Prognosen für die Zeit nach der Reform: Freie OTC-Preise - nicht auf Billigheim

Düsseldorf (im). Vor einer unsauberen Preiskalkulation bei OTC-Präparaten warnen Ökonomen. Sollten nichtverschreibungspflichtige Arzneimittel in Zukunft aus der Preisbindung fallen, müssen sich gerade in diesem Bereich die Preise rechnen, sagte Dr. Andreas Kaapke vom Institut für Handelsforschung an der Universität Köln. Kaapke appellierte am 3. September auf einer Veranstaltung der Norwima (einer Tochtergesellschaft des Apothekerverbands Nordrhein) in Düsseldorf an die Apotheker, noch mehr das betriebswirtschaftliche Know-how zu steigern. Dort warb Professor Burkhard Strobel von der Fachhochschule Worms für verstärkte Kooperationen unter Apotheken. Sonja Großhans vom Marktforschungsunternehmen IMS Health berichtete von der Entwicklung in Großbritannien, wo nach dem Fall der Preisbindung die Supermärkte zum Teil drastische Preissenkungen vornahmen.

Sinkende Spannen

Wie der Wirtschaftswissenschaftler Dr. Andreas Kaapke ausführte, wird die Selbstmedikation an Bedeutung zunehmen. Der Geschäftsführer des Instituts für Handelsforschung an der Universität Köln verwies auf sinkende Spannen bei rezeptpflichtigen Medikamenten im höherpreisigen Bereich als eine Folge des künftigen Kombimodells bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, sollte die Gesundheitsreform wie angekündigt kommen. Im Gegenzug würden preiswerte rezeptpflichtige Arzneimittel teurer. In seinem Institut wurde berechnet, ab welchem Apothekeneinkaufspreis (EK) der Rohertrag gemessen am jetzigen Zustand sinkt. Im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) liegt der Schnitt bei einem EK von 19,41 Euro, bei darüber liegenden Preisen verschlechtert sich die Situation gegenüber heute, bei der privaten Krankenversicherung (PKV) liegt diese Grenze bei einem EK von 23,82 Euro. Angesichts sinkender Spannen im verschreibungspflichtigen Sektor werden sich Apotheker künftig verstärkt der Selbstmedikation zuwenden, so Kaapkes Prognose.

Bald unverbindliche Preisempfehlung?

Nach Worten des Wirtschaftswissenschaftlers könnte eine Reaktion der pharmazeutischen Hersteller auf die Preisfreigabe bei OTC-Produkten das Einsetzen von "unverbindlichen Preisempfehlungen" - wie im Konsumgüterbereich - sein, um das Festsetzen eigener Preise durch Apotheker zu stoppen. Für den Apothekenkunden wären diese eine Orientierungshilfe und Ausreißer nach oben oder unten in der Offizin direkt sichtbar. Eine Folge könnte sein, so Kaapke, dass sich Eckpreislagen entwickeln, die den Apotheken keine andere Wahl lassen, als sich an diesen vorgegebenen Preisen zu orientieren.

Seinen Worten zufolge werden typische Preisaktionen - wie Sofort-Rabatte, Treuerabatte, Rabattgutscheine oder Jubiläumsverkäufe - bei Arzneimitteln nicht funktionieren. Während die Konsumenten bei bestimmten Konsumgütern wie beispielsweise Kaffee, Hemd oder Bluse bestimmte Preisvorstellungen haben, das Produkt aktiv wollen und auf Anreize wie Rabatte zum Teil mit Bevorratung reagieren, stellt sich die Situation bei Arzneimitteln anders dar, wo der Apothekenkunde aktuell beispielsweise eine Erkältung schnell mit einem Präparat auskurieren will.

Menge kompensiert Billigpreis nicht

Mit einer Vorstellung räumte Kaapke auf. Es sei unrealistisch, bei sinkenden OTC-Preisen auf eine Kompensation durch größere Mengenabgabe zu hoffen, was mit Hilfe einiger Beispielsrechnungen belegt wurde. In jedem Fall müssten die Folgen eigener Preisfestsetzungen in der Apotheke auf den Rohertrag, der sämtliche Kosten der Offizintätigkeit abdecken muss, ermittelt werden.

Liquiditätsfalle

Der Wirtschaftswissenschaftler verwies auf die nötige Langzeitbetrachtung von geplanten Aktionen. Hat sich ein Apotheker zu einer Sonderverkaufsaktion entschlossen, steigt in der Zeit zwar die zusätzlich abverkaufte Menge, in der Folgezeit sinkt jedoch womöglich der reguläre Verkauf. Wird der Umsatz stark eingeschränkt, kann die daraus resultierende Handelsspanne womöglich nicht einmal die Personalkosten decken, der Gewinn aus der Sonderverkaufsaktion muss dann ausreichend hoch sein, um nicht in die Liquiditätsfalle zu geraten.

Negativ: Billigheimer

Mehr Gefahren als Chancen sah Kaapke bei der Vorstellung stark abgesenkter OTC-Preise. Locke man damit neue Kunden an, über die die bisherige Kundschaft die Nase rümpfe, verprellt man die Stammkundschaft, die sich abwendet, verliert aber auch die neuen Kunden, die sich sofort als Schnäppchenjäger neue Apotheken mit noch billigeren Angeboten suchten.

Gegen Aktionismus

Insgesamt bewertete Kaapke zu viele Sonderaktionen negativ für Apotheken. Biete man regelmäßig Sonderverkäufe an, warte der Kunde anschließend darauf, Sonderaktionen lösten ungewollt den regulären Geschäftsbetrieb ab.

Ruinöser Wettbewerb

Ein ruinöser Wettbewerb drohe schließlich durch geänderte Preiswahrnehmung beim Kunden, wenn alle Apotheken auf billige OTC-Preise setzten. Dann entwickele der Apothekenkunde eine bestimmte Preisvorstellung, die den bisherigen Preis als zu hoch erscheinen lasse mit einem steigenden Margendruck als Folge. Apotheker sollten bei der Preisfindung bei Selbstmedikationspräparaten nach betriebswirtschaftlichen Kriterien vorgehen und sauber kalkulieren, weil sich hier die Preise rechnen müssten, meinte Kaapke.

In diesem Zusammenhang prognostizierte Harald Jediss vom Unternehmen Procter & Gamble, der unter anderem Wick Pharma vertrat, doch sinkende OTC-Preise im Apothekenbereich. Seiner Meinung nach wird es dazu kommen, allerdings seien keine Erdrutsche zu erwarten. Der Preis spiele bei nichtverschreibungspflichtigen Präparaten nur eine untergeordnete Rolle, was Erhebungen gezeigt hätten, denen zufolge Apothekenkunden nach dem Kauf eines Präparats den Preis außerhalb der Apotheke anschließend nicht abgespeichert hatten.

England: Preissenkungen brachten nichts

Die Ökonomin Sonja Großhans von IMS Health, die unter anderem europäische Betriebswirtschaft studierte, berichtete von Entwicklungen nach Fall der Preisbindung in Großbritannien ab Mai 2001. Laut Großhans konnten in einigen wichtigen OTC-Bereichen die Supermärkte nach teils aggressiver Preissenkung zwar mengenmäßig zulegen, nicht aber wertmäßig. Das Mengenwachstum sei durch die Preisrückgänge kompensiert worden. Wertmäßig hätten dagegen die Apotheken in Großbritannien ihre Marktanteile verteidigen können, da sie ganz überwiegend ihre Preise stabil hielten.

Insgesamt kauften die Verbraucher auf der Insel nicht mehr an OTC-Präparaten, sagte Großhans übereinstimmend mit Kaapke, da es sich bei Arzneimitteln um einen akuten, begrenzten Bedarf handele, anders als bei Konsumgütern. Allerdings seien die Märkte in Großbritannien und Deutschland sehr unterschiedlich, da die zuständige britische Agentur bei der Zulassung freiverkäuflicher Arzneimittel liberal verfahre und diese Produkte daher verstärkt auch in Supermärkten zu finden seien. In Deutschland seien vor allem Gesundheitsmittel Hauptumsatzträger in den Drogeriemärkten und Co. Bekanntlich existieren in Großbritannien Apothekenketten, die ebenfalls Preisaktionen durchführten.

Nicht über Preis profilieren

Auch Großhans prognostizierte durch große Preissenkungen bei OTC keine positiven Auswirkungen. Die Mengeneffekte würden voraussichtlich durch die sinkenden Margen aufgefressen. Sie hielt eine Profilierung nicht über den Preis, sondern eher durch mehr Beratung, Aktionen für innovative Produkte oder eine optimierte Freiwahl für erfolgversprechend.

Kooperationen für Apotheken

Für ein offensives Herangehen an Kooperationen sprach sich Professor Burkhard Strobel von der Fachhochschule Worms aus, da Apotheken viel von anderen Verbünden lernen könnten und allein wegen der nicht ausreichenden Größe gegen aggressivere Wettbewerber keine Chance hätten. Grundsätzlich hat die bisher mittelständische Apotheke nach Ansicht des Wissenschaftlers als zumeist Kleinunternehmen gegenüber anderen, zum Teil großen Marktpartnern Defizite und dadurch Nachteile im Wettbewerb. Allein von der Größe einer Apotheke bleibe in der Regel keine Zeit und fehle Know-how für systematische Kostenrechnung ebenso wie für entsprechende Marktauftritte. Im Zusammenhang mit künftig möglicherweise erlaubtem Versandhandel nannte Strobel Großunternehmen wie die Post oder Bertelsmann.

Ja zu Verbünden

Mehr Kooperationen unter Apotheken hielt Strobel für unabdingbar, wobei etwa Abschied genommen werden müsse vom Denken an die Kollegen, da diese künftig ebenso Wettbewerber für die eigene Apotheke seien wie die Konkurrenten Großapotheke oder große Filialisten. Dabei sollten sich Pharmazeuten vom Reizwort der Kette gedanklich lösen, Kooperationen seien im Gegensatz dazu freiwillige vertragliche Vereinbarungen selbstständiger Unternehmen, um die Ziele der Mitglieder zu fördern. Aufgezählt wurden völlig unterschiedliche Formen wie zum Beispiel die eher losen Erfa-Gruppen mit ihrer langen Tradition im Apothekensektor, lokale Netzwerke, Marketing-Gemeinschaften, Einkaufsverbünde oder Franchise-Unternehmen, letztere mit hoher Bindungsintensität.

Positiv äußerte sich Strobel etwa über lokale Netzwerke, die sich mit einer Apotheke im Zentrum etwa als Gesundheitszentren oder Service-Netze präsentierten. Bei den Marketing-Gemeinschaften wie parmapharm oder MVDA konstatierte er derzeit viel Bewegung im Markt, zunehmend bildeten sich Einkaufspools. Bei Einkaufsverbünden erinnerte er an die Anfänge von Genossenschaften wie der Noweda oder Sanacorp unter den Großhandlungen. Allerdings sei es kaum nachzuvollziehen, dass die Apotheker, die Anteilseigner an ihrer Genossenschaft sein könnten, sich nicht stärker an "ihre" Großhändler bänden, sondern die freie Wahl des Großhändlers aufrechterhielten. Dies sei in anderen Handelsbereichen völlig anders.

Franchise - eine Vision?

Strobel bezeichnete in seinem Vortrag das Franchise-System als visionär für Apotheken. Hier werde Arbeitsteilung praktiziert, sodass sich Pharmazeuten etwa auf ihre Kernkompetenzen Kundenberatung und pharmazeutische Betreuung konzentrieren könnten. Umfassende Leistungen seien bei zugleich gemeinsamem Marktauftritt möglich. Oft seien Franchise-Unternehmen wegen der höheren Motivation der Franchise-Nehmer erfolgreicher als Ketten, was die Beispiele McDonald oder body shop zeigten.

Was tut der Großhandel?

Nach Worten von Strobel muss der pharmazeutische Großhandel künftig entscheiden, ob er entweder Partner einer Kooperation mit Apotheken oder Träger einer solchen Kooperation sein wolle. Dass der pharmazeutische Großhandel analog zu anderen Einzelhandelsformen künftig quasi ausgeschaltet werden könne, glaubt der Wormser Professor im Übrigen nicht. Durch optimierte Prozesse sei der Pharma-Großhandel dagegen gefeit, völlig übergangen zu werden.

Aus Industrie-Sicht bergen Apotheken-Kooperationen demnach einige Risiken wie Nachfrage bei den Bezugskonditionen bei entsprechender Umsatzbündelung oder dem Wunsch nach zusätzlichen Leistungen etwa in der Logistik oder bei der Verkaufsförderung. Chancen für die pharmazeutische Industrie seien gleichwohl verlässliche Absprachen sowie das Etablieren einer Gegenmacht zu Großformen der "big player". Gegenmacht könne im Mittelstand nur über Kooperationen gebildet werden, davon zeigte sich Strobel überzeugt.

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