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Barmer-Symposium zur Frauengesundheit: Frauen und Arzneimittel

BERLIN (ks). Ein Geheimnis ist es nicht: Frauen bekommen mehr und andere Arzneimittel als Männer verschrieben. Schlafmittel, Psychopharmaka, Medikamente gegen Kopfschmerzen und niedrigen Blutdruck liegen bei Frauen weit vorn. Zudem sind natürliche Zustände Ų z. B. Menstruation oder Menopause Ų zur behandlungsbedürftigen Krankheit umdefiniert worden. In Zeiten, da die gesetzlichen Krankenkassen über steigende Arzneimittelausgaben klagen, liegt es nahe, diese geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Arzneimitteltherapie genauer zu betrachten. Die Barmer Ersatzkasse, bei der überproportional viele Frauen versichert sind, widmete daher dem Thema Frauengesundheit am 11. Dezember in Berlin ein Symposium.

Das Fazit der Veranstaltung: Eine schärfere Sicht auf die spezifischen Bedürfnisse von Frauen ist entscheidender Baustein für eine bessere Qualität in der Arzneimitteltherapie insgesamt.

Zu den Referenten gehörte auch der Bremer Arzneimittelversorgungsforscher Prof. Dr. Gerd Glaeske. Das Thema Arzneimittelversorgung von Frauen beschäftigt den Pharmakologen schon seit geraumer Zeit. Zu seinen Feststellungen gehört, dass bei Frauen häufig eine Über- oder Fehlversorgung stattfindet, soweit es um Arzneimittel geht, die auf die Psyche wirken. Bei somatischen Erkrankungen sind Frauen hingegen eher unterversorgt.

Keine echte Überraschung dürften daher die Auffälligkeiten gewesen sein, die Glaeske bei der Auswertung von Barmer-Arzneimitteldaten entdeckte: Er analysierte die Daten von rund 29 000 Männern und 23 000 Frauen, die 2001 mit einer Diagnose aus der Gruppe der Herz-Kreislauf-Erkrankungen aus dem Krankenhaus entlassen worden waren. Von diesen hatten 5835 Männer und 4615 Frauen einen Herzinfarkt.

Die Betrachtung der anschließenden Arzneimitteltherapie zeige gravierende Unterschiede, die auch für den künftigen Krankheitsverlauf relevant sein könnten, erläuterte Glaeske. So bekamen z. B. 36 Prozent der Männer im Alter von 50 bis 54 Jahren einen Betarezeptorenblocker – bei Frauen der gleichen Altersgruppe waren es nur 26 Prozent. Die notwendigen Thrombozytenaggregationshemmer bekamen 44 Prozent der Männer zwischen 55 und 59 Jahren, aber nur 32 Prozent der Frauen. Bei den CSE-Hemmern betrug der Unterschied in dieser Altersgruppe 61 Prozent zu 49 Prozent.

Dabei, so Glaeske, sei durch viele Studien belegt, dass Patienten mit einem Herzinfarkt oder auch einer instabilen Angina pectoris schon bei normalen Cholesterinwerten dauerhaft mit CSE-Hemmern behandelt werden sollten. Die Auswertung der Daten zeige, dass die Qualität in der Arzneimitteltherapie für Frauen rationaler werden und sich stärker an bereits vorhandenem Wissen ausrichten müsse, erklärte der Pharmakologe.

Frauen in klinischen Studien oft unberücksichtigt

Dies bestätigte auch Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek, die an der Charite und dem Deutschen Herzzentrum Berlin mit dem Schwerpunkt Herz-Kreislauf-Erkrankungen forscht. Große Studien zu den wirksamsten Medikamenten bei Herzerkrankungen hätten in der Vergangenheit Frauen häufig nicht oder nur unzureichend eingeschlossen, erklärte die Ärztin.

Sie verwies u. a. auf die Ergebnisse der Digitalis-Überlebensstudie von 1997, die kürzlich erstmals nach geschlechterspezifischen Kriterien ausgewertet wurde. Dabei wurde eine überproportionale Sterblichkeit von Frauen festgestellt. Auch wenn die Gründe hierfür derzeit noch nicht geklärt seien, mache dies doch deutlich, wie dringend die Prüfung kardiovaskulär wirksamer Medikamente an Frauen sei, so Regitz-Zagrosek.

Die Ärztin wies auch darauf hin, dass Frauen das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen unterschätze: 70 Prozent der Frauen fürchten an Brustkrebs zu sterben. Tatsächlich sei es für Frauen viel wahrscheinlicher, Herzerkrankungen zum Opfer zu fallen.

Unsicherheiten in der Hormonersatztherapie

Prof. Dr. Martina Dören vom Klinischen Forschungszentrum der Freien Universität Berlin ging auf Nutzen und Risiken einer Hormontherapie bei Frauen in den Wechseljahren ein. Hier müsse man sich auf einen Paradigmenwechsel einstellen, so die Gynäkologin. Sie verwies auf die Ergebnisse der Women's Health Initiative.

Diese weltweit größte klinische Studie zur Hormonsubstitution in den USA war im Juli 2002 vorzeitig beendet worden. Es hatte sich gezeigt, dass Frauen, denen im Rahmen dieser Studie Östrogen- und Gelbkörperhormonpräparate gegeben wurden, mehr Herzinfarkte, Lungenembolien, Schlaganfälle und Brustkrebserkrankungen erlitten als Frauen mit Placebobehandlung.

Der Teil der Studie, die eine alleinige Östrogentherapie untersucht, läuft hingegen weiter. Dören warnte davor, zu behaupten, die Studie könne nicht auf hiesige Verhältnisse übertragen werden, weil Präparate dieser Zusammensetzung in Deutschland nicht zur Anwendung kämen.

Es gebe Hinweise, dass Östrogen-Gestagen-Kombinationen grundsätzlich gefährlicher seien als die Monotherapie mit Östrogen. Für die in Deutschland üblichen Präparate mehr Sicherheit zu gewinnen, sei nun vorrangiges Ziel. Daher, so Dören, sollte ein entsprechend ausgerichtetes klinisch-epidemiologisches Gesundheitsforschungsprogramm etabliert werden.

Geschlechterspezifische Betrachtung fördern

Auch die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, in der Gesundheitspolitik die spezifischen Probleme von Frauen besser zu berücksichtigen. Klaus Theo Schröder, Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit und soziale Sicherung, verwies etwa auf die neuen Disease-Management-Programme für Brustkrebs.

Das Ministerium wolle sich auch dafür einsetzen, dass die forschenden Arzneimittelhersteller künftig mehr Frauen in ihre klinischen Studien einbeziehen, bzw. bei bestimmten Erkrankungen ausschließlich frauenspezifische Studien durchführen. Zudem soll mehr Fortbildung und eine größere Vernetzung die Situation für Frauen verbessern.

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