Praxis

Verordnung falscher Arzneimittel - ein Problem mit vielen Gesichtern

Wer arbeitet, macht Fehler. Dies gilt für alle Menschen, auch für Ärzte und ihr Personal. Dass zwei unabhängig voneinander arbeitende Organisationen zufällig genau an der gleichen Stelle einen Fehler verursachen, ist dagegen höchst unwahrscheinlich. Darum ist es gut, wenn die Apotheke eine Kontrollfunktion ausübt. Dies hat sich seit Jahrhunderten bewährt und wird in einer immer komplexer werdenden Welt wichtiger als je zuvor.

Im zweiten Teil unserer Serie über die alltäglichen Leistungen der Apotheken für die Arzneimittelsicherheit geht es um die verschiedenen möglichen Probleme aufgrund der Auswahl des Arzneimittels. Bereits in der ersten Folge hatten wir einige Fälle vorgestellt, bei denen aufgrund einer Verwechslung das falsche Arzneimittel verordnet wurde. Alle Fälle stammen aus Mitgliedsapotheken des Apothekerverbandes Nordrhein und wurden im praktischen Arbeitsalltag dokumentiert*.

Die Beispiele für Arzneimittelverwechslungen lassen sich weiter fortsetzen. So berichtete eine Apotheke in Moers über eine Jodthyrox®-Verordnung, bei der die Patientin die Packung als falsch erkannte. Die Nachfrage beim Arzt und die dortige Suche in der Kartei brachte zunächst keinen Erfolg. Stattdessen erhielt die Apothekerin den Ratschlag, die Patientin sollte sich verschiedene Packungen ansehen und das richtige Arzneimittel aussuchen. Als sie gerade bei Jodid 100 fündig wurde, kam die Bestätigung aus der Arztpraxis, dass dies die richtige Wahl war.

Mit wesentlich weniger Mühe wurde in der R.-Apotheke in Bergisch Gladbach eine offensichtlich unsinnige Verordnung erkannt. Für eine hochbetagte Dame war auf einem Kassenrezept Viagra® verordnet worden.

Verwechslungen von Darreichungsformen, ...

Aus mehreren Apotheken wurden von verwechselten Darreichungsformen berichtet, die bei den Patienten Stirnrunzeln auslösten. So wurden beispielsweise Suppositorien anstelle von Tabletten verordnet. Wenn Zäpfchen gegessen werden, liegt das manchmal vielleicht weniger an Unwissenheit und mehr an übertrieben guter Compliance – wenn in der Arztpraxis zuvor von Tabletten gesprochen wurde und diese auch verordnet werden sollten. Manchmal steckt aber auch mehr hinter einer vermeintlich falschen Darreichungsform. So waren "Corangin Tr." für eine 21-Jährige verordnet, aber Korodin® gemeint. In einem anderen Fall stand "Novodigal 30 Tro" für Novalgin®.

Auch hinter einer vermeintlichen Wechselwirkung kann sich ein falsch verordnetes Arzneimittel verbergen. So meinte eine Apothekerin in Bergneustadt, bei der Verordnung von Oflohexal® und Ambrodoxy® eine wenig sinnvolle Antibiotikakombination entdeckt zu haben. Anstelle von Ambrodoxy® war allerdings Ambroxol gemeint.

... ähnlich klingenden Wirkstoffen

Im Mai 2002 wies die Arzneimittelkommission der Deutschen Apotheker auf die Namensähnlichkeit des Antiallergikums Lisino® (Wirkstoff: Loratadin) mit dem ACE-Hemmer Lisinopril und seinen diversen Generika hin. Wie bedeutend diese Verwechslung im Alltag ist, bestätigen auch die Meldungen der nordrheinischen Apotheken.

In diesem Zusammenhang dokumentiert ist der Fall, dass Lisinopril verordnet wird, obwohl Lisino® gemeint ist. Doch in einem Fall wurde sogar das neue Generikum "Lisinohexal" kreiert, das an Lisihexal® mit dem Wirkstoff Lisinopril erinnert. Gewünscht war jedoch ein Loratadin-Generikum. Ein ähnliches Problem – auch unter dem Buchstaben L – bildet die Verwechslung des Sedativums Lorazepam mit dem Antidiarrhoikum Loperamid, über die ebenfalls berichtet wurde.

Alle diese Beispiele zeigen, wie wichtig es ist, im abgabebegleitenden Gespräch die Indikation und weitere Modalitäten der Anwendung anzusprechen. Die meisten Verwechslungen lassen sich damit erkennen, zumal die sprachlich naheliegenden Alternativen dem Apothekenpersonal schnell in den Sinn kommen. Dies alles setzt aber voraus, dass überhaupt ein Gespräch stattfinden kann.

Über elektronische Formulare im Internet ist dies nicht vorstellbar. Das Angebot einer Beratungshotline bietet für diesen Fall keine Hilfe. Denn wenn der Patient besonderen Beratungsbedarf erkennt, weil er selbst einen Fehler vermutet, ist das Problem schon so gut wie gelöst. Gefahren drohen denjenigen Patienten, die dies nicht erkennen.

... und Patienten

Die pharmazeutische Phantasie für Namensähnlichkeiten versagt allerdings bei einer ganz besonders subtilen Form der Verwechslung – bei "richtigen" Verordnungen für den falschen Patienten. Über solche Fälle wurde aus mehreren Apotheken berichtet. Wenn die Patienten in der Apotheke nicht bekannt sind, geben Geschlecht oder Alter manchmal den entscheidenden Hinweis. Außerdem sollte stets nach dem Namen gefragt werden.

Die Verwirrung wird komplett, wenn der Rezeptkopf in der Arztpraxis falsch bedruckt wird. Über einen solchen Fall berichtete die G.-Apotheke in Duisburg. Aus der Arztpraxis erhielt man dazu den Hinweis, es sei "nur" der Rezeptkopf verwechselt worden, das Medikament sei richtig.

Arzneimittelabgabe – nur Schubladenziehen?

In der öffentlichen Diskussion um die Vertriebswege für Arzneimittel wird oft der Anschein erweckt, in der Apotheke gehe es nur darum, wie ein Kommissionierautomat die ärztlichen Verordnungen buchstabengenau auszuführen. Dafür reiche es aus, einmal in eine Schublade zu greifen. Dabei wird stillschweigend unterstellt, dass die Verordnungen stets präzise formuliert sind und so auch eindeutig elektronisch übermittelt und einem Arzneimittel zugeordnet werden können. Dies ist auch eine Voraussetzung für die Kodierung einer Verordnung auf einem elektronischen Rezept. Die bisherigen Beispiele zeigen allerdings, dass keineswegs immer das gemeint ist, was da steht.

Manchmal steht allerdings überhaupt nichts da, was einem bestimmten Arzneimittel zugeordnet werden könnte. Schon in der vorigen Folge wurde von einer Krankenhausentlassungsverordnung von neun Arzneimitteln, jeweils ohne Mengen und Stärken, berichtet. Noch wesentlich mehr Interpretationsbedarf erforderte die Verordnung über "Insulin 1 OP", die in der S.-Apotheke in Düren vorgelegt wurde.

Besondere Mühe bereitet offenbar die genaue Bezeichnung von Hilfsmitteln. So wurde über Verordnungen wie "Beinbeutel 250 mg", eine "Kompressionsstrumpfhose bis zum Knie" und Nadeln und Teststreifen ohne jegliche Spezifikation berichtet.

Wer jemals irgend etwas mit einer Suchmaschine im Internet gesucht hat, mag sich vorstellen, was solche Eingaben bei einer Versandapotheke auslösen würden. Dann würden sogar einfache Schreibfehler wie "Celistine" statt Celestamine® zum Problem. Im Apothekenalltag ist das dagegen kaum erwähnenswert.

Beratung für Ärzte

Die Möglichkeiten für Verwechslungen und fehlerhafte Bezeichnungen sind sehr vielfältig, doch gehen die Leistungen der Apotheker für die Arzneimittelsicherheit weit über das Aufspüren von Verwechslungen hinaus. Eine wesentliche Aufgabe der Apothekerschaft ist gemäß Apothekenbetriebsordnung die Beratung der Patienten und der behandelnden Ärzte in Arzneimittelfragen.

Auch die Beratung der Ärzte ist ein wichtiger Aspekt der Arzneimittelsicherheit. Dies ist keine graue Theorie, sondern findet in der Praxis statt, manchmal allerdings erst, wenn in der Apotheke Probleme auf dem Rezept oder beim Gespräch mit dem Patienten erkennbar werden. Ein Beispiel bietet eine Patientin, die in einer Apotheke in Bergisch Gladbach eine Verordnung des Hausarztes über eine Ampulle Volon® A Kristallsuspension vorlegte. Im Gespräch mit der Patientin erfuhr der Apotheker, dass sie eine Wespengiftallergie hat und das Arzneimittel für eventuelle Notfälle mit sich führen sollte. Allerdings ist zu fragen, was sie im Fall eines Wespenstiches mit einer solchen Ampulle hätte anfangen können. Der Apotheker informierte den Arzt über ein Notfallset, das für diese Situation geeignet ist.

Aus der gleichen Apotheke wurde noch ein weiteres Beispiel für die unangemessene Wahl der Darreichungsform berichtet. Dabei ging es um einen Patienten mit einem Kiefertumor, der ein Hauttransplantat im Mund erhalten hatte, das mit Candida besiedelt war. Aus einer Universitätsklinik erhielt er ein Rezept über Moronal® Dragees mit der Dosierungsangabe 3-mal täglich 2 Dragees. Der Arzt bedankte sich für das Aufzeigen einer sachgerechteren Alternative. In beiden Fällen war wieder das persönliche Gespräch die Voraussetzung, um die ungeeigneten Verordnungen zu erkennen.

Probleme bei Hepatitis-Impfungen

Verhältnismäßig groß scheint der Informationsbedarf über Hepatitis-Impfungen zu sein. So fragte ein Apotheker in Wesel eine Patientin mit einer Begrivac®-Verordnung, wo sie sich denn infiziert habe. Sie erläuterte daraufhin, das Arzneimittel sei zur Prophylaxe bestimmt, weil sie in den nächsten zwölf Monaten ins Ausland reisen werde. Nach Rücksprache mit dem Arzt wurde die Verordnung in Twinrix® geändert. Denn nach einigen Monaten hätte die passive Immunisierung mit Begrivac® keinen Schutz mehr geboten, zumal ohnehin eine aktive Immunisierung die angemessenere Prophylaxe darstellt. Aus dem gleichen Grund war auch eine Kombinationsverordnung von Twinrix® und Begrivac® überflüssig.

In einer dritten Apotheke berichtete eine ratsuchende Mutter, dass ihre beiden Kinder nach zwei Vorimpfungen mit Twinrix® als dritte Impfung nur Engerix®, d. h. nur eine Hepatitis-B-Impfung, erhalten hatten. Der Kinderarzt meinte, eine dritte Hepatitis-A-Impfung sei nicht mehr nötig. Dies widerspricht allerdings den Angaben des Impfstoffherstellers. Daraufhin vermittelte die Apotheke eine dritte Impfung mit Havrix®.

Kommunikation in Arztpraxis und Apotheke

Für eine sachgemäße Arzneimittelauswahl sind nicht nur gute Kenntnisse über die Arzneimittel, sondern auch über die Patienten erforderlich. Angesichts der knappen Zeiteinteilung der Ärzte und der Aufgeregtheit mancher Patienten in der Atmosphäre der Arztpraxis geben die Patienten ihren Ärzten aber wohl nicht immer alle wichtigen Informationen. Dies wäre zumindest eine naheliegende Erklärung für die mehrfachen Meldungen über Verordnungen von Penicillin-Derivaten an Patienten mit einer Penicillin-Allergie. Aus einer Apotheke wurde sogar berichtet, bei Penicillin-Verordnungen stelle sich "häufig" heraus, dass den Patienten eine Allergie bekannt ist, über die sie dem Arzt aber nicht berichtet haben.

Viele Patienten mit Infektionskrankheiten sind möglicherweise erstmals bei dem behandelnden Arzt und daher dort nicht langfristig bekannt. Auch beim Zahnarzt liegt möglicherweise für viele Patienten nicht nahe, diesen über eine Penicillin-Allergie zu informieren. Über ein ähnliches Kommunikationsdefizit wird aus einer Apotheke in Heinsberg berichtet. Dort legte eine 27-jährige Patientin ein Rezept über Ciprofloxacin vor. In der Apotheke erwähnte sie allerdings, dass sie zur Zeit stillt. Nach Rücksprache mit dem Arzt wurde die Verordnung in Amoxicillin geändert.

Kooperation der Heilberufe

Fast alle Apotheker, die dem Arzt eine Änderung eines Rezeptes nahegelegt hatten, berichteten über gute Akzeptanz bei den Verordnern. Manchmal wird ausdrücklich erwähnt, dass sich die Ärzte für den Hinweis bedankt haben. Die Meldungen sprechen insgesamt für eine gute Zusammenarbeit zwischen den Heilberufen, sowohl aus fachlicher Sicht als auch im Sinne einer guten Arbeitsatmosphäre.

Allerdings berichtete eine Apothekerin aus Königswinter von einem Fall, in dem keine Einigkeit zwischen Arzt und Apothekerin erzielt werden konnte. In dieser Apotheke klagte ein Stammkunde über ein bereits mehrfach aufgetretenes lebensbedrohliches Angioödem. In der Apotheke war bekannt, dass der Patient einen ACE-Hemmer einnahm. Die Apothekerin riet dem Patienten, nach Rücksprache mit dem Arzt diese Medikation zu wechseln. Der Arzt reagierte aber negativ auf den guten Ratschlag.

Der Kunde war allerdings durch die Empfehlung aus der Apotheke skeptisch geworden und wandte sich mit seinem Problem an den Hersteller des ACE-Hemmers. Die Apothekerin zitiert in ihrer Meldung an den Apothekerverband Nordrhein die Antwort des Herstellers an den Patienten so: "Bedanken Sie sich in der Apotheke mit einem Blumenstrauß, sie hat Ihnen das Leben gerettet."

Ein vielschichtiges Phänomen ...

Mit Ausnahme der unzureichend spezifizierten Verordnungen sind fast alle bisher – in dieser und der vorangegangen Folge – erwähnten Berichte aus Apotheken nur einer Gruppe im Sinne der üblichen Einteilung arzneimittelbezogener Probleme zuzuordnen. Es sind Verordnungen des falschen Arzneimittels. Von Konzentrationen, Dosierungen, Wechselwirkungen oder Anwendungsfehlern war bisher noch keine Rede. Was in der epidemiologischen Theorie nur ein Problem unter vielen ist, erweist sich damit in der Praxis als äußerst vielschichtiges Phänomen.

Um dies besser beschreiben und künftig besser erforschen zu können, soll versucht werden, das arzneimittelbezogene Problem "falsches Arzneimittel" weiter zu gliedern. Dafür sollen die beschriebenen Fälle als Anregungen dienen. Für eine Gliederung bietet sich zunächst die Perspektive des Arzneimittels an. Hier können folgende Fälle falsch bzw. unzureichend ausgewählter Arzneimittel unterschieden werden:

  • falscher Arzneistoff,
  • falsche Darreichungsform,
  • fehlende oder unzureichende Spezifikation,
  • noch nicht oder nicht mehr lieferbare Arzneimittel.

Über Beispiele zum letztgenannten Fall wird in einer späteren Folge berichtet.

... und seine Ursachen

Eine solche Gliederung zeigt aber weder die Vielfalt der vorgestellten Fälle noch deren Ursachen oder die potenziellen Auswirkungen auf die Patienten. Als Ursachen deuten sich aufgrund der bisher dargestellten Fälle insbesondere die folgenden Möglichkeiten an:

  • (sprachliche) Verwechslung von Arzneimitteln in der Praxis oder bei Patienten,
  • Verwechslung von Patienten in der Arztpraxis,
  • Informationsdefizite beim Praxispersonal über die korrekte Bezeichnung von Arznei- oder Hilfsmitteln,
  • Irrtümer bei Patienten durch zusätzliche Arzneimittelnamen, z. B. aufgrund generischer Substitution,
  • Kommunikationsdefizite zwischen Arzt und Patient, z. B. bei Informationen über Allergien, Schwangerschaft oder Stillzeit,
  • Informationsdefizite beim Arzt über das bestehende Arzneimittelangebot oder den Einsatz der Alternativen.

In der nächsten Folge stellen wir weitere Erfahrungen aus dem Apothekenalltag vor. Dann wird es beispielsweise um die besonderen Probleme von Kindern, um Dosierungsfragen und Wechselwirkungen gehen.

Wer arbeitet, macht Fehler. Dass zwei unabhängig voneinander arbeitende Organisationen zufällig genau an der gleichen Stelle einen Fehler verursachen, ist dagegen höchst unwahrscheinlich. Darum ist es gut, wenn die Apotheke bei ärztlichen Verschreibungen eine Kontrollfunktion ausübt. An konkreten Beispielen bestätigt sich diese allgemeine Regel immer wieder. Wir berichten über einschlägige Erfahrungen aus dem Apothekenalltag und setzen damit die in DAZ Nr. 18 begonnene Serie fort. 

Wenn der Patient besonderen Beratungsbedarf erkennt, weil er selbst einen Fehler vermutet, ist das Problem schon so gut wie gelöst. Gefahren drohen denjenigen Patienten, die dies nicht erkennen.

Wer jemals irgend etwas mit einer Suchmaschine im Internet gesucht hat, mag sich vorstellen, was solche Eingaben bei einer Versandapotheke auslösen würden. Dann würden sogar einfache Schreibfehler wie "Celistine" statt Celestamine® zum Problem.

Fast alle Apotheker, die dem Arzt eine Änderung eines Rezeptes nahegelegt hatten, berichteten über gute Akzeptanz bei den Verordnern.

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