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Nobelpreis für Chemie: Strukturanalyse biologischer Makromoleküle

Der Nobelpreis für Chemie geht in diesem Jahr für die Entwicklung von Methoden zur Identifikation und Strukturanalyse biologischer Makromoleküle an drei Forscher aus der Schweiz, aus Japan und den USA. Der US-Amerikaner John Fenn und der Japaner Koichi Tanaka wurden für ihre Innovationen in der Massenspektrometrie (MS), genauer für ihre Entwicklung von weichen Desorption/Ionisation-Methoden zur massenspektrometrischen Analyse von biologischen Makromolekülen ausgezeichnet und erhielten je ein Viertel des Preises. Der Schweizer Kurt Wüthrich erhielt die andere Hälfte des Preises für die Entwicklung der Kernresonanzspektroskopie (NMR) zur Bestimmung der dreidimensionalen Struktur von biologischen Makromolekülen in Lösung.

Massenspektrometrie

Ein mit einer HPLC gekoppelter Massenspektrometer kann Substanzmengen im Pikogrammbereich detektieren. Das Grundprinzip der MS ist einfach: Die Probenmoleküle werden im Hochvakuum ionisiert und anschließend fragmentiert. Die Molekülbruchstücke werden dann nach ihrer Masse in einem Magnetfeld getrennt bzw. fokussiert. Man erhält für jede Substanz ein charakteristisches Massenspektrum.

Ein Massenspektrometer besteht aus einer Ionenquelle, einem Massenanalysator zur Ionentrennung und einem Detektor zum Ionennachweis. Niedermolekulare Substanzen werden häufig mit Elektronenstößen ionisiert. Bei organischen Molekülen kann dies jedoch Probleme bereiten, da sie durch die recht hohen Energiebeträge zu stark fragmentiert werden. Außerdem können stark polare und höhermolekulare Verbindungen schon vor der Ionisation zerfallen.

Um diese Probleme auszuräumen, sind so genannte weiche Ionisationsmethoden entwickelt worden. Dazu zählen

  • die chemische Ionisation, z. B. mit Methangas,
  • das Fast Atom Bombardment (FAB), bei dem die Proben mit neutralen Atomen wie Argon oder Xenon beschossen werden, und
  • die Weiche Laserdesorption (Soft Laser Desorption, SLD), die Koichi Tanaka entwickelt hat.

Weiche Laserdesorption

In den 80er-Jahren begannen Wissenschaftler mit Versuchen, kleine Proben flüssiger und fester Substanzen mittels Laserlicht zu verdampfen, ohne sie dabei zu degradieren. V. S. Lethokow in Moskau gelang dies bei Aminosäuren. Doch laut Nobelpreiskomitee hat erst Koichi Tanaka den Durchbruch bei großen Biomolekülen geschafft und intakte Proteine analysiert.

Ende der 80er-Jahre gelang es Tanaka, Chymotrypsin, Carboxypeptidase A und Cytochrom C mit MS-gekoppelter SLD zu vermessen (LD-MS). Er fand die richtige Kombination aus Laserenergie, Laserwellenlänge, Matrix und weiteren Parametern, um seine Proteine unbeschadet zu verdampfen. Darauf ionisierte und fragmentierte er sie mit einem Stickstofflaser niedriger Energie und erbrachte so den Nachweis, dass die Lasertechnologie auf Makromoleküle anwendbar ist.

Die LD-MS war die Grundlage für die von Michael Karas und Franz Hillenkampf entwickelte Matrix-unterstützte Laser-Desorptions/Ionisations-Massenspektrometrie (MALDI-MS). Während die LD-MS heute keinerlei praktische Bedeutung hat, weil die LD-MS-Spektren nur geringe Intensitäten und eine zu starke Fragmentierung der Analytmoleküle zeigen, haben die MALDI-Verfahren Einzug in die Labore der Welt gehalten. Dabei werden die Analytmoleküle in bestimmte Matrixsubstanzen, die bei der eingestrahlten Laserwellenlänge ein Absorptionsmaximum haben, eingebettet, sodass sie "weich" ionisiert werden (meist einfach geladen) und in nur wenige Fragmente zerfallen.

Daran, dass das Nobelpreiskomitee die Erfinder der MALDI-MS nicht berücksichtigte, ist deutliche Kritik geübt worden (so von DPhG-Präsident Professor Theodor Dingermann in DAZ Nr. 42, S. 127). Merkwürdigerweise nennt sogar das Nobelpreiskomitee in seiner Presseerklärung die Namen Karas und Hillenkampf häufiger als den Namen Tanaka.

Elektrospray-Ionisation

Bereits 1911 hatte John Zeleny, Professor für Physik an der Yale-Universität, ein Elektroskop zum Studium der Strahlung und der Atom- und Molekularstruktur entwickelt, das nach dem Prinzip der Elektrospray-Ionisation funktioniert haben soll. Wie auch immer – John Fenn entwickelte seine MS-gekoppelte Elektrospray-Ionisation, kurz ESI-MS, etwa zur gleichen Zeit wie Tanaka seine LD-MS. Fenn gelang 1988 auf einem Symposion in San Francisco der wissenschaftliche Durchbruch, als er die Identifizierung von Proteinen mit einer Molmasse von 40 Kilodalton mittels ESI-MS vorstellte.

Die ESI-MS beruht auf der Rayleigh-Explosion. Aus einer HPLC-Säule werden Tröpfchen der Substanzlösung als Aerosol in die Ionisationskammer vernebelt. Eine zuvor in der Ionisationskammer angelegte Spannung von mehreren tausend Volt lädt die Tröpfchen je nach Ausrichtung positiv oder negativ auf. Schrumpfen die Tröpfchen beim Verdampfen in der Ionisationskammer so weit ein, dass die Zahl der auf ihren Oberflächen versammelten, auseinanderstrebenden Ladungen im Verhältnis zur Tröpfchengröße zu groß wird, explodieren sie. Es entstehen neue, kleinere Tröpfchen.

Nachdem das Lösungsmittel verdampft und die Probe desolvatisiert ist, bilden sich (bei höhermolekularen Substanzen) Ionen mit 20 und mehr Ladungen. Sie erscheinen in den Spektren als so genannte Molmasse-Cluster, aus denen sich die relativen Molmassen mit einer Genauigkeit von 0,01% errechnen lassen.

Die Berechnung ist eine Dekonvolution, das heißt eine Umwandlung der gemessenen Funktion in die gefragte Funktion. Die ESI-MS-Analyse ergibt eine regelmäßige Reihe von Peaks, die das Verhältnis der Masse zur Ladung widerspiegeln. Die große Leistung Fenns bestand darin, diesen Zuwachs an Komplexität im Spektrum, der die meisten Forscher verwirrte, zu nutzen, um die Molmasse genauer zu bestimmen. 1987 hatte er die Vielladungstheorie (multiple charge theory) entwickelt, die zeigte, dass die unterschiedlichen Ladungsniveaus als unabhängige Messungen der Molmasse interpretiert werden können und sich

Ein großer Vorteil ist auch, dass die Empfindlichkeit der Methode durch hohe Massenflüsse nicht verändert wird. Sogar noch im Attomolbereich (1 –18) funktioniert das Verfahren. Zudem erlaubt es die Untersuchung molekularer Komplexe, die nur durch schwache, nicht-kovalente Kräfte zusammengehalten werden, wie z. B. Protein-Protein-, Enzym-Substrat- oder Protein-Ligand-Komplexe.

NMR-Spektrometrie

Die NMR-Spektrometrie (Nuclear Magnetic Resonance, Kernmagnetresonanz) ist das "Mikroskop der molekularen Chemiker". Bestrahlt man Protonen (1H) mit Radiowellen, gehen sie (wenn die Dosis ausreicht) in einen energiereicheren Zustand über. Bei dieser so genannten Resonanz sind die magnetischen Momente der Protonen in einem bestimmten Winkel ausgerichtet. Erreicht der Winkel 90 °, kann die entstandene Quermagnetisierung registriert werden.

Über die Rotation der ausgelenkten Protonen kann man auf die Struktur eines Kohlenwasserstoffs schließen. Ein wichtiges Phänomen dabei ist der Kern-Overhauser-Effekt (NOE): Die Relaxation (Energieabgabe) der angeregten Protonen erhöht sich signifikant, falls sie weniger als 3 Angström voneinander entfernt sind. So lässt sich der relative Abstand der H-Atome im Molekül bestimmen.

Bis 1985 konnte man Moleküle in Lösung nur zweidimensional darstellen. Dann veröffentlichte Wüthrich die dreidimensionale Struktur des gelösten Proteinase-Inhibitors IIA, eines kleinen Proteins aus dem Plasma von Bullensperma. Er hatte für diesen durchschlagenden Erfolg den Kern-Overhauser-Effekt mit der zweidimensionalen Protonenkorrelation (COSY) kombiniert. Der Rest war viel Mathematik.

Das bisherige Ende dieser fundamentalen Leistung sind die Kernspintomographen. Mithilfe elektronischer Rechenverfahren entstehen NMR-Querschnittbilder vom lebenden Menschen, die die Verteilung der frei beweglichen Wasserstoffatome darstellen und so Gewebestrukturen und Organe erkennen lassen.

Anwendung in der "Proteinstrukturfabrik"

Die chemische Biologie ist durch die ständig weiterentwickelten Verfahren heute zu einer "big science" geworden, so das Nobelpreiskomitee. Die Pharmakologen und Biochemiker können ihren Proteinen nun in der Zelle bei der Arbeit zusehen. Ohne die NMR gäbe es heute in Berlin keine "Proteinstrukturfabrik" zur systematischen Struktur- und Funktionsanalyse von Proteinen.

Dieser Leitprojektverbund aus dem Bereich "Diagnose und Therapie mit den Mitteln der Molekularen Medizin" ist ein großer nationaler Forschungsverbund, zu dem unter anderem das Forschungsinstitut für Molekulare Pharmakologie (FMP) und das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) gehören, die gemeinsam NMR-Spektroskopie betreiben.

Beispielsweise wird dort untersucht, wie die molekularen Maschinen der Zelle fehlerhafte Proteine zerlegen und abbauen. Solche Prozesse beschreiben zu können, ist wichtig, um eines Tages die Plaque-Bildung bei Morbus Alzheimer oder die Umstrukturierung der Prion-Proteine beim Creutzfeldt-Jakob-Syndrom zu verstehen. Die weltweit anwachsenden riesigen Proteindatenbanken tun ein Übriges, die Forschung auf diesem Feld voranzubringen.

Die Massenspektrometrie und ihre abgeleiteten Verfahren sind beim Nachweis bekannter Punktmutationen wegen ihrer Schnelligkeit und Genauigkeit unersetzlich. Auf dieser Grundlage kann gefragt werden: Wie exprimieren die 30 000 Gene des Menschen Hunderttausende von Proteinen? Was geschieht auf molekularer Ebene, wenn ein Gen mutiert oder verloren geht? Lässt sich damit die Diagnose verbessern? Und schließlich: Können die wichtigsten Volkskrankheiten schneller und besser therapiert werden?

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