Praxis

Was Apotheker tagtäglich für die Arzneimittelsicherheit leisten

Die Bedeutung der Arzneimittelsicherheit wird in politischen Statements gerne hervorgehoben. Doch welche Tätigkeiten gewährleisten die Arzneimittelsicherheit im Alltag? Welche Rolle spielen dabei die Apotheken? In jeder Apotheke lassen sich viele Beispiele finden, wie für die sichere Anwendung von Arzneimitteln auch und gerade in Problemfällen gesorgt wird. Doch ist dies in der Öffentlichkeit nur wenig bekannt und wird in der epidemiologischen Forschung kaum beachtet. Mit einer neuen Serie über Erfahrungen aus dem Apothekenalltag wollen wir die Öffentlichkeit und die Forschung auf dieses Thema aufmerksam machen. Wir möchten zeigen, was Apotheker tagtäglich für die Arzneimittelsicherheit leisten Ų mit Beispielen aus der Praxis.

Der Apothekerverband Nordrhein und die Deutsche Apotheker Zeitung hatten in der Vergangenheit dazu aufgerufen, solche Ereignisse zu dokumentieren. Dadurch können wir nun reale Beispiele dafür präsentieren, was Apotheken tagtäglich für die Arzneimittelsicherheit tun – wie etwa diesen Fall aus einer Apotheke in Erkelenz:

Hellsehen oder Erfahrung?

Eine Patientin legte eine Verordnung über Digox von ct® 0,2 vor, das ihr unbekannt war. Da dieses Generikum nicht vorrätig war, wurde es bestellt und vom Apothekenleiter selbst am Abend zur Patientin in ihre Wohnung geliefert. Sie wollte sofort mit der Einnahme beginnen. Aufgrund seiner Erfahrung oder vielleicht wegen eines unguten Gefühls fragte der Apotheker nach, ob die Patientin schon Novodigal® nehme. Dieses Arzneimittel kannte sie aber nicht. Spätestens hier würde wohl jede noch so kompetente und wohlmeinende Telefonberatung enden. Wo sollte auch ein Problem liegen, wenn die Patientin das Originalpräparat, das den Anlass für eine Doppelverordnung geben könnte, nicht einmal kennt?

Der Fall in Erkelenz war aber noch nicht zu Ende. Denn der Apotheker bat die Patientin, ihre Arzneimittel noch einmal anzusehen. Unter den Tabletten, die sie täglich nimmt, fand sich dann auch noch eine fast volle Packung Novodigal®. Die Patientin hätte damit über lange Zeit die doppelte Dosis des Herzglykosids genommen. Angesichts der geringen therapeutischen Breite des Arzneistoffes hätte dies für sie schlimm enden können.

Arzneimittelraten in der Apotheke

Arzneimittelsicherheit aus der Apotheke kann aber auch ganz anders aussehen. Nicht immer sind fast hellseherische Kräfte erforderlich, manchmal ist es "nur" eine Fleißarbeit, mit der Schwächen des Gesundheitssystems ausgebügelt werden. Ein Beispiel hierfür dokumentierte eine Apotheke aus Bergheim bei Köln:

Am Abend gegen 18 Uhr legte eine Frau ein Rezept für ihren gerade aus dem Krankenhaus entlassenen Mann vor. Es waren neun Arzneimittel verordnet, alle ohne Stärke und Menge, aber immerhin mit einer Dosierungsanleitung. Zusätzlich hatte der Patient einen Medikamenteneinteiler mitbekommen, den seine Frau glücklicherweise in die Apotheke mitbrachte. Denn zwei Tabletten waren dort schon für den ersten Abend eingeteilt, aber welche?

Eine Rückfrage im Krankenhaus blieb erfolglos. Doch konnten die Tabletten in der Apotheke anhand ihres Aussehens identifiziert werden. So wurde dem Patienten die doppelte Einnahme erspart. Eines der fraglichen Arzneimittel war Amiodaron, das aufgrund seines Nebenwirkungspotenzials besonders sorgfältig dosiert werden sollte.

Beraten, Helfen – und wer erfährt davon?

Schon diese beiden Beispiele geben einen Eindruck, wie vielfältig die Leistungen der Apotheken rund um die Arzneimittelsicherheit sind. Solche und ähnliche Fälle geschehen wahrscheinlich täglich in deutschen Apotheken, doch werden sie nur selten wissenschaftlich verwertbar dokumentiert.

Im Alltag geht es darum, die Probleme zu lösen. Wenn dies gelingt, erübrigt sich die Dokumentation. Dass so wenig über solche Fälle bekannt ist, spricht darum eher für gute Erfolge der Apotheken beim Lösen der Probleme und sollte nicht zu der Folgerung verleiten, solche Schwierigkeiten seien seltene Ausnahmen.

Dokumentationen zu den pharmazeutischen Bemühungen bei der Lösung arzneimittelbezogener Probleme existieren allerdings, soweit diese Tätigkeit im Rahmen der pharmazeutischen Betreuung erfolgt. Denn die Dokumentation ist ein begriffsnotwendiger Bestandteil der pharmazeutischen Betreuung. Doch werden diverse Probleme auch unabhängig von der pharmazeutischen Betreuung im Apothekenalltag offenbar und können oft auch ohne eine solche formale Vorgehensweise gelöst werden, wie die Beispiele zeigen. Hier geht es gerade nicht um die pharmazeutische Betreuung, sondern um die alltägliche Distribution und die damit unmittelbar verbundene Beratungsleistung.

Appelle zur Dokumentation

Daher hatte Dr. Klaus G. Brauer schon vor fast drei Jahren im Editorial zur DAZ 2000, Nr. 29, dazu aufgerufen, solche Fälle zu erfassen. Dieser Appell wurde vom Apothekerverband Nordrhein aufgegriffen, der seine Mitgliedsapotheken im Oktober 2000 in einem Rundschreiben aufforderte, Probleme bei der Arzneimittelversorgung schriftlich festzuhalten und die Dokumentation zur Verfügung zu stellen. Das Projekt des Apothekerverbandes Nordrhein trägt den Titel "Beratung durch die Apotheke – ökonomisch und gesundheitspolitisch unverzichtbar".

Inzwischen liegen über 130 Antworten aus Mitgliedsapotheken vor. Im Vergleich zu anderen Anfragen kann dies als eine hohe Rücklaufquote gewertet werden. Viele Apotheken berichten in ihren Meldungen jeweils über mehrere Ereignisse. Welche Situationen in den Apotheken gemeistert wurden und welche Aussagen dies über die Leistungen der Apotheken für die Versorgung der Bevölkerung erlaubt, soll in dieser neuen DAZ-Serie dargestellt werden. Zunächst sollen einige grundsätzliche Überlegungen zur Auswertung der vorliegenden Fallberichte angestellt werden.

Auswertung: quantitativ ...

Da nicht bekannt ist, wie viele Apotheken wie lange konsequent die berichtenswerten Fälle dokumentiert haben, scheidet eine quantitative Auswertung im Sinne einer Hochrechnung zur Häufigkeit solcher Situationen aus. Für eine solche Berechnung wären im Vorhinein definierte Studienbedingungen erforderlich.

Eine quantitative Auswertung kommt allenfalls in Betracht, soweit es um die relative Häufigkeit unterschiedlicher Problemsituationen im Vergleich zueinander geht. Dafür müsste unterstellt werden, dass alle Arten von Problemen gleichermaßen konsequent dokumentiert wurden. Dies ist wenig wahrscheinlich, weil schwer wiegende Probleme oder besonders kuriose Fälle eher zur Dokumentation motivieren dürften als Kleinigkeiten.

... oder qualitativ?

Die Auswertung wird sich daher auf qualitative Gesichtspunkte konzentrieren. Primär soll ein Überblick vermittelt werden, welche Arten von Schwierigkeiten im Apothekenalltag auftreten können und welche Möglichkeiten die Apotheken bei der Lösung dieser Probleme haben. So kann aus der Praxis heraus gezeigt werden, wie facettenreich der Begriff der Arzneimittelsicherheit ist.

Nutzen für Wissenschaft, ...

Damit werden Orientierungspunkte für die Gestaltung späterer Studien geschaffen. Nur wenn die Dimensionen der Arzneimittelsicherheit und die Vielfalt der Problemlösungskapazität der Apotheken bekannt sind, können künftige Untersuchungen, die auch quantitative Ziele verfolgen mögen, der komplexen realen Situation gerecht werden und diese angemessen abbilden. Die Auswertung der vorliegenden Fallberichte hätte damit den Charakter einer Pilotstudie.

... Praxis ...

Die Berichte können auch Apothekerinnen und Apothekern in der Praxis neue Anregungen geben, auf welche potenziellen Fehlerquellen sie achten sollten. Insbesondere Studierende und der Berufsnachwuchs im dritten Ausbildungsabschnitt dürften von solchen Erfahrungen profitieren. Damit könnte die Darstellung der vielfältigen Alltagsprobleme einen Beitrag zur weiteren Verbesserung der Versorgungsqualität leisten.

... und Politik

Darüber hinaus bieten bereits die qualitativen Aussagen viele Ansätze, um die Leistungen der Apotheken in der Öffentlichkeit und in der Politik zu vermitteln. So kann gezeigt werden, dass auch die Distribution von Arzneimitteln viel mehr bedeutet als nur eine Packung aus der Schublade zu nehmen oder für den Versand zu verpacken.

Dies hat auch Konsequenzen für die Arzneimittelpreisbildung und die Rechtfertigung der Apothekenspanne. Denn die Apotheken müssen aus ihrer Handelsspanne nicht nur die Distribution im physischen Sinn und die unmittelbar abgabebegleitende Beratung, sondern auch viele weitere Tätigkeiten zur Gewährleistung der Arzneimittelsicherheit finanzieren. Wie vielfältig diese Leistungen sind, zeigen die gesammelten Fälle aus der Praxis.

Gliederung der Vielfalt

Entsprechend dem Ablauf des Versorgungsprozesses lassen sich die Anlässe für besondere Interventionen der Apotheken grob in vier Gruppen einteilen. Zu unterscheiden sind Probleme aufgrund

  • der Verordnung,
  • der Distribution,
  • der Anwendung und
  • außergewöhnlicher sozialer oder humanitärer Umstände.

An dieser Gliederung soll sich auch die Darstellung der Praxisfälle in dieser Serie orientieren. Die verschiedenen Arten arzneimittelbezogener Probleme, wie sie in der Literatur zur pharmazeutischen Betreuung unterschieden werden, lassen sich dieser groben Gliederung zuordnen und ermöglichen für die meisten gesammelten Praxisfälle eine Feingliederung.

Probleme mit dem Rezept

Die Probleme aufgrund der Distribution, der Anwendung oder außergewöhnlicher Umstände werden in späteren Folgen beschrieben. Zunächst sollen die verordnungsbezogenen Schwierigkeiten interessieren. Ein erstaunlich großer Teil der gesammelten Meldungen aus der Praxis berichtet über die Auswahl der falschen Arzneimittel. Die simplen sprachlichen Verwechslungen, die in Apothekerkreisen schon fast eine eigene Kategorie des Humors darstellen, sind leider keine witzigen Erfindungen, sondern traurige, manchmal lebensgefährliche Realität. Sie entstehen wohl typischerweise durch Kommunikationsfehler innerhalb der Arztpraxen, insbesondere wenn Patienten nach ihrer Medikation befragt werden. Dagegen hilft nur, jede Verordnung kritisch zu hinterfragen. So wurde in der E.-Apotheke in Würselen ermittelt, dass anstelle des verordneten Schilddrüsenhormon-Präparates Eferox® "Eisentabletten" gemeint waren.

Verwechslungen jeder Art

In der B.-Apotheke in Moers führte die Dosierungsangabe "bei Bedarf" für einen Beta-Blocker zur Rücksprache beim Arzt, zumal der Patient über keinerlei Beschwerden berichtete, für die ein solches Arzneimittel sinnvoll erschien. Gemeint war das ähnlich klingende Antirheumatikum Celebrex®. In der S.-Apotheke in Düren stellte sich bei einer Verordnung des Beta-Blockers Metotablinen® heraus, dass diese dreimal täglich genommen werden sollten. Auf die Frage nach seinem Blutdruck berichtete der Patient über seinen "total niedrigen" Blutdruck. Gemeint war hier das Antibiotikum P-Mega-Tablinen®.

Besonders groß ist die Gefahr für Kommunikationsprobleme naturgemäß bei "bestellten" Verordnungen. Die G.-Apotheke in Duisburg berichtete über einen Fall, den erst die Patientin selbst aufklären konnte. Anstelle der gewünschten Dexa-Gentamycin® Augentropfen waren Tramadol® Tropfen verordnet worden. Die Patientin merkte glücklicherweise, dass diese Tropfen nicht ins Auge gehören. In der gleichen Apotheke wurde eine Verordnung über Faustan® 5 mg hinterfragt. Angesichts der plausiblen Konzentrationsangabe für das Diazepam-Präparat war die Verordnung nicht besonders auffällig, doch gemeint war das Thyreostatikum Favistan®, bei dem eine Tablette 20 mg Wirkstoff enthält.

Sichtbare Fehler ...

Solche Verwechslungen aufzuklären, erfordert neben Erfahrung und Gespür den möglichst unmittelbaren Kontakt mit dem Patienten. Im Versandhandel ist dies technisch sehr aufwändig oder einfach unmöglich. Der persönliche Kontakt erleichtert Rücksprachen und macht die Fehler manchmal im wörtlichen Sinne offensichtlich, wie im Beispiel aus einer Apotheke in Pulheim. Dort legte eine schwangere Frau eine Verordnung über Ambrodoxy® vor, das aufgrund seines Wirkstoffes Doxycyclin in der Schwangerschaft kontraindiziert ist.

In einer Apotheke in Kamp-Lindfort wurde eine Verordnung über "Diazepam Inj. Amp. 10 mg" in Diazepam Desitin® Rectiole 10 mg korrigiert, nachdem mit der Mutter des kleinen Patienten über die Anwendung gesprochen wurde. In einer Apotheke in Heimbach fiel die Kombinationsverordnung von Crom-Ophtal Augentropfen in Verbindung mit einer Salbe zur Anwendung auf der Haut auf. Gemeint war aber nicht die verordnete Terramycin Salbe, sondern Terramycin Augensalbe, die erheblich niedriger konzentriert ist und daher am Auge eingesetzt werden kann.

... und weniger sichtbare Irrtümer

In der P.-Apotheke in Bergisch-Gladbach wurde eine korrekt ausgefüllte Verordnung über Lasix® 20 mg Ampullen für eine achtzigjährige Patientin vorgelegt, die aber im abgabebegleitenden Gespräch erklärte, dass sie keine Spritzen bekommen sollte. Gemeint waren Tabletten zu 20 mg, damit die Patientin die bis dahin verordneten Tabletten zu 40 mg nicht mehr teilen musste. Bei der Änderung der Konzentration wurde die Darreichungsform gleich mit geändert.

Beim Arzneimittelversand via Internet ohne Nachfragemöglichkeit wäre dies erst der Patientin aufgefallen, die sich bestimmt über die Spritzen gewundert hätte. Die Folge wäre eine teure und umständliche Umtauschaktion gewesen. An dem beschriebenen Fall ist allerdings die Intention erfreulich, der Patientin das Teilen von Tabletten zu ersparen. Denn leider ist das Teilen nicht selten ein Auslöser für arzneimittelbezogene Probleme. Über ein solches Beispiel berichtete die A.-Apotheke in Lindlar. Dort wurde einer Verordnung entsprechend Lasix® 500 Tabs als Importarzneimittel von der Firma Beragena abgegeben. Die importierten Tabletten waren aber leider nicht teilungsfähig wie das deutsche Original. Dem dialysepflichtigen Patienten bereitete dies große Probleme, die durch erneute Lieferung des Originals behoben wurden.

Diese Fälle sind nur ein kleiner Auszug aus den vielen Meldungen über Verwechslungen und die fehlerhafte Arzneimittelauswahl bei Verordnungen. In der nächsten Folge dieser Serie stellen wir weitere Fälle aus nordrheinischen Apotheken und Gliederungsmöglichkeiten für die Vielfalt der Meldungen vor.

Die Bedeutung der Arzneimittelsicherheit wird in politischen Statements gerne hervorgehoben. Welche Rolle spielen dabei die Apotheken? Welche Tätigkeiten gewährleisten die Arzneimittelsicherheit im Alltag? Dies ist in der Öffentlichkeit nur wenig bekannt und wird in der epidemiologischen Forschung kaum beachtet. Mit einer neuen Serie über Erfahrungen aus dem Apothekenalltag wollen wir die Öffentlichkeit und die Forschung auf dieses Thema aufmerksam machen.

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