Berichte

Consumer Health Care: Arzneimittelversorgung am Patienten orientieren

Die 2. Jahrestagung "Consumer Health Care", veranstaltet von der Humboldt-Universität Berlin und dem Verein Consumer Health Care e.V. am 25. Oktober 2002 in Berlin, stand unter dem Titel "Patientenorientierte Arzneimittelversorgung". Die Veranstaltung diente auch dazu, Bilanz über den Ergänzungsstudiengang "Consumer Health Care" zu ziehen, der seit März 2001 an der Humboldt-Universität mit Unterstützung des Bundesverbands der Arzneimittel-Hersteller e.V. (BAH) angeboten wird.

Wie Prof. Dr. Marion Schaefer, die Hauptinitiatorin von "Consumer Health Care", in ihrer Begrüßungsansprache betonte, wird der Studiengang bereits eineinhalb Jahre nach seiner Gründung von verschiedenen Seiten, besonders von der pharmazeutischen Industrie, "als wichtig wahrgenommen". Die Teilnehmer kommen jedoch nicht nur aus der pharmazeutischen Industrie, sondern auch von Verbänden, Behörden und Krankenkassen. Auch Berufsanfänger haben sich eingeschrieben, vorzugsweise Absolventen eines Studiums der Medizin oder Pharmazie, aber auch zum Beispiel auch von Jura, Ernährungswissenschaften, Soziologie, Psychologie und Pädagogik.

Das Ergänzungsstudium will dazu befähigen, die Entwicklung und Wandlung von Gesundheitsmärkten aus verschiedenen Blickwinkeln zu analysieren und zur Konsensfindung zwischen allen Partnern, die an der gesundheitlichen Betreuung mit dem Schwerpunkt der Arzneimittelversorgung teilnehmen, beizutragen.

Absolventen von "Consumer Health Care" sind daher für leitende Funktionen in der pharmazeutischen Industrie und in der Gesundheitsversorgung besonders qualifiziert. "Ein sektorübergreifenden Denken und Handeln ist heute für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit eines pharmazeutischen Unternehmens immens wichtig", bekräftigte auch Frank Lennartz, Personalleiter bei Diabetes Care Roche und einer von acht Referenten der Tagung.

G10-Empfehlungen in Deutschland umsetzen

Ulrich Dietz, Leiter des Referats Arzneimittelversorgung im Ministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung, berichtete darüber, wie die neue Bundesregierung die "G10-Empfehlungen" umsetzen will. Die G10-Gruppe wurde im Dezember 2000 von den EU-Kommissaren Byrne und Liikanen als Beratungsgremium gegründet, das vor allem zwei Ziele verfolgt: die Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit der pharmazeutischen Industrie Europas zu stärken und gleichzeitig das hohe Niveau des Gesundheitsschutzes, das in der EU für den Vertrieb und die Anwendung von Arzneimitteln besteht, zu wahren. Der ungehinderte Zugang der EU-Bürger zu den notwendigen, auch neuen und innovativen, Arzneimitteln soll sichergestellt werden.

Um die G10-Empfehlungen in Deutschland umzusetzen, beabsichtigt die Bundesregierung, noch in dieser Legislaturperiode ein "Deutsches Institut für die Qualitätssicherung in der Medizin" zu gründen. Eine der Hauptaufgaben dieses Instituts soll die Nutzenbewertung von Arzneimitteln sein.

Dietz wies in seinem Vortrag darauf hin, dass es äußerst schwierig sei, Kompromisse zwischen den verschiedenen Interessengruppen im Gesundheitswesen zu finden. So hat beispielsweise die pharmazeutische Industrie großes Interesse daran, dass Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel erlaubt wird, wie es in den USA seit 1997 bereits möglich ist. Die Bundesregierung "will da nicht mitmachen", betonte Dietz.

BfArM will Off-label-use vermeiden

Prof. Dr. Harald G. Schweim, Leiter des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn, referierte über den "Off-label-use aus der Sicht der Zulassungsbehörde". Schweim wies darauf hin, dass das BfArM nur den vom jeweiligen pharmazeutischen Unternehmer in den eingereichten Zulassungsunterlagen beschriebenen Gebrauch des Arzneimittels prüfen und im Zulassungsbescheid genehmigen kann. Es sei jedoch aktuelle medizinische Praxis, dass beispielsweise viele onkologische Therapiestandards von der Zulassung abweichen und der Arzneimitteleinsatz vieler Pädiater nicht durch die Zulassung abgedeckt ist.

Schweim verwies auf die Risiken und Folgen des Off-label-use: Das durch das Arzneimittelgesetz implementierten System der Arzneimittelsicherheit werde ausgehöhlt, und die pharmazeutische Industrie werde in ihren Forschungsanstrengungen nachlassen. Anstatt Druck gegen den Off-label-use auszuüben, will das BfArM jedoch lieber positive Anreize schaffen. Dazu zählt, dass denjenigen pharmazeutischen Unternehmern, die mit ihren Forschungen neue Indikationen für nicht mehr durch Patente geschützte Arzneimittel abgesichert haben, exklusive Vermarktungsrechte und neue Schutzfristen für die Produktunterlagen gewährt werden sollen.

Gesundheitsversorgung am Patienten orientieren

Prof. Dr. Gerd Glaeske vom Zentrum für Sozialpolitik an der Universität Bremen wies auf die Notwendigkeit hin, die Gesundheitsversorgung verstärkt am Patienten zu orientieren. Die Aussagen im Koalitionsvertrag von SPD und Bündnis 90/Die Grünen seien ein Schritt in die richtige Richtung, betonte er. Denn darin sei festgeschrieben, dass der Schutz des Patienten ausgebaut und seine Souveränität erhöht werden sollen. Die kürzlich von der Bundesregierung eingeführte "Patientencharta" sei ein Mittel, um die Transparenz der medizinischen Versorgung für den Patienten zu erhöhen.

Die Apotheker rief Glaeske dazu auf, "guten Rat und professionelle Assistenz" für den Patienten zu bieten. Sie sollten verstärkt den Mut aufbringen, in ihrem Engagement für den Patienten auch "unbequem" zu sein. Beispielsweise sollten sie bei übertriebener Werbung von Herstellern für Produkte mit zweifelhaftem gesundheitlichem Nutzen eine Filterfunktion ausüben, statt "wegschauender Verkäufer" zu sein.

Um die Patienten besser betreuen zu können, forderte Glaeske ein "Unternehmen Gesundheit", in dem die Akteure nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten. Er begrüßte daher den niedersächsischen Modellversuch der Versorgung von Patienten durch eine wohnortnahe Hausapotheke, der durch die Vereinbarung zwischen dem Landesapothekerverband Niedersachsen und dem BKK-Landesverband Niedersachsen-Bremen vertraglich geregelt wurde. Die Hausapotheke soll ihre eingeschriebenen (vorrangig chronisch kranken) Patienten mit Arzneimitteln, Medizinprodukten und Hilfsmitteln versorgen und diese bei Bedarf bis an das Krankenbett liefern.

Für eine stärkere Patientenorientierung im Gesundheitswesen sei es auch notwendig, die Patienteninformation zu verbessern, betonte Sylvia Sänger von der Zentralstelle für ärztliche Qualitätssicherung in Göttingen, die das Portal www.patienten-information.de betreut. Im Zeitalter der neuen Medien sei das Problem nicht, dass Patienten keinen Zugriff auf Informationen haben, sondern dass sie durch Überinformation nicht mehr richtig informiert sind. Instrumente zur Qualitätsüberprüfung sind notwendig, ein Schritt in die richtige Richtung seien "Transparenzsiegel" wie beispielsweise HON und MedCircle.

Folgen der Aut-idem-Regelung

Mit der Aut-idem-Regelung will die Bundesregierung bekanntlich rund 230 Millionen Euro Arzneimittelausgaben jährlich einsparen. Nach einer Auswertung von sechs Millionen Verordnungen für eine Million Patienten aus den Monaten Januar bis August 2002 durch die IMS Health GmbH, die Detlev Schröder-Bernhardi vorstellte, entsteht jedoch der Eindruck, dass die Ärzte ihr Verschreibungsverhalten kaum verändert haben. Die Preise verordnungsstarker Arzneimittel lagen bereits im unteren Drittel, daher konnte in der Apotheke praktisch keine Substitution stattfinden. Nach Schröder-Bernhardi werden also die erhofften Einsparungen im Arzneimittelbereich vor allem durch die Preissenkungen der Hersteller zustande kommen.

Dem geringen Nutzen von aut idem steht aber eine beachtliche Irritation der Kunden und Patienten gegenüber, wie eine Befragung bei 151 Apothekern und 150 Ärzten im März und September 2002 durch die GPI Kommunikationsforschung Nürnberg, vorgestellt von Walther Pechmann, ergeben hatte. 20 Prozent der befragen Apotheker stellten einen höheren Zeitaufwand für die Aufklärung verunsicherter Patienten fest, und bei 62 Prozent der befragen Apotheker blieb das Warenlager im wesentlichen so, wie es vor aut idem war, sodass die erhofften Einsparungen bei der Lagerhaltung ausblieben.

Aus der Sicht von Selbsthilfeverbänden birgt aut idem vor allem Gefahren für chronisch Kranke, wie Epilepsie-, Parkinson-, und Asthmapatienten. Nach Aussage von Marion Rink von der Bundesarbeitsgemeinschaft Hilfe für Behinderte (BGAH) liegen die Probleme beispielsweise bei Medikamenten mit einem geringen therapeutischen Fenster oder einfach auch in der Angst der chronisch Kranken vor einem Wechsel des vertrauten Arzneimittels. Chronisch Kranke sollten vom "Wirtschaftlichkeitsdenken" der Politiker ausgenommen werden.

Kasten Consumer Health Care

Studienform:

  • 13 Module in fünf großen Moduleinheiten mit Präsenzveranstaltungen (zweimal 14 Tage im ersten und zweiten, einmal 14 Tage im dritten Semester),
  • zwei Seminararbeiten,
  • schriftliche Abschlussarbeit (Masterarbeit) mit mündlicher Verteidigung.

    Studiendauer: 1,5 Jahre, Immatrikulation einmal pro Jahr Studiengebühren: 2557,– Euro pro Semester, d. h. insgesamt 7671,– Euro.

    Auf Antrag können in begrenztem Umfang vom Förderverein Consumer Health Care e.V. Stipendien vergeben werden. Die universitären Gremien haben den Studiengang inzwischen als Masterstudiengang bestätigt.

    Wegen der Schließung des Instituts für Pharmazie der Humboldt- Universität wechselte der Studiengang kürzlich an das Institut für Klinische Pharmakologie der Charité (Leiter: Prof. Roots).

    Weitere Informationen unter www.consumer-health-care.de

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