Diskussionsrunde von Ärzten und Apothekern: Wenn Liberalisierung im Gesundheits

Frankfurt (ri). Bei einer gemeinsam von Ärzten und der Landesapothekerkammer Hessen (LAK) ausgerichteten Veranstaltung am 22. Januar in Frankfurt am Main wurde die Frage der Veranstaltung, nämlich "Gesundheitswesen in Not Ų haben die Parteien Rezepte?" erwartungsgemäß uneinheitlich beantwortet. Einigkeit herrschte jedoch in dem Befund, dass eine "radikale" Strukturreform aufgrund der Notlage kommen müsse; mehrfach war die Rede von einem zweiten "Lahnstein", um über die Parteigrenzen hinweg Kompromisse für ein tragfähiges Konzept zu finden. Auffällig: Der SPD-Politiker Hans Michael Maus scheint in Sachen Versandhandel kein so enthusiastischer Befürworter wie Ulla Schmidt zu sein.

Im Zusammenhang mit dem durch das Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) zu befürchtenden Personalabbau vermeldete die Präsidentin der LAK, Dr. Gabriele Bojunga, dass in Hessen in den ersten Januarwochen schon sechs Apotheken geschlossen wurden und weitere Schließungen zu befürchten seien. Unter dem Stichwort Liberalisierung des Arzneimittelmarktes und Änderung des Apothekenrechtes bzw. der Einführung des Internet-Versandhandels berichtete Bojunga von einer interessanten Entwicklung in den USA: Dort werden die Konsumenten von der "Food and Drug Administration (FDA)" vor dem Kauf bestimmter Medikamente über das Internet gewarnt, da mangels Kontrolle "ein erhöhtes Risiko von gefährlichen Nebenwirkungen" bestehe. Das in Deutschland von den Apothekern entwickelte Home-Service-System sei dem normalen Versandhandel "qualitätsmäßig" überlegen.

Von Luftnummern und Einsparpotenzialen

Scharfe Worte fand Bojunga im Hinblick auf eine drohende Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes, da dies mittelfristig "zu einer Enteignung des selbstständigen Individualapothekers und Bildung von Oligopolstrukturen auf der Apothekenebene" führe. Als einen Grund, warum die Arzneimittelkosten so hoch erscheinen, gab die Berufspolitikerin das Fehlen "eines Preisbildungsgesetzes in Form einer vierten Zulassungsstufe, die die Herstellerabgabepreise reglementieren würde", an. Bojunga bekundete ihr Unverständnis darüber, dass die Mehrwertsteuer auf Medikamente 16 Prozent betrage, diejenige für Süßigkeiten jedoch nur 7 Prozent.

Mit dem Blick auf unsere europäischen Nachbarn, deren Mehrwertsteuersatz zwischen 0 und 7 Prozent liegt, schlussfolgerte die Präsidentin: "Würde bei uns die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel im europäischen Raum harmonisiert und damit halbiert, würden die Gesetzlichen Krankenkassen über Nacht 1,5 Milliarden Euro einsparen!" Die viel zitierte Arzneimittelpreisverordnung sei "eine Luftnummer", da die garantierten Aufschläge im Nachhinein "durch Rabatte von oben konterkariert" würden. Die vom Verordnungsgeber durchaus akzeptierte Mischkalkulation werde heute durch die Marktentwicklung überstrapaziert: "Dies führt zu selektiven Begehrlichkeiten in den ertragreichen Marktsegmenten oder zu gesetzlichen Maßnahmen, nämlich erhöhtem Abschlag, ohne die Gesamtertragslage der Apotheke zu berücksichtigen." Vor diesem Hintergrund stelle sich die Frage, "ob es nicht Sinn macht, grundsätzlich neu über die Honorierung der Apotheker nachzudenken", so die Präsidentin. Die Lösung sollte weniger unter kaufmännischen, sondern mehr unter heilberuflichen Aspekten gesucht werden.

Auch auf der Seite der Ärzte wurde bemängelt, dass die Betonung des ökonomischen Aspekts im Vordergrund stehe und dass dies zu Lasten der Patienten gehe. So beklagte Dr. Hans-Friedrich Spies, 1. Vorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, dass der Arzt mit der Richtgröße "sein auf Heilung ausgerichtetes Arzt-Patienten-Verhältnis zur ökonomischen Steuerung der begrenzten Gesamtvergütung benutzen" solle. Rationierungen sollen seiner Ansicht nach den Bürgern gegenüber vertuscht werden. Spies kritisierte auch die ersten Ansätze der in Umrissen erkennbaren Gesundheitsreform: Es sei ein "Hauptfehler, Einnahmen und Ausgaben nicht in einem Guss zu verabschieden". Wegen der Lobby der Gewerkschaften zögere die Regierung die "dringliche Korrektur der Einnahmenseite hinaus", so der KV-Vorsitzende.

Während der Moderator der Veranstaltung, Dr. Alfred Möhrle, Präsident der Landesärztekammer Hessen, die geplante Nullrunde als "Minusrunde" einstufte, hätte Dr. Michael Frank, Präsident der Landeszahnärztekammer Hessen, "nichts gegen eine Nullrunde einzuwenden, wenn ich nur wüsste, wofür!" Nach Einschätzung von Frank wird am Ende des Jahres nämlich deutlich werden, dass eine Nullrunde "nichts bringt". Der Zahnarzt-Vertreter plädierte für eine Selbstbeteiligung der Patienten und forderte in diesem Zusammenhang Festzuschüsse anstelle prozentualer Zuschüsse. Festzuschüsse seien ein "ideales Steuerungs- instrument". Obwohl Frank nach eigenem Bekunden Querdenker schätzt, hält er Ministerin-Berater Lauterbach "für einen Rasputin im BMGS", der keinen heilvollen Einfluss habe. Diese Bemerkung wurde von einem Großteil der Anwesenden mit zustimmendem Raunen quittiert.

Kein Dirigismus

Weitgehend unzufrieden mit der jetzigen Situation zeigten sich auch die Politiker. So konstatierte Martina Leistenschneider, Gesundheitspolitische Sprecherin der hessischen CDU, dass das Gesundheitswesen ein Pflegefall geworden sei: "Die GKV ist in einem desolaten Zustand, die Versorgung der Patienten wird immer schlechter, die Ärzte sind frustriert und die Beiträge sind gestiegen." Als Lösungsvorschlag anstelle der "Planwirtschaft" sollten folgende Punkte umgesetzt werden: Der Patient müsse im Mittelpunkt stehen und mit der freien Arztwahl eine "exzellente Versorgung" erhalten. Nach Ansicht von Leistenschneider sollte ferner mehr Prävention per Bonuspunkte betrieben und mit Patientenquittung und Chipkarte (Vermeidung von Doppeluntersuchungen) für Transparenz gesorgt werden. Weiterhin sollten im Hinblick auf die Krankenkassen mit höheren Beiträgen mehr Leistungen erbracht werden, bzw. es müsste möglich sein, durch Selbstbeteiligung eine Reduzierung der Beiträge zu erreichen. Schließlich möchte die CDU-Politikerin die Arbeitsbedingungen für das Personal im Gesundheitswesen verbessern und endlich "Schluss machen mit den Verschiebebahnhöfen".

Nach Überzeugung des hessischen FDP-Fraktionsvorsitzenden Jörg-Uwe Hahn ist "die Gestaltung der Wahlleistungen" bzw. die Abschaffung des Sachleistungsprinzips von zentraler Bedeutung. So sollte der Arbeitgeberanteil direkt an den Arbeitnehmer ausgezahlt werden, so dass dieser bei freier Kassen-Wahl auch Tarife mit unterschiedlichen Optionen wählen kann. Der FDP-Mann wies auch auf soziale Aspekte hin: Neben dem Erhalt von Kernleistungen müssten auch Härtefälle berücksichtigt werden.

Hans Michael Maus, Mitglied im Sozialausschuss der SPD im hessischen Landtag, beklagte sich, dass bei der Gesundheitspolitik auch in den eigenen Reihen "jeden Tag etwas anderes aus dem Hut gezogen wird". An die Adresse der CDU gewandt wies er darauf hin, dass "eine exzellente Versorgung etwas subjektiv zu Definierendes ist". Anstelle eines Bonus-/Malussystems befürwortet er eine höhere Besteuerung von Alkohol und Tabak. Schließlich seien Kranke nicht in der Lage, einen Bonus zu nutzen, und müssten so die Gesunden mitfinanzieren. Anscheinend anderer Meinung als Ulla Schmidt zeigte sich Maus in Sachen Internet-Versandhandel: Nach seiner Ansicht kann es nicht sein, dass die Versandhändler "nur lukrative Medizin" im Sortiment haben. "Da muss man noch sehen, wie wir das auf die Reihe bekommen", sagte der SPD-Politiker. Grundsätzlich müsse "alles auf den Prüfstand".

Bei der abschließenden, lebhaften Diskussion wies LAK-Präsidentin Bojunga darauf hin, dass, wer ständig von Liberalisierung spreche, das Thema "Freiheit" auch konsequent verfolgen müsse: "Als Apothekerin möchte ich dann auch nicht mehr in das Korsett der Apothekenbetriebsordnung eingebunden sein und möchte beispielsweise die Größe meiner Apotheke selbst bestimmen. Auch uneingeschränkte Werbung usw. muss dann möglich sein." Freiheit dürfe nicht einseitig verstanden werden.

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