Orthomolekulare Medizin

Vom Nutzen der Mikronährstoffe am Beispiel des Diabetes mellitus

Ernährungsbedingte Krankheiten nehmen in unserer Gesellschaft stark zu und stellen eine große Herausforderung dar. Für ihre Prävention und Therapie empfiehlt die Orthomolekulare Medizin die gezielte Gabe von essenziellen Mikronährstoffen. Diese Behandlung soll schulmedizinische Maßnahmen nicht ersetzen, sondern ergänzen. Am Beispiel des Diabetes mellitus zeigen wir, wie durch die Zufuhr bestimmter Mikronährstoffe die entgleiste Stoffwechsellage wieder gebessert und Folgeschäden des Diabetes weitgehend vermieden werden können.

Das 20. Jahrhundert hat für die Medizin eine Vielzahl neuer Methoden und Denkmodelle gebracht. Wir haben unsere Kenntnisse auf dem Gebiet der Molekularbiologie (Human-Genomprojekt) und Pathophysiologie explosionsartig erweitert. Dennoch stellt uns die extreme Zunahme ernährungsbedingter Krankheiten wie Arteriosklerose, metabolisches Syndrom oder Krebs weiterhin vor eine große medizinische und ökonomische Herausforderung. Die an der Entstehung dieser Krankheiten beteiligten Faktoren gehen auf komplexe Systemstörungen des Organismus zurück. Eine ganzheitliche Betrachtung der Krankheitsursachen führt zu neuen Ansätzen der Therapie und der Prävention. Die Orthomolekulare Medizin fordert den gezielten Einsatz essenzieller Mikronährstoffe zur Vorbeugung und Therapie ernährungsbedingter Krankheiten als Ergänzung etablierter schulmedizinischer Maßnahmen [1].

Vitamine von Funk bis Pauling

Seit der Prägung des Begriffs Vitamin, im Jahre 1911 durch den Biochemiker Casimir Funk, hat die Lehre von den Vitaminen eine stürmische Entwicklung erlebt. Dabei wird die moderne Vitaminforschung im Wesentlichen durch drei Phasen charakterisiert, deren Anfang die Entdeckung der Vitaminmangelkrankheiten sowie die Isolierung, chemische Strukturaufklärung und Synthese der Vitamine bildet.

Dieser Phase, die man zu Recht als Pionierzeit bezeichnen kann, folgte eine Phase des Stillstands. Der mit den verbesserten Lebensbedingungen und der modernen medizinischen Versorgung assoziierte Rückgang klassischer Avitaminosen und die vorherrschende Meinung, dass Vitamine neben der Prävention von Mangelkrankheiten keine weitere physiologische Funktion erfüllen, drängte das medizinisch-wissenschaftliche Interesse an Mikronährstoffen lange Zeit in den Hintergrund.

Es ist vor allem das Verdienst des amerikanischen Biochemikers Linus Pauling, dass das wissenschaftliche Interesse an Vitaminen in den 1970er-Jahren eine Renaissance erlebte. Mit seinen Thesen und Postulaten über den präventiven Einsatz von Vitamin C bei Virusinfektionen und Krebserkrankungen provozierte der zweifache Nobelpreisträger die medizinische Fachwelt und löste zahlreiche kontroverse Diskussionen aus. Die mittlerweile unüberschaubare Fülle ernährungswissenschaftlicher Studien sowie die aktuellen Forschungsergebnisse auf dem Gebiet radikalassoziierter Krankheiten scheinen seine Thesen allerdings zu bestätigen.

Paulings Konzept der Orthomolekularen Medizin bildet die Grundlage eines neuen Ernährungsparadigmas, das die starren Nährstoffempfehlungen zur Vorbeugung von Avitaminosen wie Pellagra und Skorbut überwindet und den Mikronährstoffen einen neuen präventivmedizinischen und therapeutischen Stellenwert zuordnet. Der subklinische Nährstoffmangel und seine krankheitsspezifische Prognose treten in den Mittelpunkt des ernährungswissenschaftlichen Interesses.

Dosierung der Mikronährstoffe

In der Prävention und adjuvanten Therapie ernährungsabhängiger Krankheiten hat sich die Orthomolekulare Medizin zu einem wichtigen Bestandteil effizienter präventiv- und komplementärmedizinischer Therapiekonzepte entwickelt. Dabei sollte eine Supplementierung mit essenziellen Mikronährstoffen immer auf die individuellen Bedürfnisse und auf das jeweilige Krankheitsbild zugeschnitten sein. Das Zusammenspiel der einzelnen Mikronährstoffe, ihre potenziellen Interaktionen mit Arzneimitteln sowie ein krankheitsspezifisch erhöhter Bedarf sind dabei grundsätzlich in die Überlegungen einzubeziehen.

Die Dosierungsempfehlungen und Methoden der Orthomolekularen Medizin basieren

  • auf Erkenntnissen der ernährungswissenschaftlichen, pharmakologischen und biochemischen Grundlagenforschung sowie
  • auf medizinischen Erfahrungen und Studien wie Anwendungsbeobachtungen, epidemiologischen und prospektiven Studien und kontrollierten klinischen Studien.

Allerdings wird der Begriff Orthomolekulare Medizin häufig immer noch mit dem Synonym einer Mega-Vitamintherapie nach dem Gießkannenprinzip assoziiert, die jede wissenschaftliche Grundlage vermissen lässt.

Die wirtschaftliche Ausschlachtung von Aussagen wie Nie wieder Herzinfarkt durch Vitamin C und ähnlichen Parolen, die immer wieder lanciert werden, schadet der Orthomolekularen Medizin. Die wissenschaftlich fundierte Orthomolekulare Medizin distanziert sich daher ganz klar von derartigen Machenschaften. Sie sucht vielmehr eine undogmatische und interdisziplinäre Kommunikation und Kooperation mit anderen Forschungsrichtungen und klinischen Disziplinen, damit auch zukünftig das große therapeutische Potenzial dieser Therapieform erkannt wird. Eine Patientengruppe, die im besonderen Maße von begleitenden orthomolekularen Therapiemaßnahmen profitiert, sind Diabetiker.

Diabetes mellitus

Der Diabetes mellitus ist die häufigste und im Hinblick auf die hohe Begleit- und Folge-Morbidität die bedeutsamste Stoffwechselstörung überhaupt. Allein in Deutschland schätzt man die Zahl der Typ-2-Diabetiker auf 5 bis 8 Millionen, die der Typ-1-Diabetiker auf etwa 200 000. Nach Angaben der deutschen Diabetes Gesellschaft ist Diabetes mellitus die häufigste Ursache für Myokardinfarkt, dialysepflichtige Niereninsuffizienz, Erblindung und Amputation der unteren Extremitäten.

Der Diabetes mellitus ist eine endokrin-metabolische Erkrankung, die durch Insulinmangel (Typ-1-Diabetiker) oder Insulinresistenz (Typ-2-Diabetiker) mit chronischer Hyperglykämie gekennzeichnet ist. Neben dem Kohlenhydrat- ist auch der Eiweiß- und Lipidstoffwechsel gestört.

Die Vorstufe des manifesten Typ-2-Diabetes oder Altersdiabetes bildet das metabolische Syndrom, ein komplexes Krankheitsbild mit den Symptomen

  • Adipositas,
  • Bluthochdruck,
  • Insulinresistenz mit begleitender Hyperinsulinämie und
  • atherogene Dyslipoproteinämie (v. a. Triglyceridämie).

Bewegungsmangel, Übergewicht und kalorische Überernährung spielen bei der Entwicklung des metabolischen Syndroms und des Typ-2-Diabetes eine Schlüsselrolle.

Diabetische Gefäßerkrankungen

Das Schicksal und die Prognose des Diabetikers wird maßgeblich von diabetischen Mikro- und Makroangiopathien bestimmt (siehe Kasten). Mikro- und Makroangiopathien sind zu 80% die Todesursache bei Diabetikern.

Spätschäden an den kleinen Gefäßen der Augen, Nieren oder Nerven sind vor allem bei Typ-1-Diabetes mit einem dramatisch erhöhten Risiko assoziiert, zu erblinden, chronisches Nierenversagen zu entwickeln oder an Neuropathien zu erkranken. Makroangiopathien sind die Hauptursache für die extrem hohe Inzidenz von atherothrombotischen Ereignissen (z. B. Myokardinfarkt) bei metabolischem Syndrom und manifestem Typ-2-Diabetes.

Die Pathogenese von Mikro- und Makroangiopathien beim Diabetiker ist ein multifaktorieller Prozess. Das größte Problem ist dabei der zeitweise erhöhte und stark schwankende Blutzuckerspiegel, der sich auch durch orale Antidiabetika oder Insulin nicht vollständig kontrollieren lässt.

Aldose-Reductase-Reaktion - Katarakt und diabetische Neuropathie

Bei Hyperglykämie wird Glucose intrazellulär, im so genannten Polyolstoffwechsel, vermehrt durch das Enzym Aldose-Reductase unter Verbrauch von NADPH zu dem schwer permeablen Zuckeralkohol Sorbitol reduziert. Dieser irreversible, auch als Aldose-Reductase-Reaktion bezeichnete Prozess erschöpft die NADPH-Speicher und verursacht eine Änderung des zellulären Redoxpotenzials. Das Reduktionsäquivalent NADPH ist u. a. Cofaktor für die Bildung von NO aus Arginin.

Die intrazelluläre Akkumulation von Sorbitol ist mit einem Verlust anderer osmotisch wirksamer Substanzen wie Glutathion, Vitamin C, Magnesium und myo-Inositol assoziiert. Eine Abnahme der intraneuronalen myo-Inositol-Konzentration senkt die Aktivität der Na+/K+-ATPase, was letztendlich zu einer Reduktion der Nervenleitgeschwindigkeit, einem typischen Frühsymptom der diabetischen Neuropathie, führt.

Das Enzym Aldose-Reductase findet sich vor allem im Linsenepithel und den Schwannschen Zellen der peripheren Nervenfasern. Die osmotische Zellschädigung fördert in der Augenlinse die Kataraktentwicklung (Linsentrübung) und im peripheren Nervengewebe die diabetische Neuropathie (Abb. 2).

Proteinglykosylierung - Angiopathien, Nephropathien, Neuropathien und Retinopathien

Bei Hyperglykämie kann Glucose, die an das Hämoglobin bindet (HbA1C-Wert), auch mit zahlreichen anderen körpereigenen Eiweißen wie LDL, Proteinen der Nierentubuli, Linsenproteinen und Myelin in Form einer nichtenzymatischen Glykosylierung reagieren. Dabei kondensiert Glucose reversibel mit Aminogruppen (NH2) der Proteine unter Bildung einer Schiffschen Base (siehe (Abb. 1).

Bei hohen Glucosekonzentrationen wird die Schiffsche Base irreversibel zu den Advanced Glycation End products (AGEs), schwer abbaubaren Ketaminen, umgelagert. AGEs induzieren die Quervernetzung von Polypeptiden und fördern die Generierung reaktiver Sauerstoffspezies. Die damit verbundenen Strukturveränderungen und Funktionsstörungen sind maßgeblich an der Entwicklung diabetischer Spätfolgen wie Arteriosklerose, Niereninsuffizienz, Retino- und Neuropathien beteiligt. Das ZNS ist der wichtigste Ort für die AGE-Bildung.

Störungen im Stoffwechsel essenzieller Fettsäuren

Mehrfach ungesättigte Fettsäuren wie gamma-Linolensäure sind für die Struktur und Leitfähigkeit von Nervenzellmembranen sowie für den Stoffwechsel der Prostaglandine essenziell. Die Umwandlung von Linolsäure in gamma-Linolensäure wird durch die delta-6-Desaturase katalysiert. Tierversuche haben gezeigt, dass bei diabetischer Stoffwechsellage die Aktivität der delta-6-Desaturase vermindert ist.

Oxidativer Stress - Makroangiopathien

Die Stoffwechsellage des Diabetikers ist infolge Hyperglykämie und Hyperlipidämie durch eine permanente oxidative Belastung gekennzeichnet. Glucose und die im Rahmen der Proteinglykosylierung gebildeten Ketamine (AGEs) sind leicht oxidierbar und fördern die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies.

Durch die Aktivierung des Polyolstoffwechsels werden die intrazellulären Speicher wichtiger Reduktionsäquivalente wie NADPH und Glutathion (GSH) erschöpft. Die Oxidation mehrfach ungesättigter Fettsäuren sowie die Aktivierung von Monozyten und Thrombozyten durch freie Radikale führt beim Diabetiker zu vorzeitigen Endothelschäden und zur Entwicklung atherosklerotischer Gefäßveränderungen (Makroangiopathien).

Ernährung bei Diabetes mellitus

Die Ernährung des Diabetikers sollte vollwertig und bedarfsgerecht sein. Sie ist die unerlässliche Grundlage jeglicher weiteren Therapien. Dabei sollten die Hauptnährstoffe folgende Anteile an der Gesamtnahrungsenergie (En%) haben:

  • einfach ungesättigte Fettsäuren (MUFA) und Kohlenhydrate (KH) 60 bis 70 En% (KH: 40 bis 50 En%, MUFA: 15 bis 30 En%),
  • gesättigte Fettsäuren (SAFA) < 10 En%,
  • mehrfach ungesättigte Fettsäuren (PUFA) 7 bis 10 En% und
  • Proteine 10 bis 15 En% (< 0,8 g Protein/kg KG).

Als Proteinquelle empfiehlt sich fetter Seefisch (2- bis 3-mal/Woche). Kohlenhydrate sollten als komplexe Kohlenhydrate in Form von Vollkornprodukten, frischem Obst und Gemüse mit niedrigem glykämischem Index aufgenommen werden. Die tägliche Ballaststoffzufuhr sollte über 30 g, idealerweise zwischen 40 und 50 g liegen.

Zwei Drittel der übergewichtigen Typ-2-Diabetiker könnten allein durch eine konsequente Diät und Gewichtsreduktion effektiv behandelt werden. Im Rahmen einer Körperfettreduktion wird Typ-2-Diabetikern eine Kost mit drei bis vier volumen- und ballaststoffreichen Mahlzeiten empfohlen. Eine Gewichtsabnahme durch Reduktion der Energieaufnahme (Reduktionsdiät) und regelmäßige körperliche Aktivität ist das primäre Therapieziel beim Typ-2-Diabetiker.

Regelmäßiges intensitätsgesteuertes Ausdauertraining

  • fördert den Abbau des abdominalen Fettgewebes,
  • steigert die Insulinsensitivität bzw. reduziert die Insulinresistenz,
  • senkt den Blutdruck,
  • senkt die LDL-Cholesterin- und Triglyceridwerte und erhöht den Anteil des kardioprotektiven HDL-Cholesterins.

Mikronährstoffe bei diabetischer Stoffwechsellage

Die frühzeitige und langfristige Substitution antioxidativ wirksamer und den Kohlenhydratstoffwechsel regulierender Mikronährstoffe ist bei Diabetes mellitus von besonders hohem präventiv- und komplementärmedizinischem Stellenwert (Tab. 2).

Antioxidanzien

In der Pathogenese der diabetischen Mikro- und Makroangiopathien spielt oxidativer Stress, nachweisbar in erhöhten Spiegeln zytotoxischer Lipidperoxidationsprodukte (z. B. MDA, HNE), eine zentrale Rolle [2]. Oxidativer Stress ist die Folge der chronischen Hyperglykämie, die in den Blutgefäßen die nichtenzymatische Glykosylierung und Autoxidation von Glucose schürt. Bei Diabetikern kann bereits nach der Aufnahme einer Mahlzeit eine erhöhte oxidative Belastung nachgewiesen werden [3]. Die Vitamin-C-, Vitamin-E- und GSH-Konzentrationen im Plasma sowie das intrazelluläre Verhältnis von Ascorbinsäure zu Dehydroascorbinsäure sind bei Diabetikern signifikant erniedrigt.

Vitamin C

Im Vergleich zu Stoffwechselgesunden weisen Diabetiker teilweise um über 30% niedrigere Vitamin-C-Plasmaspiegel auf [4]. Zwischen dem HbA1C-Wert und dem Vitamin-C-Status besteht eine inverse Korrelation. Die Vitamin-C-Plasmaspiegel bei Diabetikern mit (erwünscht) niedrigem HbA1C-Wert (< 7%) sind signifikant höher als bei solchen mit (pathologisch) hohem HbA1C-Wert (> 7%) [5].

Der antioxidative Status des Diabetikers wird durch das endothelprotektive Vitamin C signifikant verbessert. Vitamin C reduziert die Proteinglykosylierung, indem es Glucose von den Aminogruppen der Proteine kompetitiv verdrängt. Zudem hemmt Vitamin C die Aldose-Reductase und reduziert signifikant die intrazelluläre Akkumulation von Sorbitol.

In einer kontrollierten Studie führte die Substitution von 500 mg bzw. 2000 mg Vitamin C pro Tag bei Gesunden zu einer Reduktion der erythrozytären Sorbitolspiegel um 12,6% bzw. 56,1%. Unter der Gabe von täglich 2000 mg Vitamin C sank bei Diabetikern die Sorbitolkonzentration in den Erythrozyten um 44,5% [6].

In einer randomisierten, plazebokontrollierten Doppelblindstudie mit Typ-2-Diabetikern führte die adjuvante Gabe von 2 x 500 mg Vitamin C pro Tag über einen Zeitraum von 4 Monaten gegenüber Plazebo zu einer signifikanten Abnahme der Insulinresistenz, des HbA1C-Wertes sowie der Gesamt-Cholesterin-, LDL-Cholesterin- und Triglycerid-Plasmaspiegel [7].

Vitamin E

Vitamin E hemmt die Lipidperoxidation und erhöht die Oxidationsresistenz des LDL-Cholesterins. Die Prostacyclinsynthese wird durch Vitamin E gefördert, die Synthese von Thromboxan und die Thrombozytenaggregation reduziert. In einer plazebokontrollierten Studie mit insulinabhängigen Diabetikern führte die Substitution von 600 bzw. 1200 mg Vitamin E/Tag über einen Zeitraum von 2 Monaten zu einer signifikanten Reduktion der Proteinglykosylierung (HbA1C), die am stärksten unter der Gabe von 1200 mg Vitamin E ausgeprägt war [8]. Die adjuvante Gabe von Antioxidanzien wie Vitamin C und E kann also dazu beitragen, der Entwicklung diabetischer Gefäßkomplikationen vorzubeugen und ihre Progression zu verzögern.

B-Vitamine

Die Vitamine der B-Gruppe spielen als Coenzyme eine zentrale Rolle im Kohlenhydrat-, Protein- und Lipidstoffwechsel. Die diabetische Stoffwechsellage ist zum einen mit einem erhöhten Bedarf, zum anderen mit einem erhöhten renalen Verlust an B-Vitaminen (Glucosurie) assoziiert, insbesondere bei schlechter Einstellung.

Folsäure

Folsäuremangel führt zu Störungen im Abbau der Aminosäure Methionin und geht häufig mit einer Hyperhomocyst(e)inämie einher. Die Folsäure-Dekonjugase ist zinkabhängig, sodass ein Zinkmangel den Folsäure-Status zusätzlich verschlechtert. Homocyst(e)in stellt einen eigenständigen Risikofaktor für atherothrombotische Ereignisse wie Schlaganfall oder Herzinfarkt dar. Eine Substitution der Homocyst(e)in-Regulatoren Folsäure, Vitamin B6 und B12 ist daher für Diabetiker von besonderem therapeutischem Stellenwert.

Vitamine B1, B6 und B12

Die neurotropen Vitamine B1, B6 und B12 greifen kausal in den Pathomechanismus der diabetischen Neuropathie ein. Dabei werden als mögliche, an der Regeneration der Nervenzellen beteiligte Mechanismen eine verbesserte Energieversorgung (durch ATP) für den axonalen Transport sowie eine gesteigerte Synthese von Transportproteinen und eine Optimierung der Zusammensetzung essenzieller Fettsäuren in der Zellmembran und Markscheide diskutiert.

Darüber hinaus hemmen Vitamin B6 und das lipophile Thiamin-Prodrug Benfotiamin die Proteinglykosylierung. In Studien an Patienten mit diabetischer Polyneuropathie verbesserte die Supplementierung von Benfotiamin (100 bis 300 mg/Tag, p.o.) die Schmerzsymptomatik, die Nervenleitgeschwindigkeit und das Vibrationsempfinden signifikant gegenüber Plazebo [9, 10].

Nicotinamid

In pharmakologischen Dosierungen (3000 mg/Tag bzw. 25 bis 30 mg/kg KG/Tag, p.o.) wirkt Nicotinamid bei noch ausreichend hoher Inselzellrestfunktion präventiv auf die Neumanifestation und Progression eines Typ-1-Diabetes. Nicotinamid hemmt die Zerstörung und fördert die Regeneration der B-Zellen des Pankreas [11, 12]. Dadurch wird die B-Zell-Dysfunktion reduziert, die Insulinsensitivität und Glucoseverwertung verbessert. Darüber hinaus hemmt Nicotinamid die Proteinglykosylierung und reduziert die HbA1C-Werte.

alfa-Liponsäure

alfa-Liponsäure übernimmt als Coenzym mitochondrialer Multienzymkomplexe eine zentrale Rolle im Energiestoffwechsel der Nervenzelle. Sie steigert die zelluläre Glucoseaufnahme und -oxidation und reduziert die Proteinglykosylierung (HbA1C) sowie die oxidative Belastung unter diabetischer Stoffwechsellage signifikant. In Studien an Patienten mit Polyneuropathien führte die Gabe von alfa-Liponsäure zu einer signifikanten Verbesserung der neuropathischen Symptome (Schmerzen, Brennen, Parästhesien) sowie der sensorischen und motorischen Nervenleitgeschwindigkeit [13].

Die kardiale autonome Neuropathie (stumme Myokardischämie, nachweisbar durch die verminderte Herzfrequenzvariabilität), eine unter Diabetikern weitverbreitete und gefürchtete Erkrankung, kann durch alfa-Liponsäure verbessert werden [14]. Darüber hinaus hat alfa-Liponsäure einen günstigen Einfluss auf die Pathogenese und Progression der diabetischen Nephropathie [15].

Zur Prophylaxe diabetischer Neuro- und Nephropathien wird die Supplementierung von 200 bis 600 mg alfa-Liponsäure/Tag (p.o.) empfohlen. In der frühen Therapie von Polyneuropathien sollten anfangs Kurzinfusionen von 600 mg alfa-Liponsäure mehrmals wöchentlich (besser: täglich) über 10 bis 14 Tage gegeben werden. Im Anschluss wird eine tägliche orale Zufuhr von 600 (bis 1200) mg alfa-Liponsäure/Tag empfohlen.

Magnesium

Diabetes mellitus ist infolge Glucosurie häufig mit Hypomagnesiämie (< 0,8 mmol/l) und intrazellulärer Magnesium-Depletion verbunden. Magnesiummangel

  • erschwert die Blutzuckereinstellung des Diabetikers,
  • erhöht die Insulinresistenz und
  • fördert die Entwicklung von Retinopathien und Linsentrübungen [16].

Im Hinblick auf die günstigen Effekte des Magnesiums auf das Herz-Kreislauf-System müsste Magnesiummangel neben Hypertonie, Dyslipoproteinämie, Adipositas und Hyperinsulinämie als weiterer Risikofaktor dem metabolischen Syndrom zugerechnet werden.

Zink

Infolge Proteinurie ist die renale Zinkexkretion bei Diabetes mellitus signifikant (2- bis 3fach) erhöht. Die zur Bluthochdrucktherapie bei Diabetikern eingesetzten ACE-Hemmer (v. a. Captopril) komplexieren Zink und steigern zusätzlich den renalen Zinkverlust [17]. Unter Zinkmangel wird eine verringerte Insulinrezeptorsynthese und eine verminderte Insulinsekretion im Pankreas beobachtet. Ein Zinkdefizit reduziert daher die Insulinsensitivität und die Glucosetoleranz und steiert die Insulinresistenz.

Eine erhöhte Neigung zu Hautpilzinfektionen, eine gesteigerte Infektanfälligkeit, Geschmacksstörungen sowie therapieresistente Wundheilungsstörungen können ein Hinweis auf eine defizitäre Zinkversorgung sein. Bei Diabetes mellitus wird die Supplementierung von 15 bis 25 mg Zink/Tag (z. B. als Orotat, Aspartat, Histidin) empfohlen.

Chrom

Chrom ist als Bestandteil des Glucosetoleranzfaktors (GTF) an der Regulierung der Glucosehomöostase beteiligt. Ein Chrommangel kann zu Hyperglykämie und Hyperlipoproteinämie führen. Bei diabetischer Stoffwechsellage ist infolge Glucosurie und/oder diabetischer Nephropathie mit einer verstärkten renalen Chromexkretion zu rechnen. Beim Typ-1-Diabetiker ist Chrommangel mit reversibler Insulinresistenz und schlechter Einstellbarkeit (mit Hyper- und Hypoglykämien) assoziiert.

Die Supplementierung von Chrom (200 bis 1000 µg/Tag, p.o.) kann die Insulin-Rezeptor-Bindung, die zelluläre Gluoseverwertung und die Lipidwerte verbessern. Die Insulinresistenz und die Nüchtern-Glucosespiegel werden durch Chrom signifikant reduziert. Auch die Bildung von AGEs wird durch Chrom vermindert. Darüber hinaus reduzieren Zink und Chrom beim Typ-2-Diabetiker signifikant die Konzentration Thiobarbitursäure-reaktiver Substanzen im Plasma und damit die Lipidperoxidation [18, 19].

Omega-3-Fettsäuren (Eicosanoide)

Neben der Hypertonie ist die Hypertriglyceridämie bei Diabetes mellitus der wichtigste Risikofaktor für einen Myokardinfarkt. Erhöhte Triglyceridspiegel (> 150 mg/dl) können als Indikator für eine Insulinresistenz herangezogen werden. Die langkettigen, mehrfach ungesättigten Omega-3-Fettsäuren gehören in der Therapie der Hypertriglyceridämie zu den Arzneimitteln der ersten Wahl. Diabetiker profitieren im Hinblick auf die Prävention diabetischer Mikro- und Makroangiopathien in besonderem Maße von den lipidsenkenden, antithrombotischen und endothelprotektiven Eigenschaften der Omega-3-Fettsäuren.

L-Carnitin

Infusionen mit Acetyl-L-Carnitin führten in Studien an Typ-2-Diabetikern zu einer signifikanten Verbesserung des Glucosestoffwechsels, nachweisbar in einem Anstieg der Glucoseoxidation und -verwertung sowie einer Abnahme der Insulinresistenz und der Lactat-Plasmaspiegel. Als möglicher Mechanismus wird eine Erhöhung der Glykogensynthase-Aktivität durch L-Carnitin diskutiert [20, 21]. Die mit einem Diabetes mellitus assoziierte Dyslipoproteinämie (erhöhte Triglycerid- und Ketonkörperwerte) sowie die Symptomatik peripherer Neuropathien können durch die Supplementierung von L-Carnitin (1000 bis 4000 mg/Tag, p.o., i.v.) verbessert werden.

Bioflavonoide

Flavonoide besitzen ausgeprägte antioxidative und endothelprotektive Eigenschaften. Die unter diabetischer Stoffwechsellage pathologisch erhöhte Gefäßpermeabilität und das Risiko mikrovaskulärer Blutungen wird durch Anthocyanidine und Flavanole wie Quercetin reduziert. Über eine Hemmung des Enzyms Aldose-Reductase verhindern Flavonoide die Akkumulation von Sorbitol im Linsengewebe und beugen der Entwicklung diabetischer Retinopathien vor [22]. Flavonoide hemmen auch die Lipidperoxidation und die Oxidation des LDL-Cholesterins signifikant.

Kastentext: Definition

Die Orthomolekulare Medizin bildet die wissenschaftliche Grundlage für den kausalen Einsatz von Mikronährstoffen in physiologischer und/oder pharmakologischer Dosierung zur Prävention und adjuvanten Therapie ernährungsbedingter und chronisch-degenerativer Krankheiten [1].

Kastentext: Ziele der Orthomolekularen Medizin

Ziele der Orthomolekularen Medizin sind

  • die Prävention ernährungsbedingter (z. B. Diabetes mellitus) und chronisch-degenerativer Krankheiten (z. B. Demenz vom Alzheimer-Typ),
  • die Verbesserung des individuellen Gesundheitsstatus,
  • die Optimierung der Pharmakotherapie,
  • der Erhalt der Vitalität und Leistungsfähigkeit bis ins hohe Lebensalter (Anti-Aging).

Kastentext: Diabetische Mikro- und Makroangiopathien in Zahlen

  • Makroangiopathien (Herzinfarkt, Schlaganfall) 70% der Diabetiker sterben an athero-thrombotischen Ereignissen, die bei Typ-2-Diabetikern durch das metabolische Syndrom erheblich gefördert werden. Das Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko ist im Vergleich zur Normalbevölkerung um das 3- bis 6fache erhöht. Autonome kardiale Neuropathien sind für stumme Myokardinfarkte verantwortlich.
  • Mikroangiopathien (Nephro-, Retinopathien) Die diabetische Nephropathie ist die häufigste Ursache für eine Nierenersatztherapie. Etwa 40% der Typ-1- und 20% der Typ-2-Diabetiker entwickeln innerhalb von 10 Jahren chronisches Nierenversagen. In den westlichen Industrienationen ist die diabetische Retinopathie die häufigste Ursache zu erblinden. Im Vergleich zum Stoffwechselgesunden haben Diabetiker ein etwa 25fach höheres Erblindungsrisiko.
  • Neuropathien Etwa 60 bis 90% aller Diabetiker sind von Neuropathien betroffen. Häufigste Form ist die distal symmetrische Polyneuropathie mit strumpf- und handschuhförmig verteilten Sensibilitätsstörungen. Daneben treten motorische Störungen (Muskelatrophie, -paresen) sowie Neuropathien des autonomen Nervensystems (Obstipation, Impotenz, stummer Myokardinfarkt, Ruhetachykardie u. a.) auf.
  • Diabetischer Fuß Die aufgeführten Angiopathien können im schlimmsten Fall zur Entwicklung des diabetischen Fußes führen, der als Folge eines über Jahre schlecht eingestellten Diabetes mit diabetischer Neuropathie auftritt. In Deutschland kommt es pro Jahr zu etwa 36 000 Neuerkrankungen und 28 000 Fußamputationen. Im Vergleich zum Nichtdiabetiker hat der Diabetiker ein etwa 30fach höheres Amputationsrisiko.

Literaturtipp

Orthomolekulare Medizin. Ein Leitfaden für Apotheker und Ärzte. Von Uwe Gröber. XIV, 271 S., 11 Abb., 74 Tab., geb. 40,40 Euro. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 2000. ISBN 3-8047-1758-60


Literatur

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