Kommentar

Pustekuchen

Als "vollen Erfolg für die Bundesregierung und die Gesundheitsreform" bezeichnet die Pressestelle von Ulla Schmidt das DocMorris-Urteil des Europäischen Gerichtshofs. Diese Einschätzung ist ein Meisterwerk der selektiven Wahrnehmung. Denn immerhin haben die europäischen Richter den Schmidts, Koenigs, Glaeskes und Hebels ins Stammbuch geschrieben, dass der Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (über 70 % des Apothekenumsatzes in Deutschland) auch unter europarechtlichen Gesichtspunkten ohne Wenn und Aber verboten werden darf (bzw. verboten bleiben dürfte). Allein der Versand anderer apothekenpflichtiger Arzneimittel kann nicht generell untersagt werden. Wer erinnert sich nicht noch an die Sorgenmiene unserer Ministerin, die suggerieren sollte, mit den ab 1. Januar 2004 geltenden Regelungen ohnehin nur den "zwingenden Vorgaben aus Luxemburg und Brüssel" Genüge zu tun? Was hatten wir nicht alle das Gras wachsen hören.

Pustekuchen. Andere EU-Gesundheitsminister stehen jetzt cleverer da: Sie können Inhalt und Umfang ihres nationalen Versandhandels europarechtlich zielgenau justieren (zum Beispiel den Versand verschreibungspflichtiger Arzneimittel ausnahmslos verbieten und den Versandhandel mit anderen apothekenpflichtigen Arzneimitteln differenziert regeln). Und die Gewinner bei diesem Spiel über die Grenzen sind jene ausländischen Apotheken, denen es ab Januar erlaubt ist, ungeachtet der Rechtslage in ihrem eigenen Land verschreibungspflichtige Arzneimittel nach Deutschland zu versenden. Die deutschen Gesetze lassen dies jetzt zu.

Als Europas regelungswütiger Musterschüler scheinen wir wieder einmal mächtig über das Ziel hinaus geschossen zu sein: Obwohl ein Verbot weiterhin erlaubt wäre, dürfte grenzüberschreitender Versandhandel mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln alsbald tatsächlich stattfinden - allerdings recht einseitig nach, nicht aus Deutschland. Hat hier jemand etwas von "Mehr Wettbewerb wagen" und "Förderung des Mittelstandes" gesagt?

Reinhild Berger

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