Arzneimittel und Therapie

Kurzsichtigkeit: Schärfer sehen mit Pirenzepin

Möglicherweise müssen Sehhilfen wie Brillen oder auch Kontaktlinsen in Zukunft seltener verordnet werden. Ein Augengel zeigte in einer Studie der Phase II erfreuliche Erfolge bei dem Versuch, das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit bei Kindern zu verlangsamen, wie aus einer Pressemitteilung von Novartis hervorgeht. Der dafür verantwortliche Wirkstoff Pirenzepin ist nicht gänzlich unbekannt: als Magen-Darm-Therapeutikum ist er in den Apotheken bereits seit einiger Zeit vertreten. Allerdings müsse die Wirksamkeit bei der Anwendung am Auge noch in weiteren Studien belegt werden, auch hinsichtlich eventueller Nebenwirkungen am Auge gibt es noch keine Langzeiterfahrungen.

Die typische unscharfe Wahrnehmung bei Kurzsichtigkeit (Myopie) resultiert zumeist durch einen zu langen Augapfel. Dadurch wird das Licht schon vor der Netzhaut gebrochen anstatt direkt auf ihr. Allein in den Industriestaaten leiden rund 50 Millionen Kinder und Jugendliche an der Myopie. Da Kurzsichtigkeit auch vererbbar sein könnte, wäre insbesondere eine möglichst frühzeitige, vorbeugende Behandlung bei Kindern wünschenswert, bei denen ein oder beide Elternteile an schwerer Kurzsichtigkeit leiden.

Progression der Kurzsichtigkeit verlangsamt

Erste Erfolge in diese Richtung erzielten Wissenschaftler aus den USA und aus der Schweiz. Sie entwickelten ein ophthalmologisches Gel mit dem Wirkstoff Pirenzepin, welches die Progression der juvenilen Myopie aufhalten soll. Um die Wirksamkeit des Gels zu testen, wurden in den USA 174 Kinder im Alter von acht bis zwölf Jahren in eine doppelblinde, multizentrische Studie der Phase II miteinbezogen. Zweimal täglich wurde bei zwei Dritteln der Probanden das zu untersuchende Gel angewendet, ein Drittel der Betroffenen erhielt ein Plazebo-Gel. Um die Erfolge beurteilen zu können, wurden unter anderem die Sehschärfe und der Pupillendurchmesser der Patienten bestimmt. Die Auswertung der zwölf Monatsdaten ergab, dass das Pirenzepin-Gel die Progression der Kurzsichtigkeit um bis zu fünfzig Prozent zu verringern scheint. Die Nebenwirkungen, wie z. B. Lichtempfindlichkeit, verschwommenes Sehen und lokale allergische Reaktionen, waren in der Regel moderat. Auch in Asien wurde das Gel an 176 Kindern derselben Altersgruppe mit ähnlichen Ergebnissen erprobt.

Ziel der Wissenschaftler ist es, eine vorbeugende oder zumindest möglichst frühzeitige Therapie der Kurzsichtigkeit zu ermöglichen. Dazu wäre jedoch zum Teil eine mehrjährige Behandlung betroffener Kinder und Jugendlicher notwendig, bis das Wachstum der Augen abgeschlossen ist. Sollte sich das Augengel tatsächlich durchsetzen, wäre dies ein völlig neuer Therapieansatz um der progressiven Myopie zu begegnen. Der Pharmakonzern Novartis Ophtalmics, dem die Rechte für die Weiterentwicklung des Pirenzepin-Gels obliegen, plant noch für dieses Jahr den Beginn von großangelegten Phase III-Studien.

Wirkmechanismus von Pirenzepin

Der Wirkmechanismus von Pirenzepin in diesem Zusammenhang ist noch nicht vollständig geklärt. Die Wissenschaftler vermuten, dass durch Pirenzepin das Längenwachstum des Auges gebremst wird. Auch für Atropin gibt es Daten, die dessen Wirksamkeit bei der Myopie belegen. Die Nebenwirkungen waren jedoch zu ausgeprägt, um Atropin für diese Indikation wirklich einsetzen zu können. Wie Atropin antagonisiert auch Pirenzepin kompetitiv die muskarinischen Acetylcholinrezeptoren. Anders als das unspezifische Atropin hat Pirenzepin jedoch eine besonders hohe Affinität zu muskarinischen M1-Rezeptoren. Dies ist auch ein Grund für die schwächeren Nebenwirkungen verglichen mit dem Atropin.

Für völlig anders geartete Indikationen findet Pirenzepin (Gastrozepin®, Gastricur®, Ulcoprotect®) in der Gastroenterologie bereits seit einiger Zeit Anwendung. Die Antagonisierung von M1-Rezeptoren befähigt Pirenzepin, die Magensäuresekretion zu hemmen. Der Wirkstoff ist somit in der Lage, zur Heilung des Ulcus ventriculi und Ulcus duodeni beizutragen. Auch eingesetzt wird Pirenzepin unter anderem zur Prophylaxe und Therapie gastrointestinaler Nebenwirkungen bei der Gabe antiphlogistischer bzw. antirheumatischer Substanzen. ah

Literatur Pressemitteilung der Novartis International AG vom 8. Januar 2003. www.medaustria.at: Ophthalmisches Gel gegen juvenile Myopie. Phpd 4/03 vom 29. Januar 2003

Möglicherweise müssen Sehhilfen wie Brillen oder auch Kontaktlinsen in Zukunft seltener verordnet werden. Ein Augengel zeigte in einer Studie der Phase II erfreuliche Erfolge bei dem Versuch, das Fortschreiten der Kurzsichtigkeit bei Kindern zu verlangsamen, wie aus einer Pressemitteilung von Novartis hervorgeht. Der dafür verantwortliche Wirkstoff Pirenzepin ist nicht gänzlich unbekannt: als Magen-Darm-Therapeutikum ist er in den Apotheken bereits seit einiger Zeit vertreten.

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