. Hier sind die Plazeboeffekte besonders groß, sodass die gemessene Wirksamkeit des Prüfpräparates gegenüber dem Plazebo oft nur geringfügig besser, d. h. nicht statistisch signifikant ist.

Zu den methodischen Probleme kommen noch ökonomische hinzu: Viele Phytopharmaka werden von mittelständischen Betrieben hergestellt, die die hohen Kosten für RCT nicht aufbringen können.

Trotz alledem sind mit Phytopharmaka bisher mehr als 1000 RCT durchgeführt worden, deren wesentliche Ergebnisse in über 60 Reviews zusammengefasst worden sind; bei den Reviews wird jedoch kritisiert, dass sie oft zu stark simplifizieren und die Ergebnisse tendenziös interpretieren.

Linde sprach sich dafür aus, mehr klinische Prüfungen von Phytopharmaka durchzuführen. Dies sei der einzige Weg, ihren Fortbestand im therapeutischen Arsenal zu sichern.

Krebsprophylaxe mit Naturstoffen

Prof. John Pezzuto, Lafayette, USA, sprach über einige vielversprechende pharmakologische Targets für pflanzliche Wirkstoffe, insbesondere in der Krebstherapie. Er verglich den Tumor mit einem Eisberg: Was wir sehen und diagnostizieren können, sind das krankhaft veränderte Gewebe und Tumormarker, während ein Bündel von Prozessen, die zur Entstehung, Unterhaltung und Ausbreitung des Tumors beitragen, unter der Wasseroberfläche verborgen bleibt.

Die heutige Tumortherapie zielt vor allem darauf ab, den Tumor zu vernichten oder ihn zumindest am weiteren Wachstum und an der Metastasierung zu hindern. Innovative Tumortherapeutika sollten nach Meinung von Pezzuto schon an den vorausgehenden Prozessen der Tumor-Initiation und -Promotion einsetzen.

In diesem Zusammenhang kam er auf die selektiven Östrogenrezeptor-Modulatoren (SERM) zu sprechen. Der älteste Vertreter dieser Klasse, das Tamoxifen, habe sich zwar bei Mammatumoren als wirksames Medikament erwiesen, habe aber die Rate von Sekundärtumoren nicht senken können.

Dagegen sei das strukturverwandte Raloxifen, das bisher zur Prophylaxe von Osteoporose zugelassen ist, wahrscheinlich imstande, vor der Entstehung von Brustkrebs zu schützen; in dieser Richtung müsse weitergeforscht werden.

Aus den Forschungen seiner eigenen Arbeitsgruppe stellte Pezzuto als aussichtsreichen Kandidaten für die Tumorprophylaxe das Bruceantin aus Brucea antidysenterica (Simaroubaceae) vor. Es veranlasst Krebszellen zur Selbstzerstörung durch Apoptose; die Wirkung und Wirksamkeit sind in pharmakologischen und klinischen Studien (u. a. Brustkrebs, Phase II) belegt worden.

Da das Target dieser Substanz die fertige Krebszelle ist, liegt es quasi im sichtbaren Bereich des "Eisbergs". Die Zukunft gehört laut Pezzuto aber vor allem solchen Substanzen, die verhindern, dass sich Krebszellen überhaupt bilden können.

Die Natur als Ideengeber

Prof. Manfred Psiorz, Boehringer Ingelheim, beleuchtete das Potenzial der Arzneipflanzen aus der Sicht der chemisch-pharmazeutischen Industrie. Gegenwärtig sind die Quantitäten der pflanzlichen Arzneistoffproduktion recht beeindruckend: Jährlich werden etwa 1200 Tonnen gewonnen.

Qualitativ gesehen ist das Bild jedoch ziemlich eintönig: Die Hälfte besteht allein aus Opiumalkaloiden (Morphin, Codein, Thebain). Das Interesse an vielen natürlichen Substanzen ist in den letzten Jahren parallel zur Entwicklung von neuen Synthetika geschwunden; exemplarisch nannte Psiorz Ergotalkaloide, Vincamid und Yohimbin.

Die Zukunft der medizinisch motivierten Naturstoffforschung schätzte Psiorz dennoch positiv ein. Seitdem es Routine ist, Rezeptoren zu klonen und automatisierte Rezeptorbindungsstudien durchzuführen, besteht ein ungeheurer Bedarf an Testsubstanzen.

Zunächst befriedigten die Chemiker den Bedarf durch die kombinatorische Synthese neuer Substanzen, ab 1995 zeichnete sich jedoch ab, dass Naturstoffe eine größere Strukturvielfalt aufweisen als die neuen Synthetika, sodass seither in diesem Bereich verstärkt nach neuen Leitstrukturen für Arzneistoffe gesucht wird. Besonders interessant seien nach wie vor Alkaloide für die Entwicklung neuer Krebstherapeutika.

Laut Psiorz werde es jedoch kaum ein Comeback für reine Naturstoffe geben. Wenn eine Forschungsgruppe eine wirksame Substanz in einem Pflanzenextrakt entdeckt, sei dies "the first hit in the screening". Es folge die Molekülvariation, und zwar nicht unbedingt, um die therapeutische Wirksamkeit zu verbessern, sondern um für die neue Substanz einen Patentschutz reklamieren zu können.

Vor allem aus diesem letzteren Grund seien z. B. natürliche Alkaloide aus Taxus bzw. Vinca zu Docetaxel und Vinorelbin abgewandelt und dann in den Markt eingeführt worden.

Damit ist die Natur für die Industrie derzeit vor allem ein wichtiger Ideengeber, in zweiter Linie auch noch ein bedeutender Produzent bestimmter Rohstoffe, nicht jedoch ein Reservoir direkt verwertbarer Arzneistoffe.

Innovation durch Gentechnik

Professor Toni Kutchan, Halle/S., sprach über den Einsatz der funktionellen Genetik in der Arzneipflanzenforschung. Ihrer Meinung nach handelt es sich dabei um eine Methode, um alte Probleme der Arzneipflanzenforschung neu anzupacken und dabei auch zu neuen Lösungen zu kommen.

Mithilfe von genetischen "Bibliotheken", die längere DNA-Sequenzen (expressed sequence tag, EST) aus den Genomen von Arzneipflanzen in Datenbanken speichern, ist es heute möglich, relativ schnell die Gene, die an der Biosynthese bestimmter Substanzen beteiligt sind, ausfindig zu machen.

Da die Biosynthese der fraglichen Substanzen in der Regel in vielen metabolischen Schritten verläuft, spielen Enzyme dabei eine große Rolle. Wenn die Gene identifiziert sind, die diejenigen Enzyme codieren, die für die einzelnen Metabolismus-Schritte verantwortlich sind, kann das "metabolic engineering" beginnen, die Optimierung oder gezielte Variierung der Biosynthese oder – bei kommerzieller Anwendung – des Produktionsprozesses.

Das "metabolic engineering" ist jedoch nur eins von vielen Anwendungsgebieten der Gentechnik in der Arzneipflanzenforschung. Auch beim Aufspüren neuer pharmakologischer Targets für Arzneistoffe sowie für die Qualitätskontrolle von Arzneimitteln dürften laut Kutchan gentechnische Methoden in Zukunft immer wichtiger werden.

GA-Festschrift

Das Symposium in Bad Camberg gab einerseits einen Überblick über die verschiedenen Zweige vergangener, gegenwärtiger und zukünftiger Arzneipflanzenforschung, andererseits gab sie eine Orientierung über die Stellung dieser Disziplin innerhalb der gesamten Arzneistoffforschung.

Mit der Geschichte und den aktuellen Aufgaben der Arzneipflanzenforschung befasst sich auch die Festschrift, die in Bad Camberg druckfrisch vorgestellt wurde. Prof. Dr. Ewald Sprecher, Hamburg, hat mit vielen historischen Fotos die Jahreskongresse und sonstige Aktivitäten der GA im Laufe von 50 Jahren resümiert.

Die Professoren Matthias Hamburger, Jena, Kurt Hostettmann, Lausanne, und Wolfgang Kreis, Erlangen, haben aktuelle Techniken der Arzneipflanzenforschung abgehandelt, und Prof. Dr. Gerhard Franz, Regensburg, beleuchtet die Rolle des Europäischen Arzneibuches bei der Qualitätssicherung von Phytopharmaka.

W. Caesar

Zukunft der Arzneipflanzenforschung Das Screening nach physiologisch aktiven Naturstoffen in Pflanzen und niederen Organismen ist zwar noch längst nicht beendet, aber durch Automatisierung Robotisierung so effizient gestaltet worden, dass es nicht mehr das Hauptgebiet der Arzneipflanzenforschung ist. Ähnliches gilt für die Strukturaufklärung der isolierten Substanzen, die früher außerordentlich schwieriger war als heute.

Dagegen spielen die Bio- und Gentechnik eine immer größere Rolle bei der Arzneimittelherstellung mithilfe von Organismen. Die Biosynthese an sich und die Syntheseprogramme, die in Genen gespeichert sind, werden für die industrielle Produktion immer interessanter. Auch die Erforschung der Wirkungsmechanismus von Naturstoffen auf molekularbiologischer Ebene entwickelt sich rasant und eröffnet der Arzneistoffentwicklung neue Perspektiven.

Von praktischer Bedeutung für den Arzneimittelmarkt ist die Sicherung der pharmazeutischen und der therapeutischen Qualität. Da Pflanzenextrakte Vielstoffgemische sind, kommt hier dem pharmakologischen Nachweis synergistischer Effekte eine große Bedeutung zu; denn nur so lässt sich eine Überlegenheit gegenüber chemisch definierten Reinsubstanzen begründen.

Am Ende werden über das Sein oder Nichtsein eines Phytopharmakons jedoch nur klinische Studien entscheiden. Hier besteht zurzeit ein Defizit, das durch öffentliche Mittel abgebaut werden sollte. Mit Recht, denn die große Mehrheit der Bürger wünscht ein Therapie mit Phytopharmaka.

Literaturtipp Gesellschaft für Arzneipflanzenforschung: 50 Years 1953 – 2003 – A Jubilee Edition (ed. Ewald Sprecher, Wolfgang Caesar). 176 Seiten, 67 Abbildungen, 34 Euro. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2003. ISBN 8-8047-2028-5

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