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Rürup-Kommission: Für eine Liberalisierung der Arzneimittelversorgung

BERLIN (ks). Nach der von der Regierung gepriesenen Arbeit der Hartz-Kommission für den Arbeitsmarkt sollen nun die Sozialversicherungssysteme von einer neuen Kommission unter die Lupe genommen werden. Unter der Leitung des Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlers Bert Rürup soll die Kommission Vorschläge für eine nachhaltige Finanzierung und Weiterentwicklung der Sozialversicherung entwickeln. Rürup ist bereits ein erfahrener Regierungsberater, seit März 2000 ist er einer der "fünf Weisen" im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Nun soll das SPD-Mitglied die Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung "zukunftsfest" machen. Für Apotheker dürfte das kein Zuckerschlecken werden.

Die Regierungskoalition setzt die Kommission mit dem Auftrag ein, "die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung im Hinblick auf die durch die Bevölkerungsentwicklung und den medizinisch-technischen Fortschritt bewirkte Ausgabendynamik langfristig zu sichern". Zudem soll sie Vorschläge entwickeln, wie künftig die immer stärker werdende Bedeutung der Prävention zur Vorbeugung gegen Krankheiten und zur finanziellen Stabilisierung des Systems genutzt werden kann.

Zur Organisation der Kommissionsarbeit wird eine beim Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung angesiedelte Geschäftsstelle eingerichtet. Die Kommission, für deren Ausgaben im Haushaltsjahr 2003 rund eine Million Euro eingeplant werden, soll im Herbst 2003 ihren Bericht vorlegen. Soweit zeitlich möglich, sollen dabei die Ergebnisse der Gesundheitsreform 2003 berücksichtigt werden.

Hieraus wollen Bundesregierung und Koalitionsfraktionen sodann Schlussfolgerungen für weitere Reformschritte in den Sicherungssystemen ziehen. Das Gremium in seiner genauen Zusammensetzung sollte am 20. November – nach Redaktionsschluss – von Sozialministerin Ulla Schmidt vorgestellt werden.

Was Ökonomen nicht zu erklären ist...

Was Apotheker inhaltlich erwarten können, mag ein Satz Rürups aus einem aktuellen "Spiegel"-Interview veranschaulichen: "Warum in Deutschland der Internet-Handel mit Medikamenten und der Besitz mehrerer Apotheken verboten ist, warum es eine Preisbindung für Medikamente gibt – das können sie einem Ökonomen nicht erklären". In diesem Punkt dürfte Rürup die Unterstützung von Ministerin Ulla Schmidt sicher sein.

Doch der Wirtschaftsweise hat bekanntermaßen auch Reformansätze, die Schmidt widerstreben dürften. So sprach er sich im "Spiegel" etwa auch für Kopfprämien in der GKV statt lohnabhängiger Beiträge und ausgezahlte Arbeitgeberanteile aus. Dennoch will Schmidt es mit ihm wagen. Letztlich wird er als Vorsitzender nur einer der Ideengeber der mehrköpfigen Kommission sein, zu der voraussichtlich u. a auch der Kölner Gesundheitsökonom Karl Lauterbach und DGB-Vize Ursula Engelen-Kefer gehören werden.

Wirtschaftweise für Systemwechsel – auch in der Arzneimittelpolitik

Einen Einblick in Rürups Vorstellungswelt in Sachen Arzneimittelversorgung gibt schon jetzt das am 13. November in Berlin vorgestellte "Jahresgutachten 2002/03". Zwanzig Punkte für Beschäftigung und Wachstum schlägt der Sachverständigenrat hierin vor. Mit den größten Handlungsbedarf sieht der Rat in der Gesundheitspolitik.

Für Apotheker ist vor allem der Programmpunkt 15 des Gutachtens von Interesse. Unter dem Titel "Liberalisierung des Arzneimittelvertriebs" heißt es dort: "Aufgrund der Exklusivität des Arzneimittelvertriebs über Apotheken, wegen des Mehrbesitzverbots von Apotheken und insbesondere als Folge einheitlicher Apothekenabgabepreise fehlt es in diesem Segment an Wettbewerb. Daher ist es im Interesse einer höheren, die Kosten senkenden Wettbewerbsintensität erforderlich, die derzeitige Preisbindung der zweiten Hand für Arzneimittel sowie die Verbote des Versandhandels und des Mehrbesitzes aufzuheben."

Derzeitiger Arzneimittelvertrieb "überholt und wenig effizient"

Zur Erläuterung dieses Programmpunkts heißt es in dem Gutachten, die Organisationsstruktur des Arzneimittelvertriebs müsse als überholt und wenig effizient bezeichnet werden. Der Sachverständigenrat plädiert daher für eine Aufhebung der Preisbindung verbunden mit einer Umstellung der Zuzahlung auf einen prozentualen Anteil vom Abgabepreis.

Für die Abkehr von der Preisbindung der zweiten Hand spreche auch, dass das Lagerrisiko und die entsprechende Kapitalbindung mittlerweile weitgehend vom Großhandel getragen werde. Das Argument, den Kunden seien Preisvergleiche nicht zumutbar, könne bei mündigen Verbrauchern keine Berechtigung mehr haben.

Neben dem Versandhandelsverbot sei auch das Mehrbesitzverbot nicht mehr zeitgemäß, liest man im Gutachten weiter. Mit dem Entstehen größerer Betriebseinheiten wären wünschenswerte Skaleneffekte und eine Intensivierung des Wettbewerbs verbunden. Zudem würden die Voraussetzungen geschaffen, dass die Kassen mit Apothekengruppen kostengünstiger Leistungsverträge abschließen können.

Mindestlösung: Neue Vergütung für Apotheker

Die Wirtschaftsweisen scheinen jedoch nicht davon überzeugt, dass die Politik die Kraft zu einer "solchen überfälligen Liberalisierung" haben wird. Und so schlägt der Sachverständigenrat vor, zumindest die derzeitige Vergütung der Apotheker zu verändern. Gegenwärtig resultiere das Einkommen der Apotheker beim Arzneimittelverkauf in der Regel aus einer proportional zum Einkaufspreis berechneten Handelsspanne.

Die Beratungsfunktion werde also nicht honoriert, folgern die Sachverständigen. Hinzu komme, dass im Bereich der niedrigpreisigen Medikamente die Aufschläge nicht kostendeckend seien und somit eine Subventionierung durch die hochpreisigen Arzneimittel stattfinde. Letztlich subventioniere so die GKV den Verkauf niedrigpreisiger Produkte. Eine Modifikation sei auch im Hinblick auf aut idem geboten, denn der Apotheker könne unter diesem Honorierungssystem kaum Interesse an der Abgabe preisgünstiger Medikamente haben.

Ein Fixzuschlag könnte nach Auffassung der Gutachter diese Probleme lösen. Mit ihnen entfiele das Interesse der Apotheker an hohen Hersteller- bzw. Abgabepreisen, und es würden Anreize zum Aushandeln günstiger Einkaufspreise gesetzt. Auch einer den Versandapotheken vorgeworfenen Rosinenpickerei könne auf diese Weise entgegengewirkt werden.

Bei aller sonstigen Kritik: im Gesundheitsbereich sieht sich Bundeskanzler Gerhard Schröder durch das Gutachten der fünf Weisen bestätigt. Alles, was dort etwa über mehr Transparenz und Wettbewerb gesagt werde, sei bereits eingeleitet. Schröder machte deutlich, dass er selbst und die gesamte Bundesregierung hinter den Vorstellungen der Ministerin stehe. "Wir müssen den Interessengruppen deutlich machen, dass die Stabilisierung des Systems und die Leistungserbringung für alle, die medizinisch darauf angewiesen sind, nur gelingen kann, wenn der Wettbewerb in das System kommt."

Nach der von der Regierung gepriesenen Arbeit der Hartz-Kommission für den Arbeitsmarkt sollen nun die Sozialversicherungssysteme von einer neuen Kommission unter die Lupe genommen werden. Unter der Leitung des Wirtschafts- und Finanzwissenschaftlers Bert Rürup soll die Kommission Vorschläge für eine nachhaltige Finanzierung und Weiterentwicklung der Sozialversicherung entwickeln. Rürup ist bereits ein erfahrener Regierungsberater, seit März 2000 ist er einer der "fünf Weisen" im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Nun soll das SPD-Mitglied die Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung "zukunftsfest" machen. Für Apotheker dürfte das kein Zuckerschlecken werden.

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