Feuilleton

Blume des Jahres 2003: Die Kornrade

Die Stiftung "Natur und Pflanzen" hat die Kornrade zur Blume des Jahres 2003 gewählt. Die Kornrade (Agrostemma githago) war früher ein häufiges Ackerunkraut. Doch die moderne Landwirtschaft hat sie verdrängt, und zwar nicht nur aus ökonomischen, sondern auch aus gesundheitlichen Gründen, denn die Kornrade ist giftig.

Begleiterin des Ackerbaus

Loki Schmidt von der Stiftung Natur und Pflanzen beschreibt die Blume wie folgt: "Die Kornrade steht für einen Lebensraum und für eine Pflanzengesellschaft, die es in Deutschland kaum noch gibt und die man nur museal erhalten kann. Es handelt sich um die Ackerbegleitflur oder Ackerrandgesellschaft, wissenschaftlich Segetalflora genannt. Außer der Kornrade gehören dazu Klatschmohn, Kornblume, Rittersporn, gelbe Wucherblume und viele weniger auffällige Pflanzen. […]

Sie sind erst lange nach der letzten Eiszeit, vor etwa 6000 Jahren mit den ersten Ackerbauern eingewandert. Die Ackerbauern mussten erst einmal die Wälder roden, in denen die damaligen Einwohner als Sammler und Jäger lebten. Der Feldanbau entstand – zum ersten Mal in der Geschichte Mitteleuropas – durch Zerstörung der ursprünglichen Natur. [...]

Die Neuankömmlinge legten kleine Getreidefelder an. Ihr Saatgetreide, primitive Kornarten wie Einkorn oder Emmer, aber auch Linsen, Erbsen und Lein, brachten sie aus ihren Ursprungsgebieten aus Vorderasien mit. Zwischen den Samen waren aber auch viele Ackerwildkräuter, die es bisher in Mitteleuropa nicht gegeben hatte, die sich aber schon lange dem Rhythmus der Feldbestellung angepasst hatten. Sie hatten gelernt, auf dem umgebrochenen Feld mit dem Getreide zu keimen, im Schutz des Getreides zu wachsen und zu reifen, sodass mit den Feldfrüchten zusammen auch die Samen der Ackerbegleitflora geerntet wurden."

Ausbreitung durch Anpassung

Die Kornrade, die zu den Nelkengewächsen (Caryophyllaceae) zählt, stammt wahrscheinlich aus dem Vorderen Orient und gilt in Zentraleuropa als Archäophyt, das heißt, als vor langer Zeit eingeschleppte Pflanze. Sie konnte mit der Einführung des Ackerbaus hier Fuß fassen und war spätestens seit dem frühen Mittelalter eine der häufigsten Segetalpflanzen in Getreidefeldern.

Im Laufe der Jahrhunderte haben sich die Samen der Größe der Getreidekörner angepasst. Aufgrund dessen haben die Bauern die Samen der Kornrade unfreiwillig zusammen mit der Getreidesaat regelmäßig wieder ausgesät, sodass sie sich mühelos verbreitete. Durch sinkende Keimtemperaturen passte sie sich weiter perfekt den Wuchsbedingungen der Wintergetreide an. Vor allem im Roggen fühlte sie sich wohl. Bis in die 60er-Jahre fand man sie dort neben vielen anderen Wildkräutern häufig. Heutzutage entfernt die Saatgutreinigung den Kornradesamen vollständig aus dem Getreide. Das ist auch aus gesundheitlichen Gründen notwendig, denn die Pflanze ist in allen Teilen und vor allem in den Samen stark giftig.

Eine alte Arzneipflanze

Seit dem Mittelalter wurde Kornradesamen (Semen Agrostemmae) äußerlich zur Behandlung von Geschwüren, Fisteln, Hämorrhagien und sogar innerlich bei Gastritis, Husten und als Anthelminthikum angewendet. Ob sie mit der bereits im Altertum als Melanthium bekannten Droge identisch ist, ist nicht sicher. Seit Ende des 18. Jahrhunderts ist die Droge aus dem Arzneischatz weitgehend verschwunden. Auch in der Homöopathie spielt sie nur eine geringe Rolle; eine Monographie fand sich im HAB von 1934, fehlt aber im aktuellen HAB 2002; die Aufbereitungsmonographie der Kommission D des BGA datiert von 1986.

Das Gift im Samen

Für die Giftigkeit der Kornrade sind wahrscheinlich Triterpensaponine verantwortlich: das glucuronsäurehaltige Githagin und das Tetraglykosid Githagosid (mit Fucose, Rhamnose, Glucose, Xylose), die beide als Aglykon Gypsogenin (syn. Githagenin) enthalten; als weiteres Aglykon der Saponine wurde Quillajasäure nachgewiesen. Den höchsten Gehalt an Saponinen haben die Samen mit bis zu 7%. Da die Inhaltsstoffe noch nicht eingehend toxikologisch unersucht worden sind und zudem sehr stark variieren, kann keine Letaldosis des Samens angegeben werden. Nach Resorption wirken die Gifte auf das Zentralnervensystem und den Herzmuskel. Es kann auch zur Hämolyse kommen.

Als Vergiftungserscheinungen werden genannt: Schleimhautreizung, Kratzen in Mund und Rachen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Kopfschmerzen, Schwindel, Krämpfe, Tachykardie. Bei tödlichen Vergiftungen folgen komatöses Festliegen, Hypothermie, Kreislaufversagen und Atemlähmung.

Volkstümliche Namen

Die Kornrade hat viele Namen wie Rade, Raad, Ratt, Roggen-Rose, Ackerrade, Kornnelke, Kornrose oder Radenbleamer. Im Niederdeutschen nennt man sie auch Klockenblome, im Rheinischen Pisspöttken. Französisch: Nielle des champs, Nielle des bl&eaute;s, Oillet des champs, Gerzeau; italienisch: Gittaione, Mazzetone; englisch: Corn cockle.

Stiftung Natur und Pflanzen

Die Stiftung Naturschutz Hamburg und Stiftung zum Schutze gefährdeter Pflanzen (kurz: Stiftung Natur und Pflanzen) ist eine Stiftung bürgerlichen Rechts mit Sitz in Hamburg. Sie entstand durch die Fusion der Stiftung Naturschutz Hamburg (als Hamburgische Landesstiftung 1985/86 gegründet) und der 1979 vom heutigen Vorstandsmitglied Loki Schmidt ins Leben gerufenen Stiftung zum Schutze gefährdeter Pflanzen, deren Vorläufer, das Kuratorium zum Schutze gefährdeter Pflanzen, bereits seit 1976 tätig war.

Nützliche Pflanze

Die Kornrade ist nützlich als

  • Zierpflanze in Staudenrabatten, z. B. mit Ziergräsern, Storchenschnabel,
  • Bestandteil der Flora auf Ackerbrachen oder Ackerrandstreifen,
  • Zwischenfrucht in Gärten und im Ackerbau, denn sie wirkt besonders gegen Rübenzystenälchen und verbessert den Boden (Gründüngung).

Die Blumen des Jahres

2002 Hain-Veilchen – Viola riviniana 2001 Blut-Storchschnabel – Geranium sanguineum 2000 Purpurblauer Steinsame – Lithospermum purpurocaeruleum 1999 Sumpfdotterblume – Caltha palustris 1998 Krebsschere, Wasseraloe – Stratiotes aloides 1997 Silberdistel – Carlina acaulis 1996 Küchenschelle, Kuhschelle – Pulsatilla vulgaris 1995 Trollblume – Trollius europaeus 1994 Breitblättr. Knabenkraut – Dactylorhiza majalis 1993 Schachbrettblume – Fritillaria meleagris 1992 Rundblättr. Sonnentau – Drosera rotundifolia 1991 Rosmarinheide – Andromeda polifolia 1990 Sandknöpfchen – Jasione montana 1989 Karthäuser-Nelke – Dianthus carthusianorum 1988 Sumpf-Calla, Drachenwurz – Calla palustris 1987 Stranddistel – Eryngium maritimum 1986 Arnika – Arnica montana 1985 Wald-Akelei – Aquilegia vulgaris 1984 Sommer-Adonisröschen – Adonis aestivalis 1983 Wildtulpe – Tulipa sylvestris 1982 Rotes Waldvögelein – Cephalanthera rubra 1981 Gelbe Narzisse – Narcissus pseudonarcissus 1980 Lungen-Enzian – Gentiana pneumonanthe

Internet

  • Stiftung Naturschutz Hamburg und Stiftung zum Schutze gefährdeter Pflanzen www.stiftung-naturschutz-hh.de
  • Giftpflanzendatenbank für die Veterinärmedizin der Universität Zürich www-vetpharm.unizh.ch/giftdb www.awl.ch/heilpflanzen/agrostemma_githago/
  • Kleines Arzneipflanzenlexikon-Register von Priv.-Doz. Dr. Thomas Schöpke http://pharm1.pharmazie.uni-greifswald.de/systematik/1_ti_reg/reg-arzn.htm
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