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Vorschaltgesetz: Existenzielle Sorgen und ein Funken Hoffnung

HALLE (tmb). Über das geplante Vorschaltgesetz zur Kosteneinsparung im Gesundheitswesen sind viele Gerüchte im Umlauf. In dieser Situation boten die 7. Wirtschaftstage des Landesapothekerverbandes Sachsen-Anhalt eine gute Gelegenheit, die Fakten zusammenzutragen und ihre Folgen zu bewerten. Dr. Frank Diener, Geschäftsführer Wirtschaft und Soziales der ABDA, bot eine gleichermaßen sachliche wie erschreckende Analyse, hatte aber auch eine kleine Hoffnung parat. Denn die Inhalte des Vorschaltgesetzes stehen noch keineswegs fest. Der Vortrag über die Perspektiven und Tendenzen für die Arzneimittelversorgung nach der Bundestagswahl war damit inhaltlicher Höhepunkt der Wirtschaftstage, die am 18. und 19. Oktober in Halle-Peißen stattfanden.

In den Koalitionsvereinbarungen sei ein Vorschaltgesetz zur Stabilisierung der GKV-Beiträge vorgesehen worden, jedoch ohne dabei irgendwelche Inhalte zu konkretisieren. Nach Einschätzung Dieners eröffnet dies Verhandlungsspielraum für die Detailregelungen.

Ein Vorschaltgesetz unterscheidet sich rechtstechnisch nicht von anderen Gesetzen. Durch die Bezeichnung werde nur ausgedrückt, dass es schnell wirken soll, um Zeit für die Diskussion über eine umfassende Reform zu gewinnen, die demnach für 2004 geplant sei.

Vorschaltgesetz zum 1. Januar?

Offenbar plane die Regierung, das Vorschaltgesetz zum 1. Januar 2003 in Kraft zu setzen. Eine Zustimmung des Bundesrates mit einem möglichen Vermittlungsverfahren sei in dieser Zeit kaum zu realisieren. Doch auch ein nicht zustimmungspflichtiges Gesetz muss dem Bundesrat zugeleitet werden. So könnte die Entscheidung angesichts der wenigen noch verbleibenden Sitzungstermine in diesem Jahr möglicherweise erst unmittelbar vor Weihnachten fallen.

Schriftlich fixierte Pläne über die Inhalte des Gesetzes würden bisher nicht existieren. Doch sei von Politikern geäußert worden, dass in der GKV 1,5 Mrd. Euro eingespart werden sollen, davon 1,42 Mrd. Euro im arzneimittelbezogenen Bereich. Das sind 95% des gesamten Einsparvolumens. Für den Pharmabereich seien drei Maßnahmen geplant:

  • Die Hersteller sollen einen Preisabschlag von 6% auf die Nicht-Festbetragsprodukte gewähren, womit 420 Mio. Euro gespart werden sollen.
  • Die Handelsspannen des pharmazeutischen Großhandels sollen um 600 Mio. Euro gekürzt werden.
  • Die Handelsspannen der Apotheken sollen im oberen Preisbereich um 400 Mio. Euro gekürzt werden.

3 Maßnahmen – 3 mal gegen die Apotheken

Die Konsequenzen wären für die Apotheken nach Einschätzung der ABDA nicht zu tragen. Im Einzelnen wäre mit folgenden Auswirkungen zu rechnen: Die Folgen des Preisabschlages hingen davon ab, wie dieser praktisch umgesetzt würde. Wenn die Industrie eine Extrazahlung wie im Frühjahr 2002 leisten würde, träfe dies die Handelsstufen nicht. Angesichts der damaligen negativen öffentlichen Reaktion auf die Abschlagszahlung sei nun aber eher mit einer realen Senkung der Preise zu rechnen.

Diese hätte einen Sekundäreffekt auf die nachfolgenden Handelsstufen, der bei der Kalkulation der Einsparungen übersehen wurde (auch bei den bisherigen Analysen in DAZ 42 war diese mögliche Konsequenz noch unbeachtet geblieben). Dann würden die Apotheken um 120 Mio. Euro und der Großhandel um 50 bis 60 Mio. Euro zusätzlich belastet. Pro Apotheke würde der Rohertrag um 5600 Euro sinken.

Die geplante Absenkung der Großhandelsspanne um 600 Mio. Euro würde die Gewinne der gesamten Branche erheblich übertreffen. Denn alle Pharmagroßhändler zusammen dürften in Deutschland etwa 250 Mio. Euro Gewinn vor Steuern erzielen. Die Großhändler würden ihre Einbußen daher vermutlich in voller Höhe auf die Apotheken weiterwälzen. Damit würde der Rohertrag um weitere 27 900 Euro pro Apotheke sinken.

Wie die Spanne der Apotheken zielgenau im Hochpreisbereich gesenkt werden soll, sei derzeit kaum vorstellbar. Denn die Feinstruktur der Aufschläge ergibt sich aus der Arzneimittelpreisverordnung, die nur mit Zustimmung des Bundesrates geändert werden kann. Wenn dies vermieden werden soll, müsste eine zusätzliche Regelung geschaffen werden, die speziell für den GKV-Bereich Abschläge im oberen Preissegment einführt. Dies würde aber die Arzneimittelpreisverordnung umgehen und damit formal die Zuständigkeit des Bundesrates unterlaufen. Hier bestehe demnach noch großer Diskussionsbedarf. Ungeachtet der Umsetzung im Detail würde die geplante Einsparung von 400 Mio. Euro den Rohertrag einer durchschnittlichen Apotheke um weitere 18 600 Euro pro Jahr reduzieren.

Den Letzten beißen die Hunde

Damit würden fast alle geplanten Maßnahmen bei den Apotheken kumulieren, weil sie die letzte Handelsstufe darstellen. Von 1,5 Mrd. Euro Einsparung entfielen 1,12 Mrd. Euro auf die Apotheken. Eine durchschnittliche Apotheke würde dann mit 52 100 Euro pro Jahr belastet. Da sich die Kosten kurzfristig nicht ändern, würden die Umsatzeinbußen in voller Höhe auf den Ertrag durchschlagen. Damit fiele mehr als die Hälfte des Einkommens weg. Demnach wäre jeder zweite Arbeitsplatz in deutschen Apotheken gefährdet.

Diener appellierte an die Apothekerschaft, die Öffentlichkeit für diese Folgen zu sensibilisieren. Es gelte insbesondere zwei Fragen zu stellen:

  • Ist es gerechtfertigt, dem Pharmabereich 95% der Einsparungen im Gesundheitswesen aufzubürden?
  • Ist es gerechtfertigt, dass die Apotheken 1,12 Mrd. Euro von 1,42 Mrd. Euro innerhalb des Pharmabereiches tragen sollen?

Warum der Pharmabereich ...

Die jüngere Entwicklung der Ausgaben im Gesundheitswesen liefere für solche Maßnahmen keine Rechtfertigung. Denn gegenüber dem ersten Halbjahr des Vorjahres stiegen die Gesamtkosten um 3,17%, die Kosten der Krankenhäuser aber um 4,06% und die Nettoverwaltungskosten der Krankenkassen sogar um 4,26%. Die Arzneimittelkosten stiegen um 3,84%.

Damit entfielen etwa 12,5% der Mehrausgaben der GKV im ersten Halbjahr 2002 auf Arzneimittel, aber 44% auf die Krankenhäuser, die ohnehin den größten Kostenblock bilden. Der Pharmabereich könne daher gegen eine Beteiligung an den Einsparungen in der Größenordnung von 10 bis 12% politisch kaum argumentieren, eine 95%ige Beteiligung sei aber nicht zu rechtfertigen.

... und dort gerade die Apotheken?

Innerhalb des Pharmabereiches sinke der Wertschöpfungsanteil der Apotheken beständig. Er ist im zweiten Halbjahr 2002 auf 18,5% (nach 19,4% im Vorjahr) gesunken. Demnach könnten die Apotheken auch nur eine Beteiligung an den Einsparungen in dieser Größenordnung politisch akzeptieren.

Obwohl die Umsätze der Apotheken im ersten Halbjahr stiegen, sind ihre Erträge durch den erhöhten Kassenrabatt sogar gesunken. Im Gegensatz zu allen anderen Handelsstufen des Pharmabereichs erwirtschafteten die Apotheken in der ersten Hälfte des Jahres 2002 weniger Gewinn.

Auch das oft gebrauchte Argument, bei den Apotheken sollten die Rabatte der Großhändler abgeschöpft werden, greife nicht. Denn diese Rabatte werden bereits abgeschöpft. So dürften die Apotheken Großhandelsrabatte in Höhe von etwa 1,1 Mrd. Euro erhalten. Doch sie gewähren den Krankenkassen etwa 1,5 Mrd. Euro Rabatt.

ABDA-Konzept als Ausweg

Angesichts der zahlreichen handwerklichen Schwierigkeiten bei der Gestaltung des geplanten Vorschaltgesetzes seien nun die schlüssigen Alternativvorschläge der ABDA zur Vergütung pharmazeutischer Dienstleistungen besonders gefragt. Die ABDA habe diese Konzepte mit dem PHAGRO abgestimmt. Apotheker und pharmazeutischer Großhandel würden hier eine gemeinsame Position vertreten. Aus der Politik gebe es mittlerweile durchaus Signale, die für ein Interesse an diesen Konzepten sprächen. Innerhalb der nächsten zwei bis drei Wochen sollten die Reaktionen aus der Politik abgewartet werden.

Beim Wirtschaftsseminar in Halle erläuterte Diener ausführlich die Konzeption der ABDA zur Drehung der Arzneimittelpreisverordnung und zur Honorierung pharmazeutischer Dienstleistungen, wie er sie am 11. Oktober beim Deutschen Apothekertag in Berlin vorgestellt hatte (siehe ausführlicher Bericht in DAZ 42, S. 78 ff.). Er betonte, dass die ABDA sich hier für eine nachhaltige Lösung einsetze, wie sie von der Politik gerade bei der jüngsten Regierungsbildung gefordert wurde.

Betreuungshonorar: Die Zeit ist reif

Hinsichtlich der Honorierung der indikationsbezogenen Pharmazeutischen Betreuung verwies Diener insbesondere auf die Erfahrungen, die in Sachsen-Anhalt im Rahmen des Diabetes-Projektes des Landesapothekerverbandes gemacht wurden. Damit sei es nun an der Zeit, solche Leistungen flächendeckend gegen Honorar anzubieten.

Im Rahmen der Diskussion zum Konzept der ABDA für die Drehung der Arzneimittelpreisverordnung machte Diener deutlich, dass die Spannenkürzungen im oberen Preisbereich unbedingt im unteren Bereich kompensiert werden müssten. Ohne Ausgleich wären die Folgen für die Apotheken so wenig auszuhalten wie die Konsequenzen der angedachten Maßnahmen des Vorschaltgesetzes.

Über das geplante Vorschaltgesetz zur Kosteneinsparung im Gesundheitswesen sind viele Gerüchte im Umlauf. In dieser Situation boten die 7. Wirtschaftstage des Landesapothekerverbandes Sachsen-Anhalt eine gute Gelegenheit, die Fakten zusammenzutragen und ihre Folgen zu bewerten. Dr. Frank Diener, Geschäftsführer Wirtschaft und Soziales der ABDA, bot eine gleichermaßen sachliche wie erschreckende Analyse, hatte aber auch eine kleine Hoffnung parat. Denn die Inhalte des Vorschaltgesetzes stehen noch keineswegs fest.

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