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Wahllügen-Untersuchungsausschuss – Ministerin Schmidt will vor der Wahl v

BERLIN (ks). In den ersten beiden Aprilwochen dieses Jahres beschäftigte sich der von der Union betriebene 1. Untersuchungsausschuss des Bundestags mit etwaigen Wahllügen aus dem Bereich der Gesundheitswesens: Hatte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt vor der Bundestagswahl im letzten September wirklich keine Hinweise darauf, dass das Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) am Jahresende weitaus größer ausfallen würde als sie behauptete? Meinte sie tatsächlich, die Kassenbeiträge könnten stabil bleiben? Union und FDP bezweifeln dies Ų doch die Ministerin wies bei ihrer Zeugenvernehmung am 10. April sämtliche Anschuldigungen zurück.

Schmidt berief sich darauf, dass sie zur Finanzdatenlage der gesetzlichen Kassen nicht mehr wissen könne als Kassenvertreter ihr mitteilten. Die Kassen seien selbst für die Höhe ihrer Beiträge verantwortlich, ihre Selbstverwaltung bestimme, inwieweit der Verpflichtung zur Ausgabenbegrenzung nachgekommen werde. Die Aufsichtsbehörden seien für regionale Kassen bei den Ländern angesiedelt, über die überregionalen Kassen wache das Bundesversicherungsamt. Die Bundesregierung habe hingegen nur äußerst begrenzte Einflussmöglichkeiten

Im September keine Vorhersage möglich

Die Ministerin erklärte, im Sommer 2002 sei das Jahresdefizit weder von ihr noch von Vertretern der gesetzlichen Kassen vorhersehbar gewesen. Diese Einschätzung hatten zuvor bereits die als sachverständige Zeugen im Untersuchungsausschuss befragten Kassenchefs Herbert Rebscher (VdAK) und Hans-Jürgen Ahrens (AOK) bestätigt.

Die Quartalszahlen, so Schmidt, lägen ihr regelmäßig erst zwei Monate nach Ende eines Quartals vor. Das heißt, vor der Wahl standen ihr lediglich die Zahlen der ersten beiden Quartale zur Verfügung, die keine Rückschlüsse auf eine so dramatische Entwicklung zugelassen hätten. Nichtsdestotrotz habe sie Krankenkassen und Ärzteschaft Anfang September darauf hingewiesen, dass im Bereich der Arzneimittel größere Anstrengungen nötig seien, sollten die Ausgaben nicht völlig aus dem Ruder laufen.

Sie selbst hatte entsprechende Kostendämpfungsgesetze bereits auf den Weg gebracht und zudem darauf vertraut, dass sich Ärzte und Kassen an ihre Vereinbarung, die Arzneimittelkosten 2002 um knapp fünf Prozent zu senken, halten würden. Schmidt ist sicher: Hätten die Beteiligten wirklich den Willen gehabt, gegenzusteuern, dann hätten sie es auch geschafft.

Doch insbesondere die Kassenärztliche Bundesvereinigung hatte vor der Wahl wohl andere Sorgen, vermutet die Ministerin: Dort konzentrierte man sich vor allem darauf, gegen die Gesundheitspolitik der Bundesregierung mobil zu machen. So sei auch eine zunächst geplante Informationskampagne zum wirtschaftlicheren Verordnungsverhalten im Sande verlaufen.

Zur Untätigkeit der Selbstverwaltung traten die ungeahnte konjunkturelle Talfahrt im Herbst 2002 sowie ein überproportionaler Anstieg der Krankenhauskosten, erklärte Schmidt. Erst im Oktober habe es jedoch bei Gesprächen mit den Spitzenverbänden der Krankenkassen Hinweise zum tatsächlichen Ausmaß des Defizits gegeben.

Kassen nicht durch Gerüchte ruinieren

Der Obmann der CDU/CSU im Ausschuss, Peter Altmaier, hielt der Ministerin vor, dass der Vorsitzende der AOK-Baden-Württemberg bereits am 5. August 2002 in einem Brief an Staatssekretär Klaus Theo Schröder vor steigenden Beiträgen gewarnt hatte – ein Schreiben, das nach Informationen des Ministeriums die schriftliche Zusammenfassung eines vorangegangenen Telefonats Schröders mit dem AOK-Vorsitzenden darstellte.

Die Ministerin bekam diesen Brief nach eigenem Bekunden vor der Wahl nicht in die Hände. Sie verließ sich vielmehr auf die Aussagen der Kassenchefs auf Bundesverbands-Ebene – einzelne Regionalkassen könnten ohnehin nicht exemplarisch für die gesamte Kassenlandschaft sprechen. Und selbst wenn die Ministerin die Lage der Kassen richtig eingeschätzt hätte, so wären dies nur Spekulationen gewesen, die sie nach Auffassung Rebschers besser für sich hätte behalten müssen:

Auch er hätte in der Situation nicht mehr gesagt – im Hinblick auf den Kassenwettbewerb dürfe man sich nur auf objektive Daten verlassen und nicht mit Gerüchten einzelne Kassen ruinieren. Wäre es erst einmal in der Welt, dass eine bestimmte Kasse ihren Beitragssatz anheben müsse, so habe sie einen Mitgliederschwund zu fürchten, der ihr Defizit nur noch weiter in die Höhe treibe.

Die Ministerin verstand es daher auch mehr als ihre Aufgabe, der Selbstverwaltung Mut zu machen: Wenn ihr euch nur anstrengt, dann könnt ihr die Finanzsituation auch in den Griff bekommen, lautete ihre Devise. Mit der Durchführung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen und dergleichen hätte durchaus die Chance bestanden, das Defizit abzufedern, meint Schmidt. Hätte sie hingegen bereits im letzten Sommer gesagt, die Beiträge stiegen ohnehin nahe an die 15-Prozent-Marke, so hätte sich doch niemand mehr um eine Ausgabenreduzierung bemüht, gab die Ministerin bei ihrer Vernehmung zu bedenken.

Auch das Vorschaltgesetz lässt keine Rückschlüsse zu

Auch der Umstand, dass umgehend nach der Wahl das Vorschaltgesetz auf den Weg gebracht wurde, spricht Schmidt zufolge nicht dafür, dass sie schon Anfang September gewusst habe, wie bedrohlich die GKV-Finanzlage tatsächlich sei. Ende September habe sie erste Hinweise auf die Entwicklung im dritten Quartal erhalten – mit dem Vorschaltgesetz sollte schlicht Luft für weitere Reformen geschaffen werden.

Die wirkliche Höhe des Jahredefizits habe aber auch zu diesem Zeitpunkt noch niemand im Ministerium absehen können. Theoretisch hätte sie das Gesetz auch schon ein paar Wochen früher auf den Weg bringen können: Doch wer bringe schon eine Woche vor einer Wahl ein Vorschaltgesetz in den Bundestag ein? Dies, so die Ministerin, entspräche nun einmal nicht den "Gepflogenheiten des Parlaments".

Opposition von Schmidts Argumenten nicht überzeugt

Union und FDP gaben sich mit den Aussagen der Ministerin nicht zufrieden. Sie sind weiterhin der Auffassung, die Regierung habe vor der Wahl Informationen verschwiegen. Altmaier zufolge hat insbesondere Schmidt die Öffentlichkeit vor der Bundestagswahl über die finanzielle Lage der GKV getäuscht und sei daher durch ihre Untätigkeit für das Defizit und die Beitragssatzsteigerungen zum 1. Januar 2003 verantwortlich.

Nun sollen weitere Akten aus dem Ministerium angefordert werden. Zudem sollen Spitzenbeamte aus dem Ministerium geladen werden, um Schmidts Angaben zu überprüfen. Die Opposition behielt sich vor, Schmidt ein zweites Mal vor das Gremium zu zitieren.

In den ersten beiden Aprilwochen dieses Jahres beschäftigte sich der von der Union betriebene 1. Untersuchungsausschuss des Bundestags mit etwaigen Wahllügen aus dem Bereich der Gesundheitswesens: Hatte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt vor der Bundestagswahl im letzten September wirklich keine Hinweise darauf, dass das Defizit der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) am Jahresende weitaus größer ausfallen würde als sie behauptete? Meinte sie tatsächlich, die Kassenbeiträge könnten stabil bleiben? Union und FDP bezweifeln dies – doch die Ministerin wies bei ihrer Zeugenvernehmung am 10. April sämtliche Anschuldigungen zurück.

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