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Integritas feiert 40-jähriges Bestehen

BONN (hb). Für Integritas - Verein für lautere Heilmittelwerbung e.V. gab es anlässlich der Jahresmitgliederversammlung am 26. November 2002 in der Bad Godesberger Redoute einen besonderen Grund zum Feiern. Das Selbstkontrollorgan der Industrie, das vom Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH), vom Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) und vom Verband der Reformwarenhersteller (VRH) getragen wird, wurde vor 40 Jahren ins Leben gerufen. Inwieweit Formen der Selbstkontrolle heute ins politische Konzept passen, beleuchtete der Festredner Dr. Wolfgang Schulz vom Hans-Bredow-Institut für Medienforschung der Universität Hamburg.

In seinem Grußwort blickte der Vorstandsvorsitzende von Integritas Rechtsanwalt Wolfgang Reinsch zunächst kurz zurück in die Geschichte des Vereins. Als dieser im Jahr 1962 gegründet wurde, habe das Heilmittelwerbegesetz noch nicht existiert, und Werbung sei noch lange nicht so selbstverständlich und Teil unserer Alltagskultur gewesen wie heute. Dies gelte besonders für die Werbung für rezeptfreie Arzneimittel.

Erst nach und nach sei es gelungen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass Arzneimittelwerbung ein wesentliches Informationsmedium für den Verbraucher und Patienten darstelle. Gleichzeitig habe man jedoch auch dafür sorgen müssen, dass die Werbung Treibenden bestimmte Regeln einhalten, die dem Image des Arzneimittels und der besonderen Situation des angesprochenen Verbrauchers angemessen sind.

Integritas möchte Werberecht mitgestalten

In der Folge seien die Regelungen des Heilmittelwerbegesetz mehrfach an die sich wandelnde Lebenswirklichkeit angepasst worden, woran auch Integritas entscheidend mitgewirkt habe. Als eine "Glanzleistung" des Vereins führte Reinsch an dieser Stelle die so genannte Pflichtangabenregelung an.

Im Jahr 1990 sei es Integritas gemeinsam mit den ihn tragenden Verbänden der Arzneimittelhersteller und dem Zentralverband der Werbewirtschaft gelungen, die politischen Entscheidungsträger mit Hilfe fundierter kommunikationswissenschaftlicher Erkenntnisse davon zu überzeugen, dass der mittlerweile jedermann bekannte Hinweis "Zu Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage ..." den Verbraucher in den audiovisuellen Medien angemessener auf die Besonderheit der Ware "Arzneimittel" hinweist als der bis dahin vorgeschriebene detaillierte Katalog der "Pflichtangaben". Erst im Jahr 1998 habe eine vergleichbare Regelung schließlich auch in die Printmedien Eingang gefunden.

Klare Grenzziehung zwischen Information und Werbung gefordert

Integritas werde, so kündigte Reinsch an, auch weiterhin Vorschläge zur Modernisierung und Anpassung des Heilmittelwerbegesetzes unterbreiten. Im Visier habe der Verein besonders die dringend erforderliche Überarbeitung der Liste von Krankheiten, für deren Behandlung beim Publikum nicht geworben werden darf.

Darüber hinaus hält er eine grundsätzliche Verständigung über die Grenzziehung zwischen Information über Arzneimittel und die Behandlung von Krankheiten und Werbung im engeren Sinne ebenfalls für dringend notwendig. Sollten die Beteiligten hier nicht bald zu einer "Lösung mit Augenmaß" kommen, so befürchtet Reinsch ein nicht zu kontrollierendes Informations-, Werbe- und Warenangebot aus dem Internet und anderen Informationskanälen.

Konsequente Werbenachkontrolle

Auch auf die Alltagsarbeit von Integritas ging der Vorstandsvorsitzende ein. Satzungsgemäß führe der Verein eine systematische Werbenachkontrolle der Arzneimittelwerbung aber auch verwandter Produkte, wie Lebensmittel, Kosmetika und Medizinprodukte durch, die – wenn sie auch nicht lückenlos erfolgen könne – doch weit über eine Stichprobentätigkeit hinausgehe.

Dabei sei Integritas nicht bestrebt, seine Existenz durch möglichst viele Abmahnungen und Gerichtsverfahren zu legitimieren. Im Focus des Interesses stünden vielmehr solche Sachverhalte, die von grundsätzlicher Bedeutung sind, bei denen Rechtsunsicherheit besteht und bei denen eine vernünftige Lösung durch die Rechtsprechung denkbar erscheint. Hartnäckig verfolge der Verein darüber hinaus solche Verstöße, die politische Argumente für neue Restriktionen bieten.

Mit Werbenachkontrolle mache man sich nicht beliebt. Dennoch sei es Integritas gelungen ist, bei seinen Mitgliedsfirmen und den Arzneimittelherstellern und -vertreibern insgesamt zu einem anerkannten Gesprächspartner zu werden

Auch die Politik scheine der Selbstkontrolle und ihren Einrichtungen mehr Aufmerksamkeit schenken zu wollen. So interpretiert Reinsch jedenfalls den Studienauftrag der Bundesregierung an das Hans-Bredow-Institut der Universität Hamburg mit dem Titel "Regulierte Selbstregulierung als Form modernen Regierens". Deren Repräsentant Dr. Wolfgang Schulz, Festredner bei der Jubiläumsveranstaltung, stellte die Kernpunkte der Studie vor.

Der Begriff der Regulierung

Unter Regulierung versteht Schulz "die Beeinflussung bestimmter Prozesse in der Richtung, dass ein gesellschaftliches Ziel, zum Beispiel ein angemessener Schutz von Kindern und Jugendlichen oder Verbrauchergruppen, mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erreicht werden kann". Selbstregulierung liege vor, wenn dies ohne staatliche Einflussnahme durch gesellschaftliche Akteure, etwa die Unternehmen in dem betreffenden Markt, selbst geleistet werde und dies auch so beabsichtigt sei. Bei der "regulierten Selbstregulierung" nehme der Staat in welcher Form auch immer Einfluss auf die Selbstregulierung, um das Erreichen des Ziels zu unterstützen oder dieses bei Versagen der Selbstregulierung selbst zu erreichen.

Trend zu neuen Formen der Regulierung

Seit mehreren Jahrzehnten sei zunehmend zu beobachten, dass der Staat mit seiner Rolle überfordert sei. Die Konsequenz sei ein Trend zur Deregulierung und die Suche nach anderen Formen der Regulierung. Selbstregulierung erscheine zunehmend als Alternative oder Ergänzung des staatlichen Handlungsrepertoires. Vieles spreche dafür, dass in bestimmten Bereichen eine Verknüpfung staatlicher Regulierung mit Selbstregulierung einen, wenn nicht sogar den einzigen Weg darstelle, bestimmte gesellschaftliche Ziele unter veränderten Bedingungen effektiv durchzusetzen.

"Industry Codes" als Basis der Selbstregulierung

Kern der Untersuchung, die das Hans-Bredow-Institut für Medienforschung im Auftrag der Bundesregierung durchgeführt habe, sei die Fallstudie Australien gewesen. Dort sei es in den 90ern des letzten Jahrhunderts in den Bereichen Rundfunk und Telekommunikation zu einem generellen Wechsel hin zu Selbstregulierung, genauer gesagt zu einem Musterfall regulierter Selbstregulierung gekommen.

Die Basis der Selbstregulierung bildeten so genannte Industry Codes. In diesen Codes gebe sich die Industrie Regeln, die die Unternehmen zur Erreichung bestimmter Ziele zu befolgen haben. Die Codes müssten von der staatlichen Aufsichtsinstanz registriert werden. Hierbei werde überprüft, ob die gesetzlichen Vorgaben für die Erstellung der Kodizes eingehalten werden. Außerdem begleite eine Aufsichtsinstanz den Prozess ihrer Erstellung.

Eine systematische Kontrolle durch die Aufsichtsinstanz gebe es nicht Werde allerdings einem Verstoß gegen den Kodex nicht abgeholfen, so könnten sich Betroffene direkt an die staatliche Aufsichtsinstanz wenden. Diese könne dann bei mehrfachen Verstößen durch verschiedene Instrumente staatliches Recht schließlich doch unmittelbar durchsetzen, womit die Selbstregulierung insoweit außer Kraft trete. Auf diese Wiese behalte die staatliche Aufsichtsinstanz die Auffangverantwortung, aber nur für den Fall, dass die Selbstregulierung scheitere.

Selbstregulierung geht nicht immer

Die Ergebnisse der Studie hätten gezeigt, dass die regulierte Selbstregulierung vor allem dann besonders erfolgversprechend zu sein scheint, wenn folgende Bedingungen erfüllt seien:

  • Die Ziele sind nicht derart fundamental, dass in der Öffentlichkeit eine staatliche Steuerung erwartet wird.
  • In Bezug auf das angestrebte Ziel sind die Interessen der verschiedenen Beteiligten aus der Industrie nicht komplett gegensätzlich, sondern sie überschneiden sich zumindest zum Teil.
  • Einer staatlichen Steuerung stehen Gründe wie etwa schnelle Veränderungen und komplexe Strukturen im Feld der Regulierung, Probleme der Informationsgewinnung auf Seiten der staatlichen Aufsichtsinstanzen oder auch rechtliche Beschränkungen entgegen.

Die Bearbeiter der Studie hätten zahlreiche Instrumente ("Tools") zur Regulierung von Selbstregulierung herausgearbeitet, die sich zu unterschiedlichen Modellen zusammenfügen ließen. Drei würden in der Studie näher charakterisiert: Das "normzentrierte Modell" greift an der Erstellung der Codes an, an denen sich die Arbeit der Unternehmen im Hinblick auf ein Regulierungsziel auszurichten hat. Das so genannte organisationszentrierte Modell setzt bei der Institution an, die die Selbstregulierung durchführen soll. Das dritte Modell, das "Supervisions-Modell", nutzt unternehmensinternes Wissens-Management, wie etwa ein Qualitätssicherungssystem gleichzeitig zur Sicherstellung rechtlicher Vorgaben.

Praxisbeispiel Jugendmedienschutz

Als einen Bereich, in dem das Konzept regulierter Selbstregulierung mit Aussicht auf Erfolg eingesetzt werde, nannte Schulz den Jugendmedienschutz. Die Gegenstände der Regulierung, Inhalte von Fernsehprogrammen und Online-Diensten, veränderten sich rasch und die Bedingungen ihrer Entwicklung seien für Aufsichtsbehörden nur schwer zu durchschauen, weshalb Reaktionen durch den Gesetzgeber oder den Regulierer häufig zu spät kämen.

Der neue Jugendmedienschutzstaatsvertrag, der sich derzeit im Ratifizierungsverfahren befinde, basiere daher auf Selbstkontrolleinrichtungen der Industrie im Bereich Rundfunk und Telemedien. Für die Kontrolle dieser privaten Kontrolleure werde ein neues Gremium gebildet, das aus Direktoren der Landesmedienanstalten und Vertretern von Bund und Ländern bestehe. Dieses könne, wenn die Selbstkontrolle den gesetzlich eingeräumten Beurteilungsspielraum überschreite, direkt auf den Veranstalter zugreifen.

Es habe aber auch die Möglichkeit, die Selbstkontrolleinrichtungen zu zertifizieren bzw. ggf. eine Zertifizierung widerrufen. Das neue Modell habe bei den Beteiligten und Experten der Medienpolitik und des Medienrechts sehr unterschiedliche Resonanz. ausgelöst. Dennoch hegt Schulz die Hoffnung, dass sich das Konzept in der Praxis gut etablieren wird.

Regulierte Selbstregulierung auch im Arzneimittelbereich?

Seiner Einschätzung nach kommt es dann kaum in Betracht, wenn das Risiko eines Versagens der Selbstkontrolle erhebliche gesellschaftliche Schäden hervorrufen könnte, so zum Beispiel auf dem Gebiet der Arzneimittelzulassung. Anders ist die Situation seiner Meinung nach im Bereich der behördlich Überwachung zu beurteilen. Möglicherweise könne diese auch durch private Kontrollinstitutionen erfolgen.

Der Bereich der Werbung werde in Deutschland vor allem durch gesetzliche Regeln zur Lauterkeit reguliert; für bestimmte Produktgruppen, wie Arzneimittel, gebe es darüber hinaus bestimmte, zum Teil straf- oder ordnungswidrigkeitsbewährte Verbote. Hier habe eine bestimmte Form von reiner Selbstregulierung durchaus bereits Tradition.

Anders sei die Lage aber wohl dann zu beurteilen, wenn sich Regeln erst herausbildeten, aber übergreifende Risiken bestünden, bzw. wenn die Ausbildung der Regeln mit dem Risiko des Vertrauensverlustes bei den Verbrauchern verbunden sei.

Kastentext

"Selbstkontrolle ist mehr als ein Feigenblatt der Industrie. Sie erfüllt zum Teil staatliche Aufgaben und dies mit Nachdruck, da ansonsten die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel steht." Integritas-Vorstandsvorsitzender Wolfgang Reinsch

Kastentext "Regulierung" nach DIN 19226

Definition: "Vorgang, bei dem eine Größe, die zu regelnde Größe, fortlaufend erfasst, mit einer anderen Größe, der Führungsgröße, verglichen, und abhängig vom Ergebnis dieses Vergleichs im Sinne einer Angleichung an die Führungsgröße beeinflusst wird. Der sich dabei ergebende Wirkungsablauf findet in einem geschlossenen Kreis, dem Regelkreis statt."

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