Berichte

Universität Heidelberg: Neujahrssymposium am IPMB

Am 31. Januar 2003 fand an der Universität Heidelberg das traditionelle Neujahrssymposium statt, das zum ersten Mal nicht mehr von der Fakultät für Pharmazie, sondern vom Institut für Pharmazie und Molekulare Biotechnologie (IPMB) veranstaltet wurde. Der Geschäftsführende Direktor des IPMB, Prof. Dr. Michael Wink, erläuterte in seiner Begrüßung die zum Wintersemester 2002 eingetretenen Veränderungen der Verwaltungsstrukturen: Die Fakultät für Biologie und die Fakultät für Pharmazie fusionierten zur Fakultät für Biowissenschaften, und die bislang selbstständigen Institute der Fakultät für Pharmazie vereinten sich zum IPMB.

Neue Konzepte kommen gut an

Das IPMB gliedert sich in die vier Abteilungen:

  • Chemie,
  • Biologie,
  • Technologie & Pharmakologie,
  • Bioinformatik & Genomik.

Von den acht Professuren des IPMB sind zurzeit nur noch vier vakant; Rufe auf die C3-Stelle für Bioanalytik und die C4-Stelle für Bioinformatik sind ergangen; das Verfahren für die C3-Stelle "Funktionelle Genomik" ist schon weit fortgeschritten. Die C3-Professur für Pharmakologie und Toxikologie wird in Kürze zur Ausschreibung kommen.

Erfreulicherweise ist damit die von der Universitätsleitung Heidelberg verordnete Stagnation in der Wiederbesetzung der Professuren vorbei, und das IPMB kann sich mit frischen Kräften dem herkömmlichen Studiengang Pharmazie und dem neuen BSc/MSc-Studiengang Molekulare Biotechnologie widmen. Beide Studiengänge erfreuen sich sehr guter Nachfrage: Auf jeden Studienplatz im Fach Pharmazie an der Uni Heidelberg kamen zu diesem Wintersemester 3,93 Bewerber, auf jeden Studienplatz Biotechnologie sogar ca. 10 Bewerber; ein Hinweis darauf, dass die neuen Konzepte von den Studierenden gesehen wurden und nachgefragt werden.

Dank an Prof. Ludwig

Prof. Wink dankte allen Lehrkräften und Mitarbeitern für den Einsatz in Forschung und Lehre, die gerade in den letzten Jahren unter dem Zeichen einer erheblichen Überlast stand. Ein besonderer Dank galt Prof. Dr. Horst Ludwig, der 2002 65 Jahre alt wurde und zum Sommersemester aus dem aktiven Dienst ausschied. Prof. Ludwig wechselte 1978 aus dem Physikalisch-Chemischen Institut an das Institut für Pharmazeutische Technologie und hat sich in der Lehre in den Bereichen Mathematik, Physik und Physikalische Chemie eingesetzt. Er hat sich um die Fakultät für Pharmazie insbesondere als Dekan in den Jahren 1993 bis 1997 verdient gemacht und tatkräftig mitgeholfen, dass der Pharmaziestandort Heidelberg nicht aufgelöst wurde. In seinen letzten Dienstjahren übernahm er die kommissarische Leitung des Pharmazeutisch-Chemischen Instituts (nach Emeritierung von Prof. Dr. R. Neidlein, 1999). In der Forschung lagen und liegt der Schwerpunkt auf dem Gebiet der Anwendung hoher Drücke auf chemische und biologische Prozesse (s. Laudatio in DAZ Nr. 8, 2002).

Ribozyme – Enzyme mit großer Zukunft

Im Rahmen des Neujahrssymposium stellte sich Prof. Dr. Andreas Jäschke als neuer Inhaber des Lehrstuhls "Pharmazeutische Chemie" vor. Er stellte seine Antrittsvorlesung unter das Thema: "Von Scheren, Schaltern und Schablonen – Nucleinsäuren in der Bioorganischen Chemie".

Jäschke berichtete über die Katalyse organischer Reaktionen durch RNA, also durch Ribozyme, die als echte Enzyme Bindungsknüpfungen zwischen kleinen Substraten katalysieren und dabei hervorragende Stereoselektivitäten erzielen. Die Erforschung ihrer Strukturen und Mechanismen soll u. a. ihre Anwendung auf konkrete Syntheseprobleme im Bereich der Wirkstoffforschung ermöglichen. Auch die Anwendung von Nucleinsäuren zur Entwicklung neuer Detektionsverfahren für eine Vielzahl von Analyten wird diskutiert. Durch In-vitro-Selektion aus kombinatorischen Nucleinsäurebibliotheken können gezielt Moleküle angereichert werden, die in Abhängigkeit von der Analytkonzentration ein Signal generieren.

Weitere Forschungsschwerpunkte sind die Suche nach neuen Ribozymaktivitäten in der Biosphäre und die Entwicklung von Hybridkatalysatoren für die Organische Synthese. Drei weitere Symposiumsvorträge waren ebenfalls Antrittsvorlesungen, die von jungen Dozenten gehalten wurden, die im Jahre 2002 an der Fakultät für Pharmazie habilitiert wurden.

DNA-Reparaturkapazität und Krebsrisiko

Frau Priv.-Doz. Dr. O. Popanda hielt ihre Antrittsvorlesung zum Thema "Genvarianten in der DNA-Reparatur: Marker für individuelles Tumorrisiko oder Therapieerfolg?". Die Stabilität der genetischen Information ist ständig durch den Angriff DNA-schädigender Agenzien aus der Umwelt, aber auch aus zellulären Prozessen gefährdet. DNA-Schäden können Mutationen verursachen, die, wenn entscheidende Gene getroffen sind, zur Transformation einer gesunden Zelle in eine Krebszelle und zum Wachstum eines bösartigen Tumors führen können. Um dies zu verhindern, hat die Zelle eine Reihe komplexer Mechanismen entwickelt, die beschädigte DNA-Teile aufspüren und fehlerfrei beseitigen, sodass das ursprüngliche, intakte Genom wieder hergestellt wird.

Es ist heute bekannt, dass die DNA-Reparaturleistung bei verschiedenen Personen unterschiedlich stark ausgeprägt ist und dass Personen mit schwächerem Reparaturvermögen ein erhöhtes Risiko tragen, an bestimmten Krebsarten zu erkranken. Ein Beispiel dafür ist der Lungenkrebs. Als Ursache für ein geschwächtes Reparaturvermögen werden Sequenzvarianten in einem der über 100 Reparaturgene angenommen. Bei diesen Varianten handelt es sich häufig um Punktmutationen, die bei der Proteinsynthese z. B. den Austausch einer Aminosäure bewirken und dadurch die Eigenschaften des Proteins verändern können. Eine beeinträchtigte Reparaturleistung erhöht das Krebsrisiko.

Um abzuschätzen, wie stark Genvarianten das individuelle Risiko beeinflussen, können klinische Studien unter Verwendung molekular-epidemiologischer Methoden wesentliche Beiträge leisten. Erste Ergebnisse einer am DKFZ in Kooperation mit der Thoraxklinik Heidelberg laufenden Studie mit Lungenkrebspatienten zeigen, dass verschiedene Varianten von Reparaturgenen das Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, tatsächlich erhöhen. Zusätzlich wurde nachgewiesen, wie bestimmte Genvarianten das Reparaturvermögen beeinträchtigen.

Varianten von Reparaturgenen können auch die Wirksamkeit und Verträglichkeit einer Chemotherapie oder Radiotherapie beeinflussen, da diese Agenzien DNA-Reparatur auslösen. Die Analyse von Genvarianten in DNA-Reparaturgenen kann daher sowohl für den Therapieerfolg bei Krebspatienten relevant sein als auch zur Prävention beitragen, da rechtzeitig erkannte Risikopersonen besonderen Präventionsmaßnahmen zugeführt werden könnten.

Phospholipid-Gele – Innovation für Liposomen

Mit dem Thema "Vesikuläre Phospholipid-Gele (VPGs) – ein neues Drug Targeting System" stellte sich Priv.-Doz. Dr. U. Massing den Studierenden und Kollegen vor. VPGs sind hochkonzentrierte, halbfeste Dispersionen aus dicht gepackten Liposomen. In VPGs entspricht das eingeschlossene wässerige Volumen der Liposomen dem äußeren wässrigen Volumen. Dadurch kann in VPGs eine hohe Einschlusseffizienz für Wirkstoffe erzielt werden, meist 35 bis 70%, was es – im Gegensatz zu konventionellen Liposomendispersionen – nicht mehr nötig macht, den nicht eingeschlossenen Wirkstoff abzutrennen.

Der wesentliche Vorteil von VPG-Formulierungen liegt aber in der erheblich gesteigerten Lagerstabilität, denn aufgrund des nun fehlenden Konzentrationsgradienten zwischen dem Innenraum der Liposomen und dem umgebenden Medium bleibt die Wirkstoffmenge in den Liposomen konstant. Wirkstoffbeladene VPGs sind duale Formulierungen, sie enthalten eingeschlossenen und freien Wirkstoff in etwa gleichen Anteilen.

Vor der i. v. Applikation werden die Präparate mit einem geeigneten Medium (z. B. Glucose-Lösung) aufgeschüttelt (verdünnt). Sie müssen dann rasch appliziert werden, weil wieder ein Konzentrationsgradient existiert, der zum Herausdiffundieren des Wirkstoffs führen kann. Die Wirksamkeit von VPG-Formulierungen mit den Wirkstoffen Gemcitabin und Vincristin wurde an tumortragenden Nacktmäusen untersucht. Sie übertraf die Wirksamkeit der freien Wirkstoffe in beeindruckender Weise, in beiden Fällen konnten vollständige Remissionen gezeigt werden.

Pharmakokinetische Untersuchungen zeigten, dass die antitumoralen Effekte auf einer dramatischen Verlängerung der Serumhalbwertszeit beruhen und dass zudem ein passives Tumortargeting stattfindet. Ein Gemcitabin-VPG wird derzeit für die klinische Prüfung entwickelt.

SPS in der Tumordiagnostik

Priv.-Doz. W. Mier stellte seine Antrittsvorlesung unter das Thema: "Große Moleküle, große Herausforderungen – 40 Jahre Festphasensynthese – von den Anfängen zu modernen Werkzeugen der Tumordiagnostik". Der traditionelle Einsatz der Festphasensynthese (Solid phase synthesis, SPS) ist die Synthese von Biopolymeren, insbesondere von Peptiden und Oligonucleotiden. In den vergangenen Jahren hat sich das Anwendungsspektrum der SPS deutlich erweitert. Sie ist heute ein wichtiges Werkzeug z. B. für gentechnologische Verfahren, in der Chip-Technologie, im High-Throughput-Screening sowie in der Synthese von Wirkstoffkonjugaten mit selektiver Anreicherung im Tumorgewebe.

Das Prinzip der von Bruce M. Merrifield entwickelten SPS ist insofern revolutionär, als die Synthese an der Oberfläche eines polymeren Trägers, beispielsweise Glas oder quellfähiges Kunstharz, abläuft. Das wachsende Oligomer ist hierbei immobilisiert, sodass die Reaktionspartner in großem Überschuss eingesetzt und nach der Umsetzung durch einen einfachen Waschschritt abgetrennt werden können. Die wesentlichen Vorteile der SPS sind

  • die vereinfachte Reaktionsführung, weil zeitaufwendige Reinigungs- und Isolierungsschritte entfallen,
  • die thermodynamische und kinetische Beeinflussung des Reaktionsverlaufs, da durch hohe Überschüsse der Edukte hohe Ausbeuten erhalten werden können sowie
  • die Automatisierbarkeit.

Aufgrund dieser Vorteile ermöglicht die SPS die komplexen Synthesen hochmolekularer Substanzen. Am Beispiel von Peptid-Peptidnucleinsäure-Konjugaten kann gezeigt werden, dass mittels SPS heute Konjugate zugänglich sind, mit denen der Transport hochmolekularer Wirkstoffe in rezeptorexprimierende Tumoren erfolgreich ist. Die Kollegen und Kolleginnen gratulierten den frisch gekürten Privatdozenten herzlich und wünschten ihnen viel Erfolg für die Zukunft und eine glückliche Hand in der akademischen Lehre.

Prof. Dr. Andres Jäschke

(Jg. 1962) studierte Chemie an der Humboldt-Universität zu Berlin von 1984 bis 1988 und wurde 1993 am dortigen Fachbereich Chemie (Arbeitsgruppe Prof. Dr. D. Cech) mit "summa cum laude" promoviert. Nach einer Postdoc-Zeit (1993 – 1995) am MIT (Department of Biology; AK Prof. Dr. A. Rich) war Jäschke von 1995 bis 2002 Arbeitsgruppenleiter am Institut für Biochemie der Freien Universität Berlin. 1999 war er einer der glücklichen Preisträger des renommierten "BioFuture"-Preises des BMBF. Im Februar 2000 erfolgte die Habilitation an der FU Berlin. Zum 1. September 2002 folgte er dem Ruf auf die C4-Professur "Pharmazeutische Chemie" (Nachfolge R. Neidlein) an der Universität Heidelberg; seither leitet er die Abteilung Chemie am IPMB.

Zitat

Nucleinsäureforschung ist auch 50 Jahre nach Entdeckung der Doppelhelixstruktur der DNA ein spannendes Wissenschaftsgebiet. Während DNA und RNA bis vor kurzem lediglich als Speichermedien für genetische Informationen betrachtet wurden, ist mittlerweile klar, dass sie weitaus vielfältigere Funktionen in Regulation, Entwicklung und Katalyse ausüben. Prof. Dr. A. Jäschke

Priv.-Doz. Dr. Odilia Popanda

Priv.-Doz. Dr. Odilia Popanda studierte Chemie an der Universität Karlsruhe und wurde 1985 an der Fakultät für Pharmazie in Heidelberg promoviert. Seit 1985 arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in der Abteilung "Wechselwirkungen von Karzinogenen mit biologischen Makromolekülen". Seit 1999 ist sie in der Abteilung "Toxikologie und Krebsrisikofaktoren" mit dem Arbeitsgebiet "DNA-Reparatur" tätig. Bis auf wenige Ausnahmen diffundieren hydrophile (wasserlösliche) Zytostatika selbst durch sehr "dichte" Liposomenmembranen zu schnell, um lagerstabile Zubereitungen zu erhalten. Durch das von uns entwickelte Konzept der Vesikulären Phospholipid-Gele (VPGs) konnte dieses Problem jetzt gelöst werden.

Priv.-Doz. Dr. U. Massing

Priv.-Doz. Dr. Ulrich Massing (Jg. 1961) studierte Chemie in Göttingen. Von 1989 bis 1992 war er Doktorand am MPI für biophysikalische Chemie in Göttingen und wurde 1992 an der TU Braunschweig promoviert. Nach einem Postdoc-Jahr am MPI für biophysikalische Chemie wechselte er nach Freiburg zur KTB-Tumorforschung GmbH (Klinik für Tumorbiologie). Er leitet dort die AG "Phospholipide" und ist seit 1996 auch Leiter des Analytischen Labors. Seit 1998 ist er in die Lehre der Pharmazeutischen Fakultät der Universität Heidelberg eingebunden und habilitierte sich dort im Sommer 2002.

Priv.-Doz. Dr. Walter Mier

Priv.-Doz. Dr. Walter Mier studierte von 1987 bis 1994 Chemie an der Universität Heidelberg. 1992 war er ERASMUS-Stipendiat in Clermont-Ferrand, 1998 wurde er am Deutschen Krebsforschungszentrum Heidelberg promoviert. Seit 2001 ist er Leiter des Radiopharmazeutisch-Chemischen Labors der Abteilung Nuklearmedizin der Universität Heidelberg (Arbeitsschwerpunkte: präklinische Entwicklung Tumor-spezifischer Vektorsysteme für hochmolekulare Wirkstoffe). Er ist seit mehreren Jahren in die Lehre der Pharmazeutischen Fakultät Heidelberg eingebunden und habilitierte sich dort im Sommer 2002.

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