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Beitragssatzsicherungsgesetz: Apothekenzukunft bedroht wie nie zuvor

HANNOVER (tmb). Was bedeutet das Beitragssatzsicherungsgesetz für die Apotheken? Für ABDA-Vize Heinz-Günter Wolf droht die "Verlumpung" des Berufsstandes, der ohne wirtschaftliche Grundlage keine Qualität mehr bieten kann. Welche Vorstellungen der Bundesregierung stehen hinter dem Gesetz? Was droht bei der späteren "großen" Reform? Antworten aus erster Hand bot die Mitgliederversammlung des Landesapothekerverbandes Niedersachsen am 6. November in Hannover. Peter Schmidt, der gesundheitspolitische Referent der SPD-Bundestagsfraktion, stand dort umfassend Rede und Antwort (siehe auch Bericht in AZ Nr. 4 vom 11. November).

ABDA-Vizepräsident und LAV-Vorsitzender Heinz-Günter Wolf erläuterte die wichtigsten Probleme des Beitragssatzsicherungsgesetzes, das bei den Apotheken eher als "Apothekenabschaltgesetz" ankomme. Anschließend präsentierte Peter Schmidt die Sichtweise der SPD.

Unmittelbar auf die Apotheken zielen die neuen abgestuften Rabatte von 6 bis 10% in Abhängigkeit vom Arzneimittelpreis. Für Wolf liegt das besondere Problem dieser Rabatte in ihrer pauschalen Anwendung auch auf Festbetrags- und Aut-idem-Arzneimittel. Hier bestehe bereits "brutaler Wettbewerb", der nun noch weiter intensiviert werden solle. Zudem solle dies dauerhaft und nicht nur temporär gelten, was der Idee eines Vorschaltgesetzes widerspreche.

Es sei auch unangemessen, die Apotheken erneut zu einem Opfer heranzuziehen, obwohl ihre Erträge durch den erhöhten Kassenrabatt bereits in diesem Jahr bei gestiegenen Umsätzen um 40 Mio. Euro gefallen seien. Die Apotheken müssten einen übermäßig großen Anteil der Einsparungen tragen, obwohl sie nur für 2,8% der GKV-Ausgaben verantwortlich sind.

Weiterhin solle der Großhandel den Apotheken einen zusätzlichen Rabatt in Höhe von 3% gewähren, den diese an die Krankenkassen weiterleiten müssen. Doch blieben viele Fragen offen, beispielsweise auf welche Preise sich die Prozentsätze beziehen, ob die Mehrwertsteuer einzubeziehen ist und woher der Großhandel wissen soll, wie viele Packungen an GKV-Versicherte abgegeben werden. Hier seien rechtliche Auseinandersetzungen vorprogrammiert. Vermutlich solle nicht direkt der Großhandel tangiert werden, damit das Gesetz nicht bundesratspflichtig werde.

Einkaufsrabatte sind nicht unanständig

Es werde immer wieder versucht, die angeblich "unanständigen" Einkaufsrabatte der Apotheken abzuschöpfen. Doch seien Rabatte des Großhandels an die Apotheken in der Begründung der Arzneimittelpreisverordnung ausdrücklich vorgesehen gewesen. Außerdem würden die Apotheken schon heute mehr Rabatte an Krankenkassen zahlen als sie vom Großhandel erhalten.

Dagegen werde die Industrie vergleichsweise geschont. Im Gegensatz zu den anderen Maßnahmen sei deren zusätzlicher Rabatt bis 2004 befristet. Der Hintergrund sei in der Macht der Gewerkschaften in großen Unternehmen zu sehen. Solchen Unternehmen werde in schwierigen Lagen geholfen, wie das Beispiel der Mobilcom zeige. Doch wenn die Gefahr bestehe, dass 20 000 oder 40 000 Arbeitsplätze an vielen verschiedenen Orten nacheinander verloren gingen, interessiere das nicht. Dann werde nicht einmal beachtet, dass dies meist flexible Frauenarbeitsplätze sind, wie sie kaum ein anderer Beruf bietet.

Qualität nicht mehr zu bezahlen

Insgesamt würden die Apotheken weitaus stärker belastet als dies ihrem Anteil an der Wertschöpfung im Arzneimittelbereich entspricht. Dagegen würden Vertreter der Krankenhäuser und der Ärzteschaft schon angesichts einer angekündigten Nullrunde auf die Straße gehen. Als Ergebnis würde nach einem Jahr nur noch etwa die Hälfte der Apotheken existieren können.

Doch liege es dann nahe, dass Apotheker sich angesichts einer existenziellen Bedrohung nicht mehr an die gegebenen Qualitätsanforderungen hielten. Es drohe eine "Gefahr der Verlumpung" des Berufsstandes. Die Apotheker seien bereit, hohe Qualität zu liefern, aber nicht, wenn ihnen der Boden weggezogen werde.

Dies sei auch nicht mit dem Sicherstellungsauftrag der Apotheker für die Arzneimittelversorgung vereinbar. Dies sei eine hoheitliche Aufgabe, für die die Apotheker mit der Arzneimittelpreisverordnung alimentiert würden.

Es verstoße gegen das Grundgesetz, die Aufgabe zu belassen, aber die Gegenleistung zu streichen. Dies werde bereits von Verfassungsjuristen geprüft. Außerdem werde mit dem Gesetzentwurf die Kompetenz des Bundesrates umgangen. Denn eine differenzierte Rabattregel, die 90% des Marktes betrifft, hebele die Arzneimittelpreisverordnung aus.

Daneben drohten enorme Konsequenzen für die praktische Arbeit. Die Abrechnung werde "chaotisiert", wenn die Apotheken als Rabattinkassostellen dienen sollen. Die bisherigen Abrechnungsregelungen seien gemeinsam mit den Krankenkassen in jahrelanger Detailarbeit erstellt und sollten nun "zwischen Weihnachten und Neujahr" neu geschaffen werden.

SPD: Alles halb so schlimm

Schmidt nahm detailliert zu den Problemen Stellung. Die zeitliche Befristung der Herstellerrabatte begründete er mit einer EU-Richtlinie, die dies vorschreibe. Die Hersteller würden auch durch die geplanten Festbeträge für "patentgeschützte Arzneimittel ohne signifikanten Zusatznutzen", d. h. für "Me-too-Produkte" belastet. Außerdem sollten die Hersteller nicht mit "Großkapital" gleichgesetzt werden, auch sie seien zu einem großen Teil Mittelständler.

Der Großhandel dürfte angesichts einer Wertschöpfung von 2 Mrd. Euro genügend Gewinne erwirtschaften, um seinen Anteil von 600 Mio. Euro selbst leisten zu können. Die Apotheken hätten demnach "nur" etwa 400 Mio. Euro zu tragen. Wegen der starken Größenunterschiede zwischen den Apotheken würden diese unterschiedlich getroffen. Doch bedeute Wettbewerb "schöpferische Zerstörung" und schließe damit die Möglichkeit des unfreiwilligen Marktaustritts ein.

Die von Schmidt angeführten Daten über die wirtschaftliche Situation der Apotheken widersprachen jedoch teilweise den ABDA-Daten. Wolf kündigte daraufhin an, sich unverzüglich um einen Datenabgleich mit den Politikern zu bemühen.

Keine Rettung in Sicht

Schmidt zeigte sich betroffen von den Berechnungen der ABDA, nach denen mindestens 20 000 Arbeitsplätze in Apotheken unmittelbar gefährdet sind. Dies sei kontraproduktiv für die Arbeitsmarktpolitik. Doch sehe er kaum noch Möglichkeiten für tiefgreifende Änderungen des Gesetzentwurfes. Für die möglichen wirtschaftlichen Folgen auf die Apotheken, d. h. die Mittelstandspolitik, sei ohnehin das Wirtschaftsministerium der zuständige Adressat, aber nicht das Gesundheits- und Sozialministerium.

Auch auf juristische Hilfe könnten die Apotheker nicht hoffen. Denn es sei bereits durch Prüfungen des Innen- und Justizministeriums abgesichert, dass das Gesetz nicht im Bunderat zustimmungspflichtig sei.

Apotheken als Schlüsselstelle der Abrechnung

Die problematischen Abrechnungsmodalitäten erklärte Schmidt durch die besondere Rolle der Apotheken. Nur dort sei bekannt, welche Arzneimittel an GKV-Versicherte abgegeben werden. Dies sei aber gemäß eines Urteils des Bundesverfassungsgerichtes eine zwingende Voraussetzung für die geplanten Rabatte. Doch erklärte Schmidt in anderem Zusammenhang, die Apotheken könnten einen Teil ihrer Abrechnung an ihren Hauptgroßhändler delegieren.

Die von Wolf geäußerten Befürchtungen, die Hersteller könnten die Zahlung der Rabatte verweigern, wollte Schmidt nicht gelten lassen. Er gehe von rechtsstaatlichen Prinzipien aus. Daher werde der Staat die Apotheken als schwächstes und letztes Glied der Kette schützen. Die Apotheken müssten das Geld nicht von der Industrie einklagen.

Arzneimittel sollen besondere Reserven bieten

Zur Begründung der Sparmaßnahmen insgesamt verwies Schmidt auf die schlechte internationale Konjunktur. Angesichts der geringen Wachstumsaussichten müssten die Lohnnebenkosten gesenkt werden, um der Wirtschaft Impulse zu geben. Außerdem seien die Arzneimittelausgaben in den vorigen zwei Jahren "explodiert". Dies sei bei einer rationalen Versorgung vertretbar, aber nicht angesichts der "erheblichen Probleme bei Qualität und Wirtschaftlichkeit".

Gerade der Arzneimittelbereich biete besonders viele Wirtschaftlichkeitsreserven. Dies würden gerade die Apotheker immer wieder bestätigen, womit er vermutlich auf die Aut-idem-Diskussion anspielte. Zudem sei es nötig, die Pharmakotherapiekompetenz der Ärzte weiterzuentwickeln.

Schmidt gestand zu, dass die Apotheken nun unter dem Anstieg der Arzneimittelkosten leiden müssten, obwohl sie ihn nicht verursacht hätten. Auf das Argument, es solle besser bei den Krankenkassen gespart werden, entgegnete er, auch deren Verwaltungskosten sollten gedeckelt werden. Durch den strukturkonservativen Risikostrukturausgleich werde aber verhindert, dass die Zahl der Krankenkassen weiter sinke. Seines Erachtens sei eine Zahl von 20 oder 30 angemessen, doch sei vor einer Einheitskasse zu warnen, da ein Monopolist die Bedingungen diktieren könnte.

Auch staatlich festgesetzte Industrieabgabepreise böten keine Lösung. Denn die Forschung müsse schnell refinanziert werden. Stattdessen seien pharmakoökonomische Analysen zur Bewertung der Arzneimittel voranzutreiben.

Probleme auf der Bauchebene

Mehrfach erwähnte Schmidt die atmosphärischen Störungen zwischen Apothekerorganisationen und Vertretern der Bundesregierung, die sich als Hindernis für die Sacharbeit erwiesen. Wenn die "Bauchebene" nicht stimme, komme kein sachbezogener Dialog zustande. Als Ursache für die Verstimmungen nannte Schmidt die schroffe Ablehnung aller Integrationsmodelle und das sonstige Verhalten von ABDA-Vertretern vor der Wahl sowie die Buhrufe gegen die Staatssekretärin Gudrun Schaich-Walch auf dem Deutschen Apothekertag. Im Interesse der Sacharbeit sollten diese Verstimmungen überwunden werden.

Was kommt danach: Die große Reform

Obwohl das aktuelle Beitragssatzsicherungsgesetz im Vordergrund der Diskussion stand, ging Schmidt mit verschiedenen Bemerkungen auf die Vorstellungen der SPD für die angekündigte spätere "große" Reform ein. Demnach werde der Arzneimittelversandhandel bestimmt eingeführt. Dieser solle EU-weit erfolgen, aber deutsches Recht und deutschsprachige Beipackzettel gewährleisten. Eine Rezeptsteuerung durch die Krankenkassen nach dem Vorbild der amerikanischen HMOs werde es nicht geben. Daher werde den niedergelassenen Apotheken "nicht die gesamte Versorgung der Chroniker wegbrechen".

Die Arzneimittelpreisverordnung stellt sich Schmidt dann als Höchstpreisverordnung vor. Für Notdienst, Rezeptur und andere besondere Leistungen müsse es neue Preise geben, wenn die Mischkalkulation entfällt. Die Importregelung werde in einer künftigen Reform voraussichtlich abgeschafft. Anzustreben seien Preisverhandlungen mit Herstellern auf der Grundlage pharmakoökonomischer Studien. Damit könnten auch die Festbeträge überwunden werden.

Außerdem könne er sich vorstellen, dass es "eines Tages" freiwillige Integrationsmodelle geben wird, in denen die Versicherten nur von der Netzapotheke versorgt werden. Auch die Versorgung von ambulanten Patienten aus Krankenhausapotheken sei denkbar, wenn alle Apotheken die gleichen Einkaufsmöglichkeiten haben. Die Industrie werde in einem solchen Fall ohnehin keine verbilligte Ware mehr an Krankenhausapotheken liefern.

Die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel werde nicht gesenkt. Denn diese beruhe auf einem Kompromiss aus der Zeit der Kohl-Regierung, nach dem die Leistungen der Ärzte mehrwertsteuerfrei bleiben. Die Alternative wäre ein ermäßigter Satz für das ganze Gesundheitswesen, der aber für die Kostenträger ungünstiger sei.

Resolution gegen Gesetzentwurf

Die Äußerungen Schmidts lösten vielfach den Widerspruch der anwesenden Verbandsmitglieder aus, doch bedankte sich Wolf bei Schmidt für dessen bemerkenswerte Offenheit, auch über das aktuelle Tagesgeschehen hinaus. Noch in Anwesenheit des Gastes verabschiedete die Versammlung eine Resolution gegen das geplante Gesetz, um ihm diese mit auf den Weg zu geben (siehe vorige Seite).

Überzeugungsarbeit nötig

Die Verbandsmitglieder erinnerten an die vom Bundeskanzler propagierte "Gerechtigkeit". Demnach müssten die Krankenhäuser den größten Teil der Einsparungen tragen. Leistungsbereitschaft, Servicequalität und Einsatzbereitschaft der Apotheker dürften nicht zerstört werden. So werde langfristig die Basis des Gesundheitswesens ausgehöhlt, weil junge Menschen sich nicht mehr für diese Berufe entschieden.

Bei dem zu erwartenden Apothekensterben würden kleine Apotheken zuerst getroffen, die in ländlichen Regionen wichtige Versorgungsaufgaben wahrnehmen. Damit würden gerade alte und sozial schwache Bürger getroffen, die keine weiten Wege auf sich nehmen können und nicht über das Internet bestellen wollen oder können.

Bei der anschließenden internen Beratung kamen weitere Aspekte des geplanten Gesetzes zur Sprache. Als besonders problematisch wurde die Regelung eingestuft, nach der Apotheken und Krankenkassen einzeln Rabatte aushandeln können und diese Apotheken dafür ganz oder teilweise auf die Rezeptgebühr verzichten können. Es sollte unbedingt versucht werden, solche Regelungen unter dem Dach der Verbände zu halten.

Es bestand Einigkeit, dass alle bestehenden Kontakte zu Politikern auf allen Ebenen genutzt werden müssten, um auf die schwerwiegenden Folgen des geplanten Gesetzes aufmerksam zu machen. Besondere Bedeutung habe dabei das Land Niedersachsen, wo am 2. Februar 2003 gewählt wird. Denn Ministerpräsident Gabriel dürfte an einer guten Stimmung im Land interessiert sein und habe in der SPD eine herausragende Position.

Kasten Resolution der Mitgliederversammlung des Landesapothekerverbandes Niedersachsen vom 6. November 2002

Der Entwurf des Beitragssatzsicherungsgesetzes (BsSichG) sieht vor, Pharmaindustrie, pharmazeutischen Großhandel sowie die Apotheken durch Rabatte in unterschiedlicher Form zu belasten. Dadurch sollen von der Industrie 420 Mio. Euro, vom pharmazeutischen Großhandel 600 Mio. Euro sowie von den Apothekern 350 Mio. Euro, insgesamt also 1370 Mio. Euro zur Entlastung der Gesetzlichen Krankenkassen beigesteuert werden.

Nach Berechnungen der Betroffenen liegen die Belastungen jedoch wesentlich höher (Großhandel bis 730 Mio. Euro, Apotheken über 500 Mio. Euro, zuzüglich zu den schon gewährten 1,2 Mrd. Euro Kassenrabatte gemäß § 130 SGB V). Zuzüglich werden die Apotheken bzw. Abrechnungszentren durch den äußerst komplizierten Modus der Rabattabrechnung mit 50 bis 80 Mio. Euro belastet.

Als Endglied der Wertschöpfungskette im Pharmabereich müssen die Apotheken davon ausgehen, dass Belastungen der Vorstufen auf sie abgewälzt werden und die Apothekenbranchen mit bis zu 1200 Mio. Euro bzw. die Apotheken mit einer Minderung von über 50 000 Euro versteuerbaren Einkommens belastet werden.

Eine solche Belastung würde die Existenz vieler Apotheken zerstören und zu einem massiven Stellenabbau führen, zumal durch die bereits in 2002 erfolgte Rabatterhöhung die Apotheken trotz erhöhter GKV-Arzneimittelausgaben einen reduzierten Ertrag hinnehmen mussten.

Die Apotheker fordern daher den Gesetzgeber auf, den von der ABDA vorgelegten Alternativvorschlag einer Modernisierung der Arzneimittelpreisverordnung zu akzeptieren, da dieser Vorschlag nicht nur zu deutlichen GKV-Einsparungen im Arzneimittelbereich führt, sondern als echte Strukturmaßnahme auch zu einer Ausgabendämpfung in der Zukunft beiträgt.

Was bedeutet das Beitragssatzsicherungsgesetz für die Apotheken? Für ABDA-Vize Heinz-Günter Wolf droht die "Verlumpung" des Berufsstandes, der ohne wirtschaftliche Grundlage keine Qualität mehr bieten kann. Welche Vorstellungen der Bundesregierung stehen hinter dem Gesetz? Was droht bei der späteren "großen" Reform? Antworten aus erster Hand bot die Mitgliederversammlung des Landesapothekerverbandes Niedersachsen am 6. November in Hannover. Peter Schmidt, der gesundheitspolitische Referent der SPD-Bundestagsfraktion, stand dort umfassend Rede und Antwort.

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