BSSichG: Bundesverfassungsgericht lehnt Eilanträge gegen Zwangsrabatte ab

(ks). Die im Beitragssatzsicherungsgesetz (BSSichG) geregelten Staffelrabatte für Apotheken und der dreiprozentige Großhändlerrabatt werden vorerst Bestand haben: Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat die Eilanträge von vier Apothekern und dem Pharma-Großhandelsunternehmen GEHE auf Erlass einstweiliger Anordnungen gegen das In-Kraft-Treten des Gesetzes mit Beschlüssen vom 15. Januar 2003 abgelehnt. Auch ein Antrag der Zahntechniker, der sich gegen die Absenkung der Höchstpreise für abrechnungsfähige zahntechnische Leistungen um fünf Prozent wandte, hatte keinen Erfolg. Dies wurde am 22. Januar bekannt gegeben.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 15. Januar 2003, Az.: 1 BvQ 53/02 (Apotheker); Beschluss vom 15. Januar 2003, Az.: 1 BvQ 54/02 (Großhändler); Beschluss vom 14. Januar 2003, Az.: 1 BvQ 51/02 (Zahntechniker)

Die Bundesverfassungsrichter hatten sich bei ihrer Entscheidung nicht mit der etwaigen Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Gesetzesregelungen zu beschäftigen - dies bleibt den nun anstehenden Hauptsachverfahren, den Verfassungsbeschwerden, vorbehalten. In einem Eilverfahren vor dem höchsten deutschen Gericht muss hingegen eine Folgenabwägung vorgenommen werden: Hat das gemeine Wohl (in Gestalt der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)) schwere Nachteile zu erleiden, wenn einzelne Vorschriften des BSSichG vorläufig außer Kraft gesetzt werden, die sich im späteren Hauptsacheverfahren jedoch als verfassungskonform erweisen? Oder wiegen die Nachteile der betroffenen Apotheker, Großhändler und Zahntechniker schwerer, wenn die jeweiligen Reglungen vorerst in Kraft bleiben, aber im weiteren Verfahren für verfassungswidrig erklärt werden?

Die Karlsruher Richter haben entschieden: Was die Rabattreglung für die Apotheker betrifft, so würden der GKV - ausweislich der Gesetzesmaterialien - 350 Mio. Euro fehlen, würde sie nun außer Kraft gesetzt, später aber für mit dem Grundgesetz vereinbar befunden. Dies, so der Senat, sei ein Betrag, der weder mit den bisher vorgenommenen noch mit beabsichtigten Beitragserhöhungen aufgefangen werden könne - und damit ein schwerer Nachteil für das gemeine Wohl. Auch wenn dieser Teilbetrag des anvisierten Gesamt-Einsparvolumens im Verhältnis zu diesem nicht besonders hoch sei, so könne er doch nicht anderweitig kompensiert werden. Erst die Gesamtsumme des auf die verschiedenen Leistungserbringer verteilten Sparvolumen könne der GKV diejenige finanzielle Stabilität geben, die sie bis zu einer Strukturreform brauche. Allen Einzelmaßnahmen komme daher im Hinblick auf das Gemeinwohl gleich große Bedeutung zu. Insoweit sah der Senat auch in Beschlüssen zu den Großhändlern und Zahntechnikern die Nachteile des Gemeinwohls als so schwerwiegend an, dass er die Anträge zurück wies. Im Folgenden soll jedoch nur der gegen die Apotheker ergangene Beschluss näher beleuchtet werden.

Befürchtete Umsatzrückgänge zu ungewiss

Der Senat konnte nicht erkennen, dass den Apothekern oder dem gemeinen Wohl ähnlich schwere Nachteile drohten, würde das Gesetz nun in Kraft bleiben, später jedoch für verfassungswidrig erklärt werden. In ihrem Beschluss führen die Bundesverfassungsrichter zwar aus, dass sich im hochpreisigen Marktsegment (ab 54,81 Euro) die Erlöse der Apotheker tatsächlich um ein Drittel bis zur Hälfte reduzieren werden. Allerdings seien in den Anlagen der Antragsschrift keine Angaben darüber enthalten, welchen Anteil dieses Arzneimittelsegment am GKV-Gesamtumsatz der Apotheken ausmache. Aussagekräftige Unterlagen über das Gewicht der durch das BSSichG ausgelösten finanziellen Einbußen der Apotheken lägen mithin nicht vor - und pauschale Durchschnittsberechnungen ließen keine Rückschlüsse zu. Für die Umsatzhöhe seien neben dem Umsatz mit der GKV auch Faktoren wie Lage und Kundenkreis der Apotheke ausschlaggebend. Im Übrigen seien die Zuschläge der Arzneimittelpreisverordnung bei den teureren Medikamenten so bemessen, dass dem Apotheker - auch unter Abzug der Rabatte an die GKV - eine nicht unerhebliche Handelsspanne verbleibe. Angesichts des hohen Ausgangspreises ergäben sich auch absolut und pro Packung noch nennenswerte Einnahmen, so die Richter.

Abwälzung der Großhandelsrabatte auf Apotheken kein schwerer Nachteil

Die Apotheker hätten auch keine schweren Nachteile dadurch zu befürchten, dass die pharmazeutischen Großhändler angekündigt haben, sie würden die sie treffenden Zwangsrabatte mit den bisher den Apotheken gewährten Großhandelsrabatten verrechnen. Wie stark sich ein solches Vorgehen auf die Apotheken auswirkt, hängt davon ab, in welchem Umfang ein Apotheker Umsätze mit der GKV tätigt. Denn die Großhandelsrabatte beziehen sich auf alle Lieferungen - doch nicht jede Lieferung fällt unter die Großhandels-Rabattvorschrift des BSSichG. Auch sonst vermochte das Gericht keine weiteren erheblichen Belastungen für die Apotheker feststellen, zumal die Großhändler beabsichtigten, anstelle der Apotheken weitgehend die mit dem neuen Gesetz verbundenen Berechnungs- und Vorfinanzierungsaufgaben zu übernehmen.

Ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung nicht gefährdet

Obwohl der Senat nicht von der Hand weisen kann, dass die geänderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen Auswirkungen auf einzelne Apotheken haben werden, fiel die Abwägung zu Ungunsten der Apotheker aus. Wie sich letztlich die Lasten des BSSichG verteilen und welchen Anteil des dreiprozentigen Großhändlerrabatts die Apotheken tragen werden, sei noch nicht zuverlässig vorauszusagen, so die Richter. Voraussichtlich werde sich das Gesamtgefüge des Pharmahandels verändern. Selbst wenn die Apothekendichte infolge des Gesetzes zurückginge, so sei damit noch nicht die ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung gefährdet. Derzeit kämen in Deutschland durchschnittlich 27 Apotheken auf 100000 Einwohner - im Jahre 1970 seien es in Westdeutschland noch 18 Apotheken auf 100000 Einwohner gewesen, ohne dass die Versorgung der Bevölkerung gefährdet gewesen wäre.

Die Verfassungsrichter teilen die Einschätzung der Regierung, dass im Arzneimittelsektor ein erhebliches Einsparpotenzial für die GKV liege. Hier seien die Kosten in den vergangenen sechs Jahren überproportional gestiegen - und die Apotheken waren Profiteure. Trotz der Erhöhung des Apothekenrabatts von 5 auf 6 Prozent im vergangenen Jahr, seien die Apotheker von Rückgängen verschont geblieben, die andere Leistungserbringer bereits zu verkraften gehabt hätten.

Und so endet der Beschluss "im Namen des Volkes": "Nach allem sind die Nachteile für Apotheken für den Fall, dass dem Antrag der Erfolg versagt bleibt, zwar nicht unerheblich. Sie haben aber nicht das Gewicht, das erforderlich ist, um ein Gesetz außer Vollzug zu setzen oder sein In-Kraft-Treten zu verhindern".

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