Gesundheitsreform: Wird der Festpreis von Arzneimitteln bald die Ausnahme sein?

BERLIN (ks) Die mit dem Gesundheitssystemmodernisierungsgesetz (GMG) verfolgte Liberalisierung der Arzneimittelversorgung wird dazu führen, dass eine Reihe von Medikamenten nicht mehr der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisVO) unterliegen. Das soll den viel beschworenen Wettbewerb anregen. Nicht nur rezeptfreie Arzneimittel werden dem GMG-Arbeitsentwurf zufolge künftig aus der gesetzlichen Preisregelung herausfallen. Auch für Medikamente, die im Rahmen des Versandhandels oder vereinbarter Versorgungsformen abgegeben werden, sind individuelle Preisvereinbarungen geplant.

Dr. Sebastian Schmitz, Geschäftsführer Wirtschafts- und Vertragsrecht der ABDA sieht eine beträchtliche Ausweitung des AMPreisVO-freien Segments kommen. Feste Preise werden nur noch für verschreibungspflichtige Arzneimittel in der "Regelversorgung" gelten, erklärte er anlässlich des ABDA-Wirtschaftspresseseminars am 13. Mai in Berlin.

Tatsächlich sollen Arzneimittelpreise ein neuer Gegenstand des Vertragswettbewerbs werden. Nach dem GMG-Arbeitsentwurf sollen die Kassen nicht mehr nur Kollektivverträge mit Apothekerverbänden auf Bundes- und Landesebene abschließen können. Auch mit Krankenhäusern mit Krankenhausapotheken, Versandapotheken, in vereinbarte Versorgungsformen eingebundene Apotheken sowie mit Gesundheitszentren sollen die gesetzlichen Kassen bald individuelle Verträge aushandeln können. Daneben erweitern sich die Möglichkeiten, mit Arzneimittelherstellern Rabatte zu vereinbaren. Als Steuerungsmöglichkeiten stehen den Kassen neue Regelungen zu Boni und Zuzahlungen zur Verfügung.

Kollektivverträge für OTC-Präparate

Von der AMPreisVO ausgenommen werden nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel. Soweit diese dennoch verordnungsfähig sind, sollen deren Preise künftig im Rahmen der zwischen den Landesverbänden der Krankenkassen und der Apothekerverbände abzuschließenden Arzneilieferungsverträge vereinbart werden – hier bleibt es also beim Kollektivvertrag. Bis diese Verträge geschlossen sind, gilt eine Übergangsregelung, nach der die bisher gültigen Preise aufgrund des Arzneimittelgesetzes bzw. der AMPreisVO anzuwenden sind. Das Bundesgesundheitsministerium verspricht sich von dieser neuen Regelung Einsparungen für die Kassen von gut 500 Mio. Euro.

Individuelle Verträge beim Versand und besonderen Versorgungsformen

Darüber hinaus können die Krankenkassen oder ihre Verbände mit Apotheken für den Versand von Arzneimitteln oder für die Abgabe von Arzneimitteln in vertraglich vereinbarten Versorgungsformen einen von der AMPreisVO abweichenden Preis vereinbaren. Zu den vertraglich vereinbarten Versorgungsformen zählt das GMG Disease-Management-Programme (§ 137f SGB V), integrierte Versorgungsformen (§ 140b SGB V), Modellvorhaben zur Weiterentwicklung der Versorgung (§§ 63, 64 SGB V), vernetzte Praxen (§ 73a SGB V) und das neu eingeführte Hausarztsystem (neu: § 67 SGB V). Die Preisvereinbarungen sollen auch Maßnahmen zur qualitätsgesicherten Beratung des Versicherten durch die Apotheken enthalten. Soweit jedoch derartige Vereinbarungen nicht getroffen werden, gelten die gesetzlichen Festpreise.

Ausweitung der Herstellerrabatte

Auch mit Arzneimittelherstellern sollen Krankenkassen neue Rabatte vereinbaren können. Im Rahmen der Positivliste und der vereinbarten Versorgungsformen erfährt die schon mit dem Beitragssatzsicherungsgesetz eingeführte Rabattmöglichkeit eine Konkretisierung: Die für strukturierte Behandlungsprogramme, das Hausarztsystem usw. ausgehandelten zu erbringenden Leistungen sollen auch die Positivliste umfassen. Die Krankenkasse schreibt die Arzneimittel dieser Liste aus und schließt auf dieser Grundlage Rabattvereinbarungen mit den Herstellern zusätzlich zu dem ohnehin gesetzlich zu gewährenden Abschlag von sechs Prozent. In der integrierten Versorgung sollen die vertraglich beteiligten Einrichtungen von Leistungserbringern die Rabattvereinbarungen mit den Herstellern schließen.

Motivationsgebühr für Ärzte

Alle Fertigarzneimittel, für die mit den Hersteller zusätzliche Rabattregelungen getroffen wurden, kann die Krankenkasse sodann auf einer Liste bekannt geben und den Kassenärztlichen Vereinigungen, den Vertragsärzten und den ärztlich geleiteten Einrichtungen übermitteln. Ärzte, die diese Liste bei der Verordnung von Arzneimitteln berücksichtigen, sollen für diesen zusätzlichen Aufwand eine Vergütung außerhalb der Gesamtvergütung erhalten. In der Gesetzesbegründung ist von einer "aufwandsbezogenen Motivationsgebühr" die Rede, die die Kassen den Ärzten für diese bevorzugte Verordnung gewähren sollen.

Kritik der ABDA

Dieser massive Anreiz für die Ärzte kombiniert mit den verringerten Zuzahlungen für Patienten, die an vereinbarten Versorgungsformen teilnehmen, werde dazu führen, dass immer mehr Arzneimittelpreise individuellen Vereinbarungen unterliegen werden, meint Schmitz. Die ABDA befürchtet, dass die neuen Preisregelungen kartellartige Strukturen auf Seiten der Krankenkassen hervorrufen werden. Die Machtverhältnisse seien nicht gleich, betonte Schmitz. Sage eine Kasse "nein" zu einem Vertrag, so sei ein Leistungserbringer schnell ganz aus dem Rennen. Zudem führten Bonuszahlungen zu einer Entsolidarisierung. Statt dessen schlägt die ABDA vor, für die allgemeine Arzneimittelversorgung das System der Kollektivverträge und Festpreise bei einem neuen Preisbildungsmodell beizubehalten. Zusätzlich sollen kassenbezogene konkurrierende Versorgungsverträge mit zusätzlichen Leistungen (Hausapothekenmodell) existieren. Auch letztere sollen als Kollektivverträge angeboten werden. Allerdings können nur jene Apotheken mitmachen, die die speziellen Vertragsbedingungen akzeptieren, so etwa die Pflicht zur regelmäßigen Fortbildung.

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