Gesundheitskonsens: Schmidt und Seehofer verteidigen Konsens-Eckpunkte

Berlin (ks). Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, Unions-Fraktionsvize Horst Seehofer sowie ihre Kolleginnen und Kollegen aus der Konsensrunde mussten sich in der vergangenen Woche viel Kritik anhören. Gewerkschaften, Sozial- und Verbraucherverbände machten sich ebenso Luft wie Mitstreiter aus den eigenen Reihen: Die Eckpunkte zur Gesundheitsreform seien sozial unausgewogen und belasteten vornehmlich Versicherte und Patienten, nicht jedoch die Leistungserbringer. Zudem handle es sich mehr um ein "Reförmchen" denn um eine echte Strukturreform. Schmidt und Seehofer wurden unterdessen nicht müde, ihren Konsens zu verteidigen.

Die stellvertretende Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Ursula Engelen-Kefer begrüßte zwar grundsätzlich, dass ein parteiübergreifender Konsens gefunden wurde. Zufrieden sei der DGB allerdings nicht. Verständigt habe man sich lediglich auf einen Minimalkonsens, der den Namen Reform nicht verdiene. Vor allem den Bürgern werde tief in die Tasche gelangt, so die DGB-Vize am 22. Juli in Berlin. "Die Unterhändler in der Konsensrunde sind vor den Lobbyisten im Gesundheitswesen eingeknickt." Der von Schmidt eingeschlagene "mutige Weg" zur Stärkung des Wettbewerbs sei von den Oppositionsparteien blockiert worden.

Sozialverband: Eckpunkte sind Zumutung für Kranke

Walter Hirrlinger, Präsident des Sozialverbandes VdK Deutschland, wertete die Eckpunkte als "Abzockerei der Patienten". Sie seien eine Zumutung für Rentner, chronisch Kranke und behinderte Menschen. Als weitere Kritikpunkte nannte er die geplante Ausgliederung des Zahnersatzes, den Verzicht auf die Positivliste und die Abstandnahme von Einzelverträgen zwischen Kassen und Ärzten.

"Kein großer Wurf" lautete das Fazit des Verbraucherzentrale-Bundesverbandes (vzbv). "Die Beitragsentlastungen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gehen zu großen Teilen zu Lasten der Patienten, Versicherten und Steuerzahler", erklärte vzbv-Vorstand Edda Müller. Sie kritisierte vor allem die erhöhten Zuzahlungen, die jedoch nur eine begrenzte Steuerungsfunktion hätten. Bedauerlich sei das Aus für die Positivliste. Hier sei eindeutig die Pharmalobby bedient worden. Positiv bewertete der vzbv hingegen die Finanzierung der gesellschaftspolitischen Leistungen über die Erhöhung der Tabaksteuer sowie den Ausbau der Patientenbeteiligung.

Kritische Sozialdemokraten

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Horst Schmidbauer sprach dem Konsens ebenfalls Ausgewogenheit ab. Bei der Verteilung der avisierten Einsparungen von 20 Mrd., von denen gut 17 Mrd. von Versicherten und Steuerzahlern erbracht werden sollen, gebe es "eine eindeutige Schieflage" sagte er in einem Interview mit dem Berliner Tagesspiegel (Ausgabe vom 23. Juli). Schmidbauer warf der Union vor, sich in Strukturfragen nicht bewegt und den Schutzraum um Ärzte und Pharmaindustrie gar noch erhöht zu haben.

Verständnislos reagierte auch der Juso-Bundesvorsitzende Niels Annen: "Die Lobby-Kartelle von Ärzten, Apothekern und Pharmaindustrie gehen unbeschadet aus den wochenlangen Konsensgesprächen hervor". So würden durch die Blockade der Union u. a. die kostentreibenden Strukturen der Kassenärztlichen Vereinigungen und die Besitzstandswahrung der Apotheker zementiert. Klare Verlierer seien die Patienten GKV: "Sie werden abkassiert!", so Annen.

Seehofer: "Niemand wird überfordert"

Schmidt, Seehofer und Co. verteidigten ihren Reformkonsens gleichwohl: Der CSU-Politiker pries ihn am 22. Juli in Berlin als "größtes Reformwerk in der jüngeren deutschen Geschichte". Dieses lasse er sich "nicht klein reden oder schreiben". Groß sei das Werk vor allem aufgrund des angedachten Einsparvolumens. Im legendären Lahnstein ging es seinerzeit um ein Viertel dieses Betrags, nämlich um rund 10 Mrd. DM.

Seehofer betonte, die Verhandlungsgruppe habe sich von Anfang an bemüht, "dass bei der Lastenverteilung alle in einem Boot sitzen". Wären die Leistungserbringer nicht betroffen, so könne er nicht verstehen, warum deren Verbände seit Ende der Konsensverhandlungen ununterbrochen versuchten, ihn telefonisch zu erreichen, so der CSU-Politiker. Er betonte zudem, dass kein chronisch Kranker mehr als ein Prozent seines Einkommens für sämtliche Zuzahlungen aufbringen müsse. Das Bundesgesundheitsministerium stellte am 24. Juli zudem klar, dass die Konsens-Eckpunkte ausdrücklich vorsehen, dass Sozialhilfeempfänger reduzierte Zuzahlungen leisten müssten - dieser Betrag solle bei mindestens einem Euro liegen.

Die Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium Marion Caspers-Merk (SPD) warf den Kritikern am 24. Juli im ZDF vor, sie betrieben ein "falsches Zahlenspiel", da in das Einsparvolumen bislang keine Struktureffekte eingerechnet seien. Diese ließen sich gegenwärtig noch nicht in Euro und Cent umrechnen, würden aber dennoch "Zug um Zug greifen" und Einsparungen mit sich bringen, so die Staatssekretärin.

Bürgerversicherung oder Kopfprämie

Über eines sind sich alle klar, die an den Konsensverhandlungen teilgenommen haben: Mehr geht nicht. Innerhalb des bestehenden Systems seien keine weiteren Reformen machbar erklärten alle Parteienvertreter unisono. Seehofer gibt der Reform etwa fünf Jahre - bis dahin muss ein neues System geschaffen werden. Bürgerversicherung oder Kopfprämien heißt also die nächste Frage.

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