Bricht der Damm?

Ist es Zufall? Justamente in der Woche, in der der Rohentwurf der geplanten Gesundheitsreform 2003 bekannt wurde, hat das Bundesverfassungsgericht den gesetzlichen Rahmen des bestehenden Versandhandelsverbots bei Arzneimitteln gelockert. Die nimmermüden Apologeten eines weit reichenden Versandhandels werden sich bestätigt sehen. Man muss schon sehr geübt sein im Blick der selektiven Wahrnehmung, um aus der Entscheidung – wie es der ABDA-Hauptgeschäftsführer in seiner ersten Stellungnahme zu tun scheint – vor allem eine Bestätigung des "generellen Versandhandelsverbots" herauslesen zu können.

Fest steht: Das Bundesverfassungsgericht (genauer: die Berichterstatterin, Richterin Jaeger, die beim Ersten Senat für die freien Berufe und Fragen des Art. 12 des Grundgesetzes zuständig ist) hat bei der rechtlichen Beurteilung des Versandhandels mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln in Ergebnis und Begründung der Argumentation sowohl des Bundesgerichtshofs als auch des Bundesverwaltungsgerichts in zentralen Punkten widersprochen. Und das Gericht geht weiter, als es der bloße Beschlusstenor vermuten lässt: Es hält nicht nur das Verbot, Impfstoffe an Ärzte zu versenden und hierfür zu werben, für verfassungswidrig, sondern das Versandhandels- und Werbeverbot bei Arzneimitteln für den Praxisbedarf insgesamt.

Zwar wird man auch mit diesem Ergebnis, das zwischen Arzt und Patient als Adressat einer Versendung unterscheidet, leben können (auch schon bisher galt bei der Belieferung von Praxisbedarf oftmals die "normative Kraft des Faktischen"), gleichwohl enthält die Begründung der Karlsruher Richter einige inhaltliche Sprengsätze, die gleichermaßen bei der Debatte um das allgemeine Versandhandelsverbot zur Zündung gebracht werden könnten. So soll sich ein Versendungsverbot auch gegenüber Patienten nicht mit Transportrisiken begründen lassen; der Einsatz von Apothekenboten oder "spezialisierten Transportunternehmen", so das Gericht, sei doch allemal sicherer als eine Aushändigung des Medikaments in der Apotheke an einen Laien (oder seinen Beauftragten). Süffisant weist der Senat auch auf die Rechtslage vor 1987 hin, als gegenüber Endkunden der "uneingeschränkte" Arzneimittelversand zulässig gewesen sei (was so nicht zutrifft), ohne dass deswegen Gesundheitsgefährdungen bekannt geworden wären.

Ob der Hinweis des Gerichts, dass die Beratungspflicht des Apothekers bei der Medikamentenabgabe eine "nicht unwichtige" Vorkehrung zum Gesundheitsschutz ist, dies alles aufwiegen kann? Oder bricht der Damm (auch rechtlich)?

Christian Rotta

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