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Thalidomid: Prodrugs sind therapeutisch interessant

Ein Comeback für Thalidomid? - So lautete das provozierende Thema des Vortrages von Prof. Dr. Kurt Eger, Institut für Pharmazie, Pharmazeutische Chemie der Universität Leipzig, der im Rahmen des Pharmazeutischen Kolloquiums in Greifswald gehalten wurde.

Vor nunmehr vierzig Jahren wurde die Teratogenität des Thalidomids erstmals in der Laienpresse aufgedeckt, von den seinerzeit 7000 betroffenen Kindern leben heute noch 2500. Dazu kommen "Contergan-Kinder" in Ländern Afrikas und Lateinamerikas, in denen der Wirkstoff als Leprostatikum eingesetzt wird.

In den 1960er Jahren erkannte man die Wirkung des Thalidomids gegen Polyneuropathie, in den 80er Jahren kam die Anwendung bei GvHD (graft versus host desease, Symptom bei Knochenmarktransplantation) in Kombination mit herkömmlichen Arzneimitteln (Zytostatika und Glucocorticoide) oder als Einzeltherapie hinzu.

Als potenzielle Einsatzmöglichkeiten für Thalidomid sind heute außerdem Kachexie, chronisches Erbrechen, Fieber, Schmerzen, HIV, Tuberkulose, entzündungsähnliche Zustände, Hemmung der Angiogenese bei Tumorpatienten und Hauterkrankungen in der Diskussion. In jüngster Zeit wurde Thalidomid als Arzneimittel unter strengen Auflagen in den USA zugelassen.

Die Eigenschaften des Thalidomids lassen sich aus der Struktur des Wirkstoffes ableiten. Man geht heute davon aus, dass die Phthalimid-Teilstruktur für die Teratogenität, der Glutarimid-Teil für die Wirkung gegen Polyneuropathie verantwortlich ist. Thalidomid wird als Racemat eingesetzt, die Isolierung eines der Enantiomere verhindert die teratogene Wirkung nicht, da unter physiologischen Bedingungen eine schnelle Racemisierung stattfindet. Die Eutomer-Distomer-These ist somit nicht weiter haltbar.

In der Folge haben sich mehrere Arbeitsgruppen mit der Identifizierung von Metaboliten beschäftigt. Aus den zahlreichen Veröffentlichungen werden derzeit vier Theorien bevorzugt: 1. Stereoselektive oxidative Metabolisierung führt zu 5'-Hydroxythalidomid, 2. Aktivierung von Thalidomid durch Prostaglandin-Synthase, 3. Generierung von Hydroxyl-Radikalen, 4. Beeinflussung der Genexpression durch Oberflächenproteine.

Im Arbeitskreis des Referenten wird die Synthese neuartiger Thalidomid-Prodrugs durchgeführt. Davon wird eine Verbesserung der Löslichkeit und der Einsatz als TNFalfa-Hemmer erwartet. Die Modifikation erfolgte am Glutarimid, das zum Halbaminal oder mit Aminosäuren bzw. Ribosylresten umgesetzt wurde.

Der Nachweis von Teratogenität wird heute nur bei Testungen an Makakken akzeptiert, Prof. Eger läßt derzeit die Wirkung synthetisierter Prodrugs an einem neuen Testsystem messen, bei dem die Entwicklung eines Schleimpilzes unter Einwirkung der Pharmaka beobachtet wird.

Der Referent zeigt am Beispiel des Thalidomids die zwei Gesichter der Arzneimitteltherapie auf: Vom Horror zur Hoffnung: "Thalidomid zerstört Leben, Thalidomid rettet Leben."

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